Wer Software zur Transformation von Unternehmen anbietet, muss sich selbst weiterentwickeln. Das überregionale Unternehmen Netgo hat in Freiburg im Kreativpark Lokhalle eine Niederlassung bezogen. Und bundesweit die Software-Entwicklung mit agilen Methoden auf Vordermann gebracht.
Von Rudi Raschke
Am Anfang stand ein klassisches Systemhaus, das 2007 im münsterländischen Borken gegründet wurde. Heute sind 16 weitere Adressen in ganz Deutschland und eine in Holland hinzugekommen. Und eine beachtliche Weiterentwicklung, die neben den initialen EDV- und IT-Lösungen über Server- und Storage-Angebote hin zu Co-Creative- Konzepten und moderner Entwicklung führt. Diese gründet vor allem auf eine Erneuerung des Software-Designs, bei der mit agiler Vorgehensweise eine neue Art der Zusammenarbeit mit den Kunden gefördert wird. Die Methodik wurde schon um die Jahrtausendwende erstmals beim Namen genannt.
Christian Schmidt, der Chefentwickler von Netgo in Borken, spricht bei einem Besuch in der Lokhalle darüber, wie sie aus Sicht der Kunden, aber auch seines Unternehmens funktioniert. Ganz grundsätzlich, sagt er, sei die alte Art der Entwicklung in der Planung mit einem treppenartigen Wasserfall vergleichbar gewesen. Vor allem in traditionellen Hierarchie-Modellen gibt es weiterhin einen Projektverlauf, bei dem die nächste „Treppe“ genommen wird, sobald die vorige passiert ist. Ein lang abgestimmter Verlauf, bei dem es immer wieder zu Stauungen kommen kann. Und das Projektergebnis bisweilen auf Missfallen beim Kunden stoßen kann: Vor allem, wenn er zwischendurch nicht in der Form eingebunden war, dass er einzelne Meilensteine beobachten konnte. Man könnte es mit einer feierlichen Enthüllung am Tag X vergleichen, die auch hin und wieder Enttäuschungen hervorruft, wenn das Tuch gefallen ist.
Anders in der agilen Vorgehensweise, die in kürzeren Zeiträumen flexibler arbeitet: Zwei Wochen werden als Spanne eines „Sprints“ angesetzt, Kunden können ebenso transparent eingebunden werden, wie alle Teilnehmer, die die Entwicklung in Teams bearbeiten. Die Aufgaben sind klarer „portioniert“, ein nur auf ein fernes Ende gedachtes Arbeiten entfällt zugunsten sich wandelnder Herausforderungen im Projekt. Überdies sorge die Transparenz für ein grundsätzliches Vertrauen, sagt Schmidt. Tägliche Stand-up-Meetings regeln einzelne Aufgaben bei Netgo in Kürze, Schmidt kann sich aus der Zentrale nach Freiburg virtuell zuschalten. Die Führung ist dabei auf mehrere Schultern verteilt, bei der die gemeinsame Planung im Mittelpunkt steht: wer sich welche Aufgaben greift, ist ebenso demokratisch geregelt wie die Einschätzung der Schwierigkeit. Die Bewertung, wieviel Manpower und Zeit für etwas verwendet wird, ist dem Team überlassen – beim „Scrum-Poker“ schätzen die Mitarbeiter ihre Aufgaben selbst auf einer Skala von 1 bis 12 ein. (Die vielfach thematisierte Vokabel „scrum“, wörtlich ‚Gedränge‘, bezeichnet sowohl das Regelwerk des Ganzen als auch die Form der Meetings.)
Die gegenwärtige technische Entwicklung macht es nicht nur möglich, standortübergreifend die unterschiedlichen Spezialisierungsgrade zusammenzubringen. Sie bietet auch eine Automatisierung beim früher manuellen Schreiben von Codes, die eine Programmierung beschließen. Mehr Aufwand kann deshalb für Feedbackschleifen eingesetzt werden, auch ein kollegialer „Doublecheck“ nimmt die Last von Einzelnen – nicht zuletzt deshalb, weil ein „Zerhäckseln in Einzelprozesse“ eben auch die Sprint-Schritte leichter überprüfbar macht, sagt der Freiburger Standortleiter Tobias Salb. Und weil der sogenannte „Scrum Master“ die Prozesse im Stil eines Schiedsrichters beobachtet. Und wie bei einem sportlichen Team sei hier die Möglichkeit gegeben, dass ein Einziger, beispielsweise der Software-Architekt, dabei aufgefangen wird, wenn er Gefahr laufe, seine Aufgaben „an die Wand zu fahren“, sagt Salb. Die agile Methode der Entwicklung ist ein nahe liegendes Verfahren, wenn alte Hierarchien abgetragen werden und Mannschaftsgeist gefragt ist.
Bei allem, was es an gelernten Projektmanagement-Vorstellungen revolutioniert, ist es dennoch ein logischer Entwicklungsschritt – bei dem übrigens das Software- Design sich an industriellen Produktionsmethoden wie der Kanban-Idee im „Lean Management“ orientiere, erklärt Christian Schmidt. Aus der Selbstdisziplin erwachsen hier Freiräume, die auch Errungenschaften wie dem „Open Friday“ des Unternehmens zugute kommen. Einem Tag in der Woche, bei dem Raum ist für Präsentationen, Berichte, auch die Reflexion von Trends. Das alles dokumentiert ein Stück weit den eigenen Wandel des Digitalisierungsbetriebs Netgo, der sich derzeit auch in der Innenarchitektur mehr den offenen Räumen zuwendet. Der Freiburger Standort im Kreativpark Lokhalle dokumentiert die Annäherung an Start-up-Ideen unübersehbar. Am 22. November findet dort übrigens ein „Anglühen“ statt, zu verstehen als Blick hinter die Kulissen mit Ausschank weihnachtsüblicher Getränke – aber auch ein Warmwerden in der neu gefundenen Entwicklungsumgebung.