Die Neuvermessung der Führung: Was bleibt, was kommt? Ein Interview mit Wolfgang Pfeifle, Inhaber der Freiburger Bäckereikette Pfeifle.
Von Rudolf Kast
Was bedeutet das oben zitierte Motto für Sie im Alltag in der Führung eines kleinen Filialisten?
Dahinter steckt der Gedanke, dem Kunden grundsätzlich sein Wunschprodukt herzustellen. Das bedeutet bei uns eine Ausrichtung auf 100 Prozent Qualität. Dieser hohe Anspruch ist Ausdruck der Wertschätzung gegenüber dem Kunden. Kunden und Mitarbeitende betrachten wir hierbei als gleichermaßen wertvoll für unser Unternehmen, insofern pflegen wir zu beiden Anspruchsgruppen ein wohlwollendes, partnerschaftliches Verhältnis.
Was bedeutet Partnerschaft in der Führung im Alltag der Mitarbeiter?
Es bedeutet, ihre Bedürfnisse und Anliegen ernst zu nehmen und auch zu berücksichtigen, wenn das möglich ist. Mitarbeitende, die beispielsweise ungeplant Urlaub nehmen wollen, obwohl der Anspruch für das laufende Jahr möglicherweise schon erschöpft ist, kommen mit solchen Anliegen zu unserem Führungsteam, weil sie wissen, dass wir versuchen, eine Lösung zu finden. Wir prüfen immer wohlwollend, was möglich ist. Unser Verkaufsleiter betreibt deshalb auch einen besonders hohen Aufwand in der wöchentlichen Personalplanung. Dieser Einsatz für unsere Teams wird für uns wiederum belohnt: So melden sich viele Mitarbeiter auch für anstrengende Sondereinsätze wie zum Beispiel die Plaza Culinaria. Wir haben in unserem Betrieb ein familiäres Miteinander erreicht, ohne dass wir als Traumtänzer unterwegs sind. In der Umsetzung des operativen Alltags arbeiten wir sehr präzise. Wir achten dabei stets auf Fairness, wobei ich mir durchaus darüber im Klaren bin, dass ich durch gute Führung Menschen im positiven Sinne dazu bewegen kann, für unseren Betrieb gerade zu stehen. Ich halte dies für zulässig, weil es unseren Mitarbeitenden wiederum viele Chancen bietet.
Wie interpretieren Sie Ihre Vorbildrolle in der Führung?
Die Hauptaufgabe lautet im Kern für mich: „Mach die Menschen groß und stark und rechne mit ihren Fehlern.“ Das ist Ausdruck meines grundsätzlich positiven Denkens, das während meiner Erfahrungen in verschiedenen Trainings bestätigt wurde. Ich wollte immer schon anders durchs Leben gehen, und deshalb spreche ich auch unbequeme Themen auf charmante Weise an. Wir sagen unseren neuen Mitarbeitenden, dass wir eine Fehlerkultur haben und dass wir uns gegenseitig helfen – und zwar vom ersten Tag an. Alle Führungskräfte sollten das ihren Mitarbeitenden vermitteln. Dies zu realisieren, betrachte ich als meine Hauptaufgabe. Ich rege jeden Tag Gespräche an – mit und zwischen den Mitarbeitenden. Aus dem operativen Geschäft halte ich mich heraus, ich greife ein, wo es notwendig ist und versuche, den unterschiedlichen Talenten jeweils passende Arbeitsfelder zuzuordnen.
Kann eine von extern eingestellte Führungskraft diesen Führungsstil erlernen?
Ja, wenn die Person eine hohe Sozialkompetenz mitbringt und die notwendige Lernzeit akzeptiert. Eine Führungskraft lernt bei uns, den Mitarbeitenden den Druck zu nehmen und ihnen Selbstverantwortung zu übergeben. Führungskräfte sollten nicht nur die ökonomischen Rahmenbedingungen im Auge behalten, sondern gleichermaßen ihre Mitarbeitenden groß und stark machen. Dies benötigt Zeit. Es kann bis zu drei Jah- ren dauern, um diese Führungsphilosophie zu verstehen. Als ich das Unternehmen von meinem Vater übernahm, war ich 27 Jahre alt, und mein heutiger Führungsstil war mir persönlich vom ersten Tag an wichtig. Mein Vater als Familien-und Firmenpatriarch hat das Team übrigens noch anders geführt.
Wie gehen Sie mit Enttäuschungen um, die im Umgang mit Menschen immer entstehen können?
Wir sanktionieren hier schon geringfügige Vergehen, schließlich geht es um die prinzipielle Einstellung. Deshalb reagieren wir geradezu allergisch, wenn Respekt und Fairness verletzt werden. Allerding muss ich dazu sagen, dass wir das nur selten erleben. Unterstützend wirken hier sicherlich unsere Reflexionsrunden, die wir im operativen Geschäft regelmäßig durchführen und in deren Rahmen wir auch unsere Zusammenarbeit durchspielen. Wir tun dies mit Engagement, weil wir den Menschen etwas nahebringen wollen, was ihnen letztendlich guttut. Wichtig ist dabei sicherlich, dass ich als Geschäftsführer glaubwürdig vermitteln kann, dass ich diese Herausforderung nur mit allen gemeinsam erfolgreich bewältigen kann. Neue Mitarbeitende erleben dies ganz intensiv bereits bei der Einarbeitung. Die Glaubwürdigkeit und Konsequenz, mit der wir diese Prinzipien umsetzen, lässt deshalb auch wenig Enttäuschungen zu. Im Gegenteil: Nicht selten ist es die größte Überraschung für neue Mitarbeitende, dass Pfeifle mehr hält als versprochen wurde.
Wie gelingt es Ihnen, den Beschäftigten trotz anstrengender Arbeit, die auch nicht üppig vergütet wird, den Sinn an der Arbeit zu vermitteln?
Wenn man schon etwas macht, dann sollte man daran auch Freude haben. Das ist die Voraussetzung. Wir leben unsere Passion für das Backgeschäft und suchen überzeugte Mitstreiter und keine Leidensverursacher. Unsere Mitarbeitende dürfen über den Tellerrand ihrer Aufgabe hinausdenken, mitreden und mitmachen. Wir als Führungskräfte fühlen uns wiederum auch für unsere Mitarbeitenden verantwortlich, zum Beispiel in Fragen der Altersversorgung. Apropos Geld: In Sachen Gehaltsanpassung gehen wir auf alle Mitarbeitenden proaktiv zu. Bei uns muss niemand nach Geld oder Gehaltserhöhung fragen.
Sie sind ein fürsorgender Arbeitgeber, propagieren aber im Arbeitsalltag die Selbstverantwortung der Mitarbeiter. Wie passt das zusammen?
Unsere Devise lautet: „Bringe Mitarbeitenden bei, wie sie sich selbst entlasten können.“ Wir unterstützen hier durch intensive Schulung, zum Beispiel wie Verkaufsmitarbeitende die Theke am besten einräumen. So kann sich unser Verkaufsleiter auf die Einteilung der Filialen und des Personals konzentrieren. Neue Mitarbeitende haben während der Einarbeitung einen Paten und werden in der Einarbeitungszeit als zusätzliches Personal in der Filiale eingesetzt. Auch in der Backstube muss man erstmal das Gefühl für den Teig und die Rezeptur entwickeln, diesen ehrbaren Beruf muss man sich Schritt für Schritt erarbeiten. Wir fördern Lernen durch Tun – und ist der Lernerfolg da, können wir als Führungsteam auch loslassen.
Was entscheiden denn die Mitarbeiter, was die Führungskräfte?
Seit ich die Backstube verlassen habe, arbeite ich nur noch aus der Vogelperspektive oder durch Pflege der Kundenbeziehung am Unternehmen und nicht mehr operativ im Unternehmen. Nur im Ausnahmefall veranlasse ich Prozessveränderungen in der Organisation, alle Entscheidungen im Alltag erarbeiten die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitenden oder diese selbstständig. Dies wird durch intensive Schulungen mit Deutschlands bester Verkaufstrainerin im Bäckereigeschäft unterstützt. Wünsche, Anregungen, Beschwerden von Kunden und sogar jeder Facebook-Kommentar landen bei mir auf dem Tisch. Wir nehmen unsere Kunden sehr ernst – und jeder Kunde erhält von mir persönlich eine Antwort. Gerne laden wir unsere Kunden auch zu uns in die Backstube ein, das ist gelebte Wertschätzung – und wir gewinnen Vertrauen zurück.
Wollen andere Betriebe von Ihnen lernen?
Nein, den Eindruck habe ich bisher noch nicht. Ich denke, viele haben Angst vor dieser – aus externer Sicht – vielleicht radikalen Führung. Ich war von Anfang an der Überzeugung, dass es gut geht. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Meine Vision war: Einfach machen! Mir wurde vorgelebt, dass man es selbst tun muss. Man leistet seinen Beitrag und zeigt anderen, dass es auch anders geht. Ich wollte ein vollwertiges Leben mit allen Höhen und Tiefen. Dabei behielt ich immer schon im Auge, dass die Komfortzone für alle Mitarbeitenden gemeinsam erarbeitet werden muss und nicht nur für den Chef.
Bäckerei Wolfgang Pfeifle GmbH & Co. KG
Seit 1906 und inzwischen in der vierten Generation backt das Familienunternehmen Pfeifle Brot für Freiburg. Seit 1997 ist Wolfgang Pfeifle Geschäftsführer des Betriebes. Mit zehn Filialen in der Stadt wird auch heute noch aus Tradition und Überzeugung mit „Laib und Seele“ gearbeitet und das Bäckerhandwerk stetig weiterentwickelt. Neben gutem Brot liegt dem Unternehmen vor allem eine beispielhafte Mitarbeiterführung am Herzen. Beim Jobmotor 2015 der Badischen Zeitung und der Handwerkskammern in Südbaden wurde Pfeifle in der Kategorie „Mitarbeiter finden und binden“ der erste Preis verliehen.
Der Jurist Rudolf Kast war bei Unternehmen und Verbänden in ganz Deutschland für die Aus- und Weiterbildung und die Personalabteilung verantwortlich. Von 1995 bis 2010 leitete er das Personalwesen der SICK AG in Waldkirch, von 1997 an war er auch Mitglied der Geschäftsführung. Für seine exzellente Personalpolitik wurde er 2006 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Seit 2011 berät er mit seiner „Personalmanufaktur“ mittelständische Unternehmen in personalpolitischen Fragestellungen. Er ist ehrenamtlich Vorstandsvorsitzender des bundesweiten demographie-Netzwerkes ddn e.V. und für das Bundesarbeitsministerium Themenbotschafter der Initiative Neue Qualität der Arbeit für Wissen und Kompetenz. In netzwerk südbaden beleuchtet er in einer Reihe von Interviews mit Führungsverantwortlichen aus der Region die veränderten Anforderungen an Führung in der Praxis.