Fünf Kandidaten haben bisher Bereitschaft erklärt, an der Oberbürgermeisterwahl teilzunehmen. Die Entscheidung am 22. April ist richtungsweisend, wie das Zentrum Südbadens sich weiter entwickeln kann.
Von Rudi Raschke
Die Frage „Satt? Oder hungrig?“ auf dem Titel dieser Ausgabe ist durchaus so mehrdeutig zu beantworten, wie sie angelegt ist: In dem prallen Oberzentrum, das sich stets als sonnig, lebenslustig und schorleselig zu präsentieren weiß, gibt es zunehmend auch Menschen, für die „hungrig“ vor allem ein zu-kurz-Kommen bedeutet: Sei es durch Wohnungsnot oder durch Armut. Eine Spaltung ist in dieser Stadt im Alltag näher gerückt: Kein zufällig mitgehörtes Gespräch im Supermarkt oder in der Kneipe, bei dem es nicht um eine Wohnungssuche geht. Wer ein Heim gefunden hat, wird vor allem als Mitglied der Mittelschicht damit konfrontiert, dass es finanziell eng werden kann. Auf der einen Seite also das gar nicht mehr so beschwingte Lebensgefühl, auf der anderen Seite aber auch eine unglaubliche Veränderungsfeindlichkeit – gerade an den linken und rechten Randbereichen der Bürgerschaft. Dazu gehört nicht nur der Nachbarschafts- Kampf gegen jedweden Wohnungsbau, sondern auch die Aufgeregtheiten um städtische Korinthen, die sich auf den Leserbriefseiten der „Badischen Zeitung“ niederschlagen.
Egal, ob man sich die Konflikte um stillgelegte Tanzbrunnen, Bäume oder Echsen zu Gemüte führt. Oder die vielerorts ausliegenden Unterschriftenlisten, mit denen beispielsweise die kartellartig organisierten Wurststände rund ums Münster vor ein wenig Wettbewerb bewahrt wurden: Beim Inhalt der Debatten lässt sich der Eindruck gewinnen, dass diese Stadt verglichen mit den Problemen ähnlich großer Kommunen durchaus „satt“ daherkommt. Beim Ton der Debatten stellt man dann auch fest, wie hysterisch hier um vergleichbar Kleines gerungen wird. Dass auch Akademiker nicht vor „alternativen Fakten“ zurückschrecken. Und die Grenzen zwischen „hochbegabt“ und „verhaltensauffällig“ hin und wieder verschwimmen.
Die Schauplätze der Aufreger sind stadtteil- und milieuübergreifend verteilt, in Reich des Jägerzauns genauso daheim wie unter dem Tibetwimpel. So gesehen dürften Fragen rund um den Wohnungsbau den Wahlkampf um das oberste Amt der Stadt dominieren, soviel zeichnet sich jetzt schon ab. An diese Probleme schließen sich viele an, zum Beispiel, ob die Stadt es schaffen kann, dass Erzieher oder Pflegekräfte noch hier leben und als dringend benötigtes Personal arbeiten können.
Fragen zu Umwelt oder Kultur dürften es in diesem Jahr schwerer haben, auch wenn sie ebenfalls wichtig für das Zusammenleben sind. Der amtierende Oberbürgermeister sagt, dass die Frage der Wohnentwicklung darüber entschieden wird, wo es baurechtsfähige Grundstücke gibt. Seine Herausforderer Monika Stein und Martin Horn wollen sich im Wahlkampf mit der Rolle der Stadtbau beschäftigen. Aktuell zeichnet sich ab, dass dieser Wahlkampf mit Sachideen geführt wird, die von Seiten der zwei wichtigen Herausforderer Horn und Stein durchaus gute Anregungen bringen können, auch wenn der Oberbürgermeister seinen Titel „verteidigen“ könnte.
Aber entlang von Fragen zur Teilhabe von Bürgern, zur Urbanisierung des Städtles, auch zur Digitalisierung – hier scheint es um grundlegenden Gesprächsbedarf zu gehen, den keiner der drei zentralen Kandidaten übersehen wird. Am Ende wird es auch um den sozialen Zusammenhalt in der Stadtgesellschaft gehen.
Ob es zwischen Weinbau-Ortsteilen und Wiehre-Befindlichkeit, zwischen Herdermer Hanglage und Haslacher Hochhaus noch viele Gemeinsamkeiten gibt? Außer dem Besuch des Münstermarkts am Samstagvormittag oder dem gemeinsamen Absingen des „Badnerlieds“ bei den SC Spielen am Nachmittag?
Der Wahlkampf und das Ergebnis, hoffentlich aber auch eine hohe Beteiligung, werden das zeigen. Daran entscheidet sich auch die Frage, ob die Stadt noch einen weiteren Hunger verspürt: Sich dahingehend weiterzuentwickeln, dass sie wieder sozialer wird und ökologisch bleiben kann. Und vielleicht ein bisschen moderner und motivierter daherkommt als aktuell. Ein zeitgemäßes Lebensgefühl in der Stadt wird die Gemütlichkeit in Freiburg nicht gefährden.