Dass ein neu gegründetes Unternehmen die ersten Jahre überdauert, ist nie selbstverständlich. Erst recht nicht, wenn es an den Start geht, während die Welt drum herum von einem Tag auf den anderen stillsteht und völlig offen ist, wann es wieder normal weitergeht. So, wie es im ersten Jahr der Coronapandemie der Fall war. Wir stellen fünf Gründerinnen und Gründer und deren Unternehmen vor, die 2020 an den Start gegangen sind und nun fünfjähriges Bestehen feiern.
Texte: Susanne Maerz
Maximilian Wagner, Heinz Wagner Sektmanufaktur, St. Blasien

Einen sechsstelligen Kredit aufgenommen, das Firmengebäude gekauft, mit dem Umbau begonnen, die rechtliche Gründung der Firma vorbereitet – und dann kam der erste Lockdown, und die potenziellen Gastronomiekunden von Maximilian Wagner mussten schließen. „Das war heftig“, erinnert er sich. Was also tun? Den Traum von einer Sektmanufaktur im Schwarzwald begraben, das Gebäude in St. Blasien wieder verkaufen oder weitermachen, den geschlossenen Restaurants und Bars zum Trotz? „Es war eine Alles-oder-nichts-Entscheidung“, erinnert sich der 40-Jährige. Am Ende überwog sein Unternehmergeist: „Man muss auch in der Krise optimistisch in die Zukunft schauen“, ist Wagner überzeugt. Im September 2020 gründete er daher offiziell die Heinz Wagner Sekt GmbH, benannt nach dem Mädchennamen der Großmutter und seinem Familiennamen.
Bei den ersten Schritten kamen Maximilian Wagner seine unternehmerische sowie seine Branchenerfahrung zugute: Nach dem Betriebswirtschaftsstudium arbeitete er erst bei der Münchener Gin-Manufaktur The Duke und machte sich dann mit einem Geschäftspartner selbstständig. Gemeinsam brachten sie den von ihnen kreierten Wermut Belsazar erfolgreich auf den Markt. 2018 verkauften sie die Firma. Der Erlös half Maximilian Wagner bei dem Aufbau der Sektmanufaktur. Den Sekt kreiert und vertreibt er mithilfe seines Teams, das drei Festangestellte sowie sieben Mitarbeitende auf Honorarbasis und Aushilfen umfasst. Trauben und Most kauft er bei Winzern in der Region. Eine Flasche kostet zwischen 21 und 24 Euro. Kunden sind deutschlandweit vor allem gehobene Restaurants, dazu kommt der steigende Export und der wachsende Absatz über den Onlineshop, der mit der Bekanntheit der Marke steigt.
„Da wir bei Null beginnen mussten, war der Start im E-Commerce unglaublich schwer“, erinnert sich Wagner. Auch in der Gastronomie stieg die Nachfrage erst 2022. „Mir fehlen zwei Jahre Umsatz bei laufenden Kosten. Das hat natürlich Nachhall“, sagt Wagner. Daher holte er vergangenes Jahr zwei Bekannte als Gesellschafter mit an Bord, die an den Erfolg der Sektmanufaktur glauben und bereit waren, zu investieren. Der schrumpfende Sektmarkt und die anhaltende Wirtschaftskrise schrecken weder sie noch Wagner, der damit rechnet, in diesem Jahr endlich eine schwarze Null zu schreiben. Er betont: „Die Nachfrage nach hochwertigen Produkten ist nach wie vor da. Die Menschen trinken zwar weniger Alkohol und gehen seltener auswärts essen. Aber wenn sie das tun, suchen sie das Besondere.“
Andreas Müller, Fire Life GmbH, Gottmadingen

Brandschutz und Beratung zum Zeitmanagement – mit diesen zwei ziemlich unterschiedlichen Standbeinen ist Andreas Müller im Februar 2020 in die Selbstständigkeit gestartet. Dass er zweigleisig fuhr, war sein Glück. Denn während es angesichts der Lockdowns schwer bis unmöglich war, Firmen für den für ihn neuen Bereich der Unternehmensberatung zu akquirieren, konnte er beim Brandschutz auf ein bestehendes Fundament aufbauen: Bevor er seine Fire Life GmbH gründete, hatte der heute 34-jährige Sicherheits- und Brandschutzingenieur als angestellter Geschäftsführer eines auf Brandschutz spezialisierten Ingenieurbüros gearbeitet. Mit diesem kooperierte er nun. Während der Pandemie lief es auf dem Bau noch gut – und somit auch im Brandschutz. „Das hat uns den Grundumsatz gesichert“, sagt Andreas Müller.
Parallel dazu nutzte er die Jahre 2020 und 2021, um die Unternehmensberatung aufzubauen. Er trat in virtuellen Formaten als Speaker zum Thema Zeitmanagement auf und entwickelte sein Konzept des „Feel-Good-Managements“. Unter diesem Oberbegriff spricht Andreas Müller inzwischen auf Messen oder bei Veranstaltungen von Verbänden und Firmen oder berät Unternehmen zu verschiedenen Aspekten eines stressfreien Arbeitsplatzes. Diese umfassen beispielsweise die Kommunikation im Team, Zeitmanagement und Burn-out-Prävention. Das Know-how dafür hatte er sich erst nebenberuflich angeeignet und dann zu Beginn der Selbstständigkeit vertieft.
Seine beiden Geschäftsbereiche sind seit Februar auch formal getrennt: Die Fire Life GmbH hat nach wie vor den Schwerpunkt Brandschutz, die Unternehmensberatung ist nun in der Zeitmagnet GmbH gebündelt. Beide haben ihren Sitz in Gottmadingen, wohin Müller mit seiner Frau gezogen ist, die mit zwei weiteren Angestellten für die Unternehmen arbeitet. Auch wenn Andreas Müller inzwischen mit Brandschutz und Unternehmensberatung etwa jeweils die Hälfe seines Umsatzes erwirtschaftet, ist er mit der Entwicklung noch nicht ganz zufrieden. „Mitarbeiterfürsorge wird in vielen Unternehmen immer noch als Luxus angesehen“, sagt er. Dabei sei es wichtig, die Beschäftigten nicht mit Stress und Druck zu verheizen, besonders in wirtschaftlichen Krisenzeiten wie diesen. Schließlich hätten viele Menschen angesichts des Stellenabbaus in unterschiedlichen Branchen Angst um ihren Arbeitsplatz. „Da ist es wichtiger denn je, dass sich die Beschäftigten im Unternehmen wohlfühlen.“
Raquel Neubig, Young and Brave, Freiburg

T-Shirts, Bodys und Kleidchen in blassem Rosa, hellem Grün oder anderen Naturtönen hängen an den Ständern in dem Baby- und Kindermodegeschäft „young and brave“ in der Freiburger Gerberau. In den Regalen finden sich Puppen, Trinkflaschen und Accessoires – wie auch die Kleidung aus hochwertigen und natürlichen Materialien und von kleinen, oftmals wenig bekannten Labels. Hinter der Theke steht Raquel Neubig, berät Kundinnen, kassiert und bestellt neue Ware. Sie ist in jeder Hinsicht in Freiburg als Unternehmerin angekommen.
Ihr Start allerdings verlief anders als geplant. Im März 2020 wollte sie mit ihrem Mann und den zwei kleinen Kindern von Zürich nach Freiburg ziehen, ihren Onlineshop für Baby- und Kindermode hierher verlegen und ein Ladengeschäft eröffnen. Die alte Wohnung war gekündigt, die neue gemietet. Doch dann kam der erste Lockdown, die Grenzen wurden dichtgemacht – und die Familie musste zwei Monate in der Schweiz überbrücken. Im Mai konnten sie schließlich umziehen. Und die gebürtige Brasilianerin und gelernte Kommunikations- und Marketingmanagerin suchte und fand bald einen Standort etwas abseits gelegen in der Fischerau, der Platz für ihr Lager sowie ein kleines Ladengeschäft bot. Im August gründete sie die deutsche Firma, im November 2020 eröffnete sie ihr Geschäft.
Die weiteren Lockdowns brachten ihr allerdings nicht die erhoffte Kundschaft. „Auch als ich wieder öffnen durfte, kamen die Menschen nur langsam wieder in die Stadt“, erinnerte sie sich. Zum Glück sei die Miete bezahlbar gewesen, und sie konnte ihren Onlineshop weiter betreiben. Dies ermöglichte ihr ein langsames Herantasten daran, welche Produkte in Freiburg gefragt sind und welche eher nicht. Vor rund eineinhalb Jahren zog sie an den heutigen, zentraleren Standort in der Gerberau. Gerade einmal 36 Quadratmeter ist der Laden groß. „Aber ich kann meine Ware besser präsentieren“, sagt Raquel Neubig, glücklich darüber, dass sie damals den Zuschlag bekam. Mittlerweile hat die 43-Jährige hier eine Stammkundschaft aufgebaut, auch Touristinnen und Touristen kommen gerne. „Das Konzept funktioniert“, sagt sie. „In Freiburg gibt es wirklich einen Bedarf für hochwertige Produkte in Bioqualität für Babys und Kinder.“ Ihr Onlinehandel ist inzwischen ein Nebengeschäft.
Abda und Michael Hitz, A+M GmbH, Schopfheim

Eigentlich war Anfang 2020 schon alles geplant: Abda und Michael Hitz wollten im Rahmen einer Altersnachfolge ein regionales Unternehmen übernehmen. Die Gespräche mit dem bisherigen Eigentümer liefen gut. Doch dann kam Corona, und die Bank sagte den in Aussicht gestellten Kredit ab. Für das Ehepaar allerdings kein Grund, die Idee von der Selbstständigkeit aufzugeben. Also hielten die Textilingenieurin und der Wirtschaftsingenieur weiter die Augen offen. Die heute 39-Jährige war gerade in Elternzeit und ihr sechs Jahre älterer Mann arbeitete noch als Prokurist bei einem japanischen Messtechnikgerätehersteller. Als sie die Ausschreibung des Bundesgesundheitsministeriums für die Produktion von OP-Masken entdeckten, bewarben sie sich kurzerhand – und erhielten den Zuschlag. Das war im April 2020. Mitten im ersten Lockdown. Im selben Monat gründeten sie die A+M GmbH, suchten und fanden in einer ehemaligen Sockenfabrik in Schopfheim passende Räume, kauften Maschinen und bauten eine Produktion auf. Diesmal, mit dem Bundesministerium im Rücken und einer örtlichen Bank, klappte es auch mit dem Kredit. Ab August 2020 stellten Abda und Michael Hitz Masken her: auf vier Anlagen mit bis zu 30 Mitarbeitern in zwei Schichten.
Doch als immer mehr günstigere Produkte aus China auf den Markt kamen und sich ein Ende der Pandemie abzeichnete, gingen die Aufträge zurück. Mitte 2022 musste das Ehepaar Maschinen stilllegen und die Zahl der Mitarbeitenden reduzieren. Ihnen kam jedoch zugute, dass sie schon 2021 begonnen hatten, die Produktpalette zu erweitern. Inzwischen können sie rund 1500 Artikel für Pflege- und Gesundheitseinrichtungen anbieten. Ende 2021 hatten sie zudem zwei Unternehmen übernommen: Die Firma Diebeg aus Thüringen ist auf den Vertrieb von Berufsbekleidung unter anderem für die Pflege spezialisiert, und SEV bietet Notstromaggregate sowie Batterien für Baustellen oder die Feuerwehr an – heute der größte Umsatzbringer für Abda und Michael Hitz. „2022 war wie ein zweites Gründungsjahr“, erinnert sich Michael Hitz, froh darüber, dass er und seine Frau früh die Weichen neu gestellt haben. Denn: „Von der A+M GmbH allein könnten wir nicht mehr leben.“ Heute beschäftigen sie neun Mitarbeitende und suchen weitere für den Außendienst. Und auf dem Schreibtisch von Michael Hitz stehen drei Telefone – je nachdem, welches klingelt, meldet er sich mit dem entsprechenden Firmennamen.
Marco Gutjahr, Balanced Wave, Pfaffenweiler

„Sie sind wie ein Pflaster, das nur für kurze Zeit hilft“, sagt Marco Gutjahr, wenn er darüber spricht, dass viele Unternehmen Teambuildingtrainings an einem Tag im Jahr anbieten „ohne nachhaltige Integration und Reflektion des Erlebten“. Während seiner Arbeit in der Personalentwicklung bei einem großen regionalen Unternehmen beobachtete er, dass solche Maßnahmen wirkungsvoller sind, wenn man verschiedene Bausteine übers Jahr verteilt und sie zudem in den Unternehmensalltag einbaut. Mit diesem Ansatz machte sich Marco Gutjahr am 1. März 2020 selbstständig. Unter dem Namen Balanced Wave, ausbalancierte Welle, trat der damals 27-Jährige aus Pfaffenweiler, der erst Personal- und Dienstleistungsmanagement studiert und sich dann nebenberuflich als Outdoorteamtrainer, Erlebnispädagoge und Entspannungstherapeut weitergebildet hatte, an Unternehmen heran und bot Kurse für Privatpersonen an. Sein Achtsamkeitskurs mit 13 Teilnehmenden hatte kaum begonnen, als der erste Lockdown kam und er pausieren musste. Auch die Anfragen an seine potenziellen Firmenkunden waren von heute auf morgen hinfällig. Zum einen, weil sie angesichts der Coronamaßnahmen vor Ort nicht umsetzbar waren, zum anderen waren die Unternehmen erstmal damit beschäftigt, selbst mit der Pandemie umzugehen.
Marco Gutjahr musste doppelt umsatteln – und tat es auch: Statt auf Unternehmens- setzte er erstmal auf Privatkunden, statt Indoor- auf Outdoorangebote. Mit einem befreundeten Winzer entwickelte er die Idee von Weinrätselwanderungen. Das war auch während der Pandemie möglich und kam gut an. „Die Idee war aus der Not geboren, aber ich habe sie lieben gelernt“, berichtet Marco Gutjahr, der bald weitere Outdoorevents und Genusserlebnisse entwickelte. Ebenfalls mit Erfolg. Statt für Unternehmen bot er während der Pandemie zudem für Studierende der dualen Hochschule Lörrach, die zu Hause statt auf dem Campus lernten und sich daher nicht persönlich kennenlernten, Kurse zu Achtsamkeit und Teambuilding an.
Nach und nach wuchs sein Portfolio in beiden Bereichen, so dass Marco Gutjahr sie im Jahr 2023 trennte. Unter dem Namen „Balanced Wave“ bietet er nach wie vor Teambuildingprozesse für Geschäftskunden an. Die Marke „Wave Events“ hingegen vereint „eigentlich alles, was in der Coronazeit neu entstanden ist“, erklärt er. Also alle Events zu Genuss, Natur, Begegnung und Abenteuer. Seine Unternehmenskunden, berichtet er, würden häufig Angebote aus beiden Bereichen kombinieren. Marco Gutjahr achtet dann stets darauf, dass sie nicht zu viel Verschiedenes in einen Tag packen, sondern die unterschiedlichen Bausteine gut übers Jahr verteilen.