Ein Gespräch mit dem Wirtschaftsweisen Prof. Lars Feld und Johannes Ullrich, Chef der Handwerkskammer über Neuerungen im Handwerk, Erschwernisse durch Bürokratie – und welche Auswirkungen die demografische Entwicklung hat.
Interview Rudi Raschke
Wie kam Ihre Zusammenarbeit zustande? Welche Berührungspunkte gibt es zwischen der Handwerkskammer und der wirtschaftspolitischen Lehre?
Ullrich: Anlass für unsere Zusammenarbeit ist das „Projekt Handwerk 2025“ vom baden-württembergischen Handwerk und Wirtschaftsministerium. Der Austausch mit der Wissenschaft ist fester Bestandteil dieses Projekts. Für uns hat Professor Feld die Kompetenz schlechthin bei einem Thema, das uns alle sehr bewegt: Die Zukunftsfähigkeit unserer Branche. Wir müssen als Kammer im Dialog mit den Betrieben den Finger in die Wunde legen, wenn es um die Konfrontation mit wichtigen Handlungsfeldern geht. Es gibt Daten und Fakten, mit denen sich das Handwerk beschäftigen muss. Herr Feld kennt sie, ich kenne sie. Mit uns beiden treffen Theorie und Praxis aufeinander. Unsere gemeinsame Message könnte sein, dass sich die Politik – gerade auf Bundesebene – verstärkt mit den Belangen des Handwerks beschäftigen muss.
Herr Prof. Feld, Sie sagen, dass im Handwerk durch die Auftragslage derzeit ein Personalmangel besteht, bei dem es um Überkapazitäten geht. Wie sieht Ihre Analyse bezüglich des Fachkräftemangel und des demografischen Wandels aus?
Feld: Die Entwicklung schaut so aus, dass wir im dritten Jahr in Folge eine Überauslastung der Kapazitäten haben, in der Baubranche sogar seit längerem. Das schlägt auf das Handwerk durch. Wir sagen Fachkräfteengpässe, weil wir davon ausgehen, dass der Mangel erst noch richtig kommt. Das Handwerk hat zusätzlich das Problem, dass in unserer Gesellschaft und der Bildungspolitik weiterhin viele junge Menschen an die Hochschule gebracht werden sollen. Da spielt der internationale Vergleich und auch der Druck der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine Rolle – sie wählt völlig falsche Vergleiche zwischen Deutschland und anderen Ländern.
Worin bestehen die falschen Annahmen über Ausbildung und Studium im internationalen Vergleich?
Feld: Im Durchschnitt der OECD ist unberücksichtigt, wie stark die Duale Ausbildung hier ist: Bei uns werden Auszubildende als Arbeitnehmer gezählt, in Portugal, Spanien oder Italien haben wir keine Duale Ausbildung. Wer sich dort beispielsweise als Krankenschwester ausbilden lässt, wird als Studentin gezählt, nicht als Arbeitnehmer. Wer die Botschaft ausgibt, Deutschland hätte eine unterdurchschnittliche Akademisierung, gibt eine falsche Wahrnehmung wieder. Dieses strukturelle Problem betrifft das Handwerk. Die großen Probleme kommen in zwei, drei Jahren auf uns zu: Um 2020/2021 geht der demografische Übergang richtig los, dann gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente. Danach kommen nicht mehr genügend junge Alterskohorten nach.
Aus dem temporär klingenden Engpass würde für das Handwerk ein strukturelles Problem?
Feld: Ja. Und das wird lange andauern, nach den bisherigen Prognosen bis ins Jahr 2080. Damit sind wir weltweit eines der Länder mit den größten demografischen Problemen. Japan hat sie jetzt schon, auf China kommen diese Probleme ebenfalls später zu.
Was ist dem Handwerk und anderen Branchen hier zu empfehlen?
Feld: Man wird sich darauf einstellen müssen, dass dieser Mangel nicht ohne Weiteres zu beheben ist. Es gibt zwar die Hoffnung, dass sich das über die Migration machen lässt, aber da sind wir skeptisch. Es bräuchte eine deutlich stärkere Brutto-Zuwanderung pro Jahr, als wir sie normalerweise haben. Die ist nicht zu erwarten, mit der entsprechenden Qualifikation finden sich gar nicht so viele Menschen, die nach Deutschland wollen.
Ullrich: Zumal sie ja auch nicht allein zum Handwerk kämen: Dienstleistungen, Pflege und Handel kämpfen alle mit dem selben Problem. Auch wenn Migration das Problem alleine nicht lösen kann: Sie ist ein wichtiger Baustein für uns. Als Handwerk fordern wir ein modernes Einwanderungsgesetz, das auch dem Handwerk nutzt und nicht nur akademische Abschlüsse berücksichtigt. Das mag komplizierter sein, ist aber notwendig. Nicht nur weil unsere Betriebe schon immer, und gerade jetzt, wichtige Integrationsarbeit für die Gesellschaft leisten.
Was kann das Handwerk selbst tun?
Ullrich: Man muss sehen, wie man als Betrieb attraktiv bleiben und die Attraktivität erhöhen kann. Indem man beispielsweise die Besonderheiten des Unternehmens klarer heraus stellt. Aber auch die Qualität bei Praktika und in der Ausbildung erhöht. Es gibt unzählige Punkte, an denen jedes Unternehmen je nach Branche, Größe etc. ansetzen kann. Das heißt aber auch, dass andere, die sich weniger attraktiv präsentieren oder nach Schema F weiterarbeiten, das Nachsehen haben.
Sie haben aber auch im Vorfeld einer gemeinsamen Diskussion in Lahr angedeutet, dass in Deutschland wenig Ermutigung zur Selbstständigkeit stattfindet. Wäre das eine große Hilfe für das Handwerk – und mehr als nur ein Wandel von angestellten Meistern zu Betriebsinhabern?
Feld: Wir erleben vielfach die Frage, wie Unternehmen in die nächste Generation übergehen, oft genug gibt es diese bei Handwerksunternehmen gar nicht. Nicht zuletzt aufgrund der Akademisierungsidee, die wir in Deutschland voran treiben. Aus dem Unternehmen heraus selbstständig zu werden, bedeutet, dass andere einen Betrieb führen können, wenn es innerhalb der Familie keinen funktionierenden Übergang gibt. Und wir haben immer noch einen Finanzengpass für junge Unternehmen. Die Eigenkapitalfinanzierung ist vor allem Unternehmen vorbehalten, die schon lange im Markt sind. Junge haben es schwer, auch an Kredite zu kommen.
Im Handwerk gibt es häufig die Variante, dass mittelgroße Betriebe die kleineren übernehmen.
Ullrich: Diese Tendenz ist klar erkennbar. Wir haben das im Blick. Das ist für sich gesehen auch nichts Negatives, aber wir hoffen natürlich schon, auch in Zukunft die Wirtschaftsmacht von nebenan zu sein, also mit unseren Angeboten nah am Kunden zu sein. Die Nachfolgeproblematik haben wir seit vielen Jahren auf dem Schirm. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Der Trend an die Unis wurde hier schon erwähnt. Ein zweiter ist die niedrige Arbeitslosigkeit in Deutschland. Da schwindet die Risikobereitschaft traditionell. Früher gab es ein weit größeres Interesse junger Handwerker, sich nach der Meisterschule selbstständig zu machen. Heute sind die Jungmeister einerseits jünger, viele haben aber auch nicht genügend Kapital für einen alteingesessenen Betrieb. Deshalb arbeiten sie lieber als angestellter Meister.
Feld: Die Rahmenbedingungen müssen eben auch stimmen: In Deutschland machen wir zunehmend mit gesetzgeberischen Maßnahmen die Selbstständigkeit Jahr für Jahr unattraktiver. Denken Sie an die Diskussion um den „Soli“: Da sollten 90 Prozent der Steuerzahler entlastet werden, aber die übrigen zehn Prozent tragen 50 Prozent des Aufkommens, das wird übersehen. Und die sind wiederum vor allem Gewerbebetriebe, Selbstständige und darunter eben auch die Handwerksbetriebe.
Ullrich: Dazu kommt eine wachsende Bürokratie, die zu immer mehr Schreibtischarbeit der Handwerker führt … Feld: … wie Dokumentationspflichten, der Mindestlohn ist beispielsweise für kleine Unternehmen eine Katastrophe. Oder die Verschärfung des Entsenderechts, hier ist in Frankreich die nächste Welle gekommen. Angesichts der Überauslastung des deutschen Handwerks kein Problem – aber sicher auch kein Anreiz, im Ausland zu arbeiten. Das sind die alltäglichen Probleme. Wenn wir von hier zur Digitalisierung kommen….
Feld: …auch das ist ein alltägliches Problem…
… wenn auch ein vergleichsweise abstraktes Thema gegenüber der Bürokratie. Wie sind die Chancen, dass die digitale Arbeit die Bedingungen für das Handwerk verbessert?
Feld: Ich sehe vor allem die Chancen: eine Kompensation für den Fachkräftemangel ist die zunehmende Robotisierung, beim Handwerk aber vor allem die Vernetzung mit dem Kunden. Und ich sehe die Digitalisierung seit den 70er Jahren eher in einer Kontinuität, nicht als Disruption, wie viele behaupten. Die Digitalisierung ist in der deutschen Wirtschaft durchaus schon länger angenommen worden, von der Stahlverarbeitung bis zur Automobilwirtschaft – das hat eher zu einem Beschäftigungsanstieg geführt. Wir haben damit zwar nicht die Produktivität gesteigert, aber Bruttoinlandsprodukt und die Beschäftigung sehr wohl.
Wie sehen konkrete Beispiele aus?
Feld: Im Maschinenbau kennen wir das Problem, dass bei den Produkten in den vergangenen 15 Jahren immer individueller auf Kundenwünsche eingegangen wurde – mit Personal, das in China und insbesondere den USA vorgehalten werden musste. Über die Vernetzung mit dem Kunden ist das heute einfacher möglich. Genau das ist auch eine Chance zur Effizienzsteigerung im Handwerk: weniger Diskussionen mit Kunden vor Ort, auch Sonderwünsche können standardisiert werden. Stellen Sie sich nur vor, was ein Elektriker früher gemacht hat und welche Erleichterungen er heute hat, wenn das alles noch mit einer Schnittstelle verbunden ist.
Ullrich: Wir sehen verschiedenste Bereiche, in denen digital vieles möglich ist: Von der Kfz-Diagnostik über das Gebäudemanagement bis zur digitalen Zahntechnik, für die wir als Handwerkskammer Freiburg über ein deutschlandweit einmaliges Kompetenzzentrum verfügen. Spannend finde ich, wenn Handwerksbetriebe ihre kompletten Abläufe durchleuchten, um zu erkennen, wo ihnen Digitalisierung hilft: Vertrieb, Marketing, Kundenmanagement, Einsatzplanung. Durch die erwartete Effizienzsteigerung lässt sich in vielen Bereichen der Fachkräftemangel zumindest abschwächen. Unsere Aufgabe als Kammer ist es, beim Projekt „Handwerk 2025“, die Betriebe dahingehend zu sensibilisieren, auch wenn die Auftragsbücher voll sind. Oder gerade dann. Ein komplexes Thema, das wir im Fokus haben müssen, auch über 2025 hinaus. Unsere Berater werden den Betrieben nicht erklären können, was sie genau zu tun haben. Sie helfen aber dabei, die richtigen Fragen zu stellen. Wir informieren, beraten und begleiten.
Feld: Man muss das jetzt nutzen. Gerade in dieser Interaktion von Personalproblematik und technischem Fortschritt, der parallel läuft. In der Situation mit der Überauslastung der Kapazitäten fällt es Unternehmen natürlich schwer, sich den nächsten Schritt der Innovation zu überlegen, die Zeit ist einfach nicht da. Je kleiner das Unternehmen ist, umso schwerer ist das. Deshalb warnen wir auch davor, in dieser Situation noch mehr mit der Geldpolitik aus allen Rohren zu schießen. Das verhindert Innovation.
Steht das Thema Handwerk für sie auf der Agenda im Sachverständigenrat, Herr Prof. Feld?
Feld: Nicht als gesondertes Thema, aber wir führen Anhörungen der Spitzenverbände durch, bei denen das Handwerk in die Betrachtung einfließt. Traditionell waren das BDI, BDA, DIHK und DGB, seit einigen Jahren auch der ZDH, der Zentralverband des Deutschen Handwerks. Weil wir gewisse Besonderheiten sehen, die sich anders als bei Ärzte- oder Apothekerverbänden darstellen. Bei den Entwicklungsnotwendigkeiten, die wir daraus ableiten, beispielsweise der zusätzlichen Belastung durch Regulierung, sind die kleineren Handwerksbetriebe durchaus ein Thema für uns.
Ullrich: Natürlich werden wir gehört. Aber werden wir auch erhört? Wir sehen die Entbürokratisierung noch nicht, auch wenn sie im Koalitionsvertrag steht. Bäcker oder Dachdecker schimpfen, was durch die Dokumentationspflicht alles auf sie zukommt. Da herrscht in den Betrieben durchaus ein Wut-Potenzial auf die Bundesregierung.
Sie haben sich das Jahr 2025 als Horizont eingerichtet – welche Veränderungen halten Sie bis dahin im Handwerk für möglich?
Ullrich: Die Digitalisierung wird bis dahin deutlich Einzug gehalten haben und uns auch entlasten. Für uns ist es wichtig, bis zu diesem Zeitpunkt die Betriebe deutlich im Personalmanagement zu unterstützen und dadurch Erfolge zu erzielen. Der Vorteil im Handwerk ist, dass wir viele kleine Einheiten sind. Das macht uns insgesamt flexibler und erlaubt uns eine ganz eigene Dynamik. Wir werden 2025 großartige Handwerksbetriebe vorfinden, es werden aber mit Sicherheit auch einige vom Markt verschwunden sein, die sich das heute noch gar nicht vorstellen können.