Ein Gespräch von Rudolf Kast mit Rudolf Bischler, Geschäftsführender Gesellschafter der Firma Streit Service & Solution GmbH. Das Unternehmen ist einer der großen Dienstleister in den Bereichen Büroeinrichtung, -Material und -Technik und seinem Selbstverständnis nach ein „kompetenter Rundum-Betreuer“.
Informationen zum Autor:
Der Jurist Rudolf Kast war bei Unternehmen und Verbänden in ganz Deutschland für die Aus- und Weiterbildung und die Personalabteilung verantwortlich. Von 1995 bis 2010 leitete er das Personalwesen der SICK AG in Waldkirch, von 1997 an war er auch Mitglied der Geschäftsführung. Für seine exzellente Personalpolitik wurde er 2006 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Seit 2011 berät er mit seiner „Personalmanufaktur“ mittelständische Unternehmen in personalpolitischen Fragestellungen.Er ist ehrenamtlich Vorstandsvorsitzender des bundesweiten demographie-Netzwerkes ddn e.V. und für das Bundesarbeitsministerium Themenbotschafter der Initiative Neue Qualität der Arbeit für Wissen und Kompetenz. In den kommenden Ausgaben wird er bei netzwerk südbaden in einer Reihe von Interviews mit Führungsverantwortlichen aus der Region die veränderten Anforderungen an Führung in der Praxis beleuchten.
Kast: Herr Bischler, was bleibt, was kommt, welche Veränderungen sehen Sie in der Führungspolitik?
Bischler: Die Geschwindigkeit der Veränderung beschleunigt sich dramatisch durch die Digitalisierung.
Ich stelle Veränderungen in der Einstellung der jüngeren Mitarbeitenden fest, deren Ansprüche an die Arbeitswelt andere sind. Die jungen Generationen Y und Z wollen leben, ein höheres Einkommen vermittelt keine Motivation mehr. Während die ältere Baby-Boomer-Generation gelebt hat, um zu arbeiten, prägen die Jüngeren das Work-Life Blending: Arbeit und Leben sind in einem steten Fluss mit viel Zeit für ein entspannteres und schönes Leben am Flussbett. Als Führungskraft muss ich mich daher fragen, wie ich es schaffe, eine neue Philosophie der Führung zu verankern und die jungen Mitarbeitenden für die Mitarbeit zu begeistern. Ich versuche es mit der Vision, dass unser Unternehmen für das gesunde Büro der Zukunft steht. Mit dieser Sinn stiftenden Aufgabenstellung auch für künftige Mitstreiter ist unsere Vision beschrieben: wir richten nicht nur Büros ein, sondern wir schaffen gesunde Lebens- und Arbeitswelten.
Wenn Sie Begeisterung für Mitarbeit erzeugen, welche Rolle spielt dabei heute noch die Hierarchie und deren Vorgaben im System Arbeit?
Die Zeit des „Vorturners“, des Patriarchen, ist vorbei. Ich sehe mich mehr in der Coaching-Rolle, setze Rahmenbedingungen und entwickle eine Vision für die Zukunft, aber auch dies geschieht in enger Abstimmung mit meinen Führungskräften und Mitarbeitenden.
Die Rahmenbedingungen, die Freude am Arbeiten, will ich als Gesellschafter und Geschäftsführer so gestalten, dass unsere Mitarbeitenden am Montag mit einem Lächeln ins Büro kommen und sagen: „Endlich wieder Montag“. Ich sehe aufgrund aller bei Streit in den letzten Jahren durchgeführten Veränderungen uns hier auf einem guten Weg.
Was bedeutet das für die Organisation der Zukunft?
Noch ist unsere Organisationsstruktur relativ starr, aber ich will sie aufbrechen, um die Stärke der Teams zu fördern, die sich auch selbst bilden können, die ihre Freiräume selbst erarbeiten. Insbesondere jüngere Mitarbeitende wollen dies und ziehen dabei andere mit, bewerben sich initiativ für Veränderungsprojekte. Gemeinsam mit der Hochschule Offenburg gestalten wir das Thema Innovationsmanagement neu. Für das Projekt haben sich viele Mitarbeitende initiativ beworben.
Mit der Digitalisierung im Fokus der Innovation wollen wir neue Dienstleistungen entwickeln, dies ist Aufgabe und auch Verantwortung dieses Teams. Ihnen den Freiraum zu geben, sehe ich sehr bewusst in meiner Rolle, hier werden Ideen entwickelt und mit anderer Methodik gearbeitet, unterstützt durch Teambuilding am Freitagnachmittag mit Snacks, Grillen und dem Feierabendbier. Daraus entstehen spontane, kreative Ideen und damit auch Dienstleistungen, die kurzfristig umgesetzt werden können.
Ihre Rolle ist demgemäß stark auf die Koordination und die Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen fokussiert?
Ja und mit der wichtigen Ausprägung, für diese Teams den richtigen Mix in der Zusammensetzung zu finden. Wichtig ist es, ihnen die Zeit zur Selbstfindung zu lassen und nicht zu früh einzugreifen, wenn es hakt. Wir lassen den Teams also Zeit, sich selbst zu finden und über „Trial and Error“ ihre Ziele zu definieren und Lösungen zu finden.
Wie sehen Sie aktuell die Rolle der Führungskraft in der Informationssteuerung?
Jeder Mitarbeitende muss in seiner Funktion die notwendigen Informationen zur Erfüllung der Aufgaben haben. Wenn bestimmte Ideen auf dem Tisch liegen, die für das Unternehmen risikobehaftet sind, müssen die Mitarbeitenden alle Informationen haben, um die Risikobewertung vorzunehmen. Eine gute Übung für den notwendigen Informationsfluss sind Mitarbeiterbefragungen und die im Anschluss notwendige Beteiligung der Beschäftigten an der Aufarbeitung der Ergebnisse. Wir nehmen seit sechs Jahren an „Great Place To Work“ teil, Deutschlands größter Mitarbeiterbefragung. Beim letzten Mal wurden wir drittbester Arbeitgeber in Baden-Württemberg. Dies war nur möglich, weil wir in der Aufarbeitung früherer Ergebnisse unseren „Mitstreitern“ alle erforderlichen Informationen zur Verfügung gestellt haben. In unseren intern gebildeten SOUL-Teams (SOUL= Streit Organisations- und Unternehmensleitbild) haben alle Beteiligten genau gewusst, was es zu verbessern gilt. Das Gleiche gilt für unser Mitarbeiter-Forum, unsere selbst gewählte Form der Repräsentanz der Mitarbeitenden anstelle von Betriebsräten. Die Akzeptanz ist nur solange vorhanden, wie der Arbeitgeber mit Informationen proaktiv umgeht und Kontinuität darin pflegt.
Was hat sich noch verändert in Ihrer Rolle als Leiter, als oberster Teamsprecher?
Meine Rolle ist Veränderung, und so sehe ich mich in der Vorbildfunktion, dass alle Führungskräfte Veränderung leben. Natürlich besteht die disziplinarische Verantwortung, sie rückt indes in den Hintergrund. Wichtig ist mir die Sorge um die Einhaltung unserer kulturellen Werte: Glaubwürdigkeit, Respekt, Fairness und Teamorientierung und damit den Stolz der Mitstreiter auf das Unternehmen hoch zu halten.
Wie leben Sie dann die Entscheider-Rolle als Führungskraft, was bleibt davon übrig?
Ziele werden immer noch von uns vorgegeben, aber nicht das definitive Erfolgsziel, dies ist aufgrund der gestiegenen Komplexität und Unübersehbarkeit eines zeitlichen Prozesses auch kaum noch möglich. Wir entwickeln dies mehr und mehr gemeinsam in unseren Teams, lassen sie ganz im Sinne agiler Vorgehensweise ihre Ziele und Zwischenziele definieren. Dies entfaltet mehr Überzeugungskraft und Freude und entfaltet die Flexibilität, die wir brauchen. Natürlich wollen wir als Unternehmen wachsen. Die Wege dahin, über welche Produkte, in welchen Branchen, in welchen Prozessketten, diese Fragen überstellen wir mehr und mehr der Teamverantwortung.
Wie gehen Sie mit Fehleinschätzungen der Teams um?
Eklatante Fehleinschätzungen hatten wir bisher nicht. Treten sie teilweise auf, ist es meine mitunter steinige Aufgabe, mit viel Überzeugung für alternative Wege zu werben. Ein Beispiel ist unsere Schwachstellenanalyse: das Thema ist integriert in jeder Prozessbetrachtung. Wenn dabei Themen entdeckt werden, die ich früher direktiv entschieden hätte, bewege ich mich heute im argumentativen Dialog. Das kostet Zeit und Kraft, führt am Ende aber zu besseren Ergebnissen.
Gilt dies auch in einer Krisensituation?
Vor fünf Jahren hatten wir eine Krise, bedingt durch Gesellschafter- und Generationenwechsel. Wir haben ganz bewusst jenseits althergebrachter Krisenmodi auf Kooperation und Kollaboration gesetzt und in der Folge auch durch die Entwicklung einer Familiencharta die Grundlage gelegt für eine mit der Familie abgestimmte zukunftsfähige Unternehmenspolitik.
Kein Interview zu diesem Thema ohne die Frage nach der Agilen
Organisation: Was bedeutet dies für die Führung?
Führungskräfte müssen den Prozess fördern, sich zurücknehmen, die Ressourcen bereitstellen, das Vertrauen in die Expertise und die Selbstorganisation der Mitarbeitenden gewinnen und die Freiräume zulassen. Sofern Unterstützung gefordert ist, ist diese bedingungslos zu leisten. Die Führungskraft nimmt sich zurück und setzt auf die Intelligenz des Netzwerks. Dies gilt auch an der Schnittstelle zum Kunden. Wenn hier das Team neue Wege geht, ist im Zweifel auch die Fehlerkultur von „Trial and Error“ gefragt. Bessere Ergebnisse sind in der Regel die Folge.
Was bleibt als wichtigste Eigenschaft einer Führungskraft?
Für mich ist es die Glaubwürdigkeit, und das lässt sich bündeln in der Erkenntnis: „Den Worten Taten folgen lassen.“