Die deutsche Bundesliga sollte diese Saison irgendwie die Kurve kriegen. Nostalgie und „gute alte Zeit“ wären schlechte Ratgeber.
Von Rudi Raschke
Der deutsche Fußball hat den Blues. Die Ausgangslage vor einer Bundesliga-Saison war schon einmal netter: Die Bundesliga galt ja schon vor der Weltmeisterschaft als fade Veranstaltung, bei der sich der FC Bayern über den alljährlichen Titel freut wie ein reiches Kind über Holzspielzeug. In den europäischen Wettbewerben geben deutsche Teams spätestens nach Jahresbeginn ihren Abschied. Und dann kam noch die Nationalmannschaft bei der WM hinter Mexiko, Schweden und Südkorea ins Ziel. Bizarre Debatten um Führung, Integration und Rassismus setzen seither die Themen. Das sind in etwa die Voraussetzungen vor dieser Spielzeit, die einmal mehr den SC Freiburg als Erstligisten vorsieht, selbstverständlich ist das nicht. Selbstverständlich ist aber die Vorfreude, die hier in Freiburg auf eine weitere Saison unter den 18 besten Teams des Landes herrscht. Und dass man sich hierzulande vielleicht ganz antizyklisch ein wenig dafür begeistern und gegen den Trend stellen kann – wenn andernorts die Errungenschaften des zeitgemäßen Spiels in Frage gestellt werden.
Ein bisschen viel Apokalypse ist ohnehin im Spiel: Mancher enttäuschte Anhänger, der die WM mit dem Heimflug der deutschen Mannschaft für erledigt erklärt hat, hat deshalb gleich den ganzen Wettbewerb für unattraktiv gehalten. Viele, die kaum noch Spiele geguckt haben, wussten, wie öde diese gewesen sein müssen. Und in zahlreichen Medien wurde gleich das „Ende des Ballbesitzes“ ausgerufen. Dass also Mannschaften Spiele entscheiden und (Welt-)Meister werden, die dem Gegner das Kicken überlassen. Was als Thema auch auf die kommende Bundesliga abstrahlt, aber nicht ganz neu ist. Und dort ganz eigenwillige Ausprägungen erfährt – die alles, nur kein schwarzweiß- Bild zulassen:
Die im Vorjahr mit Abstand dominanteste Mannschaft am Ball, der FC Bayern, ist im Mai wie immer Meister geworden, eine mit eher wenig Spielanteilen Zweiter, der FC Schalke 04. RB Leipzig, vielleicht auch entlang seines Finanzgebahrens eher einem abwartenden Spiel mit heuschreckenartigen Überfällen verpflichtet, weist erstaunlich viele Spielanteilsprozente auf. Und der SC Freiburg, dessen Trainer- Credo traditionell lautet, dass man natürlich den Ball haben will in einem Spiel, das Fußball heißt? Er ist mit Abstand am meisten gerannt. Er hat aufgrund individueller Nachteile den schlechtesten Liga- Wert beim Ballbesitz (45,7 Prozent), aber die Klasse gehalten. Die Ausreißer-Kicks in dieser Statistik (60 Prozent gegen Frankfurt und nur 22 Prozent gegen Dortmund) endeten übrigens beide mit demselben Ergebnis, 0:0.
Was der Bundesliga weit mehr droht als die Unübersichtlichkeit von „Big Data“ und die internationale Zuschauerrolle ist ein Rückfall in die vermeintlich gute alte Zeit: Am Rande des WM-Aus wurden bereits wieder Bizarr-Tugenden wie „Kratzen, Beißen, Spucken“ heraufbeschworen, Integration und Vielfalt für gescheitert erklärt, schöner Fußball als erfolglos geschmäht. Auf den Haupttribünen der Liga dürfte die Sehnsucht nach Opa-Fußball diese Saison größer sein als zuvor. Damals, als die Spieler nicht glanzvolle Namen wie James Rodriguez trugen, sondern Ballwanz, Tattermusch oder Vollborn hießen.
Auch in den kreativen Fanszenen wird der Wunsch nach Nostalgie größer werden: Das eben erschienene Bundesligaheft des Magazins „11 Freunde“ platzt jedenfalls vor schnurrbärtigen Fußballbildchen, Retroseligkeit und Drittliga-Verherrlichung. Dort wo manche die „Bundesliga Classic“ (Spiegel online) vermuten – tatsächlich aber viele museale Namen wie der 1. FC Kaiserslautern gelandet sind, die Misswirtschaft und sportlichen Stillstand perfektioniert haben. Die Frage des Jahres wird sein, wie sich die Liga kreativ erneuern kann angesichts ihrer Krise.
Nach der Jahrtausendwende ist das schon einmal grandios gelungen, die vorzeigbarsten Früchte waren der WM Titel 2014 und das deutsche Champions- League-Finale 2013 zwischen Dortmund und Bayern. Dafür braucht es allerdings wie in allen Wirtschaftsbereichen Mut, Innovation und den Verzicht auf Gejammer. Andernfalls wären dem fantasielosen Spiel und dem Betteln nach zweifelhaften Investoren Tür und Tor geöffnet. Und, nicht zuletzt: Die Bundesliga täte gut daran, tatsächlich ein paar zeitlose, keineswegs altmodische Errungenschaften am Leben zu erhalten: Den Verzicht auf private Mehrheitseigner. Das Festhalten an „Sportschau“ und möglichst vielen Spielen am Samstagnachmittag. Ihren vielen Fans nicht noch die letzte Zumutung am Montagabend als „attraktiv“ zu verkaufen und ihnen die letzten Cents für Eintritt, Fanartikel- Blödsinn und „sky“-Abonnement abzuknöpfen. Zumal nur mit einer ausbalancierten, spannenden Liga der internationale Anschluss gewahrt bleibt, nicht mit Alleingängen und geöffneten Umsatz-Scheren. Die Träume des FC Bayern, mit weiteren hunderten Millionen Euro zu Manchester City aufschließen zu wollen, dürfen den SC Freiburg und Fortuna Düsseldorf nicht aus der Kurve werfen. Wenngleich in England ohnehin eine neue Stufe gezündet wurde, die mit Franchise- Unternehmen vergleichbar ist: Besagtes Manchester wird in den kommenden Jahren mit bis zu zehn „Filialen“ in der ganzen Welt auf den Markt gehen – über New York und Uruguay, in Japan und in Spanien hat die „City Football Group“ bereits ihren weltumspannenden Schirm mit Ablegern und Partnerclubs geöffnet.
Das Spielgeld für diese Expansion liefern keine TV-Sender, Fans und Mitglieder mehr, sondern Ölquellen in Abu Dhabi. Mit der Ausbildung und dem „Parken“ junger Profis in Montevideo oder Yokohama für den englischen Markt könnte übrigens auch das „Financial Fair Play“, also die Obergrenze bei völligen Transferexzessen, ausgehebelt werden. Der zu zahlende Preis der Bundesliga, derartige Hemmungslosigkeiten zum Vorbild zu nehmen, wäre vermutlich ihr Ende. Die „Financial Times“ spricht von der „Disneyfizierung des Fußballs“.