Was ist ihr Erfolgsgeheimnis? Zwei Treffen mit Genossenschaften, die jeder in der Region kennt. Und ein Gespräch mit Manuel Andrack, der in ganz Deutschland auf Raiffeisen-Tour war. Unter anderem auch im Schwarzwald.
Von Rudi Raschke
Eine Tour zu Vorzeige-Genossenschaften in der Region kommt nicht aus ohne das vielleicht bekannteste Modell hierzulande, die Winzergenossenschaft. Knapp die Hälfte der deutschen Wein-Kooperativen befindet sich im Anbaugebiet Baden, Südbaden ist Genossenschaftsland. Die Geschichte der WGs ist durchaus wechselhaft, wie sich beim Besuch in Achkarren zeigt.
Der Chef der Weinbaugenossen-Gemeinde: Denis Kirstein
Fast 90 Jahre ist die dortige Winzergenossenschaft alt, aber dem Haus ist das Bemühen um einen zeitgemäßen Auftritt und eine hochwertige Präsentation mehr denn je anzusehen. Das langgezogene Gebäude unterhalb des Paradegebiets Schlossberg ist heute mehr als eine Traubenanlieferstelle mit Verwaltung: Das große „A“, das auch die Etiketten schmückt, zieht sich am Haupteingang in roter Farbe weithin sichtbar über zwei Etagen. Im Eingangsbereich ist ein Shop, der auch ein privates Weingut aufwerten würde. Das Bemühen um die Etablierung einer Marke im Winzergenossenschafts-Einerlei ist unübersehbar. Die Ausrichtung ist das Ergebnis einer zeitgemäßen Personalpolitik.
Als im Jahr 2016 der damalige Geschäftsführer Waldemar Isele nach fast 28 Jahren in den Ruhestand ging, entschied man sich in Achkarren für Denis Kirstein, der kein Einheimischer war, aber das Vertrauen bekam, die WG mit Ideen von außen voranzubringen: Kirstein hat in seiner Heimat Hildesheim ein landwirtschaftlches Gymnasium besucht, hat BWL in Hamburg und London studiert, er koordinierte danach den Weineinkauf bei einem großen Handelshaus in Schwaben und einem Importeur in München, der Weingüter aufkauft. Wahrscheinlich der genaue Gegenentwurf zur Vorstellung eines WG-Chefs in unserem Landstrich, erst recht, wenn er vor einem sitzt: Der Mittvierziger Kirstein trägt Hornbrillenmodelle, die man eher in Berlin-Friedrichshain sieht als in der Nähe von Bickensohl, er spricht klar und ohne falsche Zurückhaltung über die beeindruckende Arbeit seines Vorgängers, aber auch das, was er daraus weiterentwickelt.
Kirstein hat im engen Verbund mit Kellermeister Christoph Rombach – auch darin erinnern sie an private Güter wie das von Fritz Keller auf der anderen Weinberg-Seite – eine Pyramide definiert, deren Produkte von der Basis bis zur Spitze eine Strategie abbilden, er spricht von „drei Stoßrichtungen“: Ganz oben stehen in Achkarren imageschärfende Editionen, auch limitiert, die eine Flasche WG-Spätburgunder bis knapp an die 30-Euro-Marke heran keltern. Die Basis bilden anständige Tropfen mit dem Anspruch an Qualität und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis im Glas, in der Mitte ist Raum für Experimente: Kirstein schwärmt von einem „knochentrockenen Muskateller“, vom Premium-Müller-Thurgau aus dem Holzfass oder dem Versuch, einen Ruländer nach allen Regeln altmodischer Kunst abzufüllen, Edelpilz inklusive.
Neben derlei WG-untypischen Ideen findet aber auch ein Anfüttern der jungen Zielgruppe statt: Weine, die nicht mehr mit der Rebsorte aufmachen, sondern mit bunten Etiketten, auf denen „Der Berg ruft“ steht oder einfach nur „Glücksgriff“. Die Aufkleber schauen aus wie aus der bunten Welt der Sinnsprüche-mit-Bildern des Freiburger Social-Media-Fürsten Benedikt Böckenförde („Visual Statements“). Man kann das heiter oder albern finden – in der Welt der Winzergenossenschaften ist das „Glücksgriff“-Präsent fürs Date das nette Gegenstück zu früheren WG-Schenkelklopfern wie „macht die Frau ein Donnerwetter, trink ein Viertel Ehrenstetter.“
Herr Kirstein, wie geht Innovation mit so einer Gemeinschaft mit über 300 Mitgliedern zusammen? „Nahezu jeder in einer Genossenschaft hat den Anspruch, Qualität zu produzieren“, sagt der WG-Chef mit Blick auf die sportliche Konkurrenz zu den Nachbargemeinden. Aber ist das wirklich so, wenn jeder im Herbst seine Trauben ablie- fert und sich die Marke mit mehreren hundert anderen teilt, die ebenfalls im großen Bottich aufgehen? Ja, sagt Kirstein, es sei im Prinzip wie bei einem Fußballteam – „auch dort gibt es mal einen, der an einem Tag weniger rennen kann und die Mannschaft fängt es auf“. Wenn es dauerhaft der Fall ist, drohen auch bei der WG Sanktionen.
Kirstein preist wie bei der Kicker-Elf auch für die Genossenschaft das Arbeitsteilige: was der eine nicht kann, fängt der andere auf. Es gebe durchaus Vorteile, wenn man sich zusammentut und ein einzelner Winzer – die meisten sind ja im Nebenerwerb tätig – nicht alles beherrschen muss: Rebenpflege, Lese, Reife, Marketing und Vertrieb seien nunmal Themen, die man besser gemeinschaftlich angehen könne. So trotzt eine Winzergenossenschaft den ganz unterschiedlichen Herausforderungen, die der leicht rückläufige Markt bietet. Davon gab es zuletzt einige: Waren die WGs vor 30, 40 Jahren noch regional unangefochten, schienen sie zwischenzeitlich „links und rechts überrannt“, sagt der Achkarrer WG-Geschäftsführer.
Private Top-Weingüter waren mit höherem Anspruch, mehr Öffentlichkeit und besseren Erlösen unterwegs, im preiswerten Segment fanden Rioja und Weine aus Übersee in den Edeka nach Oberrotweil. Lokale Medien wurden nicht müde, Südbadens Winzern den durchschnittlichen Preis von dürren 2,92 Euro für eine Flasche Wein in Deutschland unter die Nase zu reiben. Dieser beruht darauf, dass 80 Prozent der in Deutschland verkauften Weine bei Aldi und Lidl übers Kassenband gehen. Aber das alles bedeutet ja nicht, dass man nicht im höherwertigen Fünftel punkten kann, ohne jeden Mist mitmachen zu müssen. Kirstein hat in seinem ersten Jahr die Umsätze der WG gegen den Trend um zehn Prozent gesteigert (auf 4,87 Mio. €), im zweiten schaut es noch besser aus.
Ebenfalls gegen den Trend konnte er die Gesamtfläche der Achkarrer WG ausbauen. Ein schönes Beispiel, wie sich Genossenschaften modernisieren können, wenn sie sich in Vertrieb und Image verstärken. Und sich ein bisschen antizyklisch behaupten mit dem, was sie ausmacht, Sorten, Böden, Typizität. Was aber unterscheidet eine Mitgliederversammlung, an der 300 Bürger eines 800-Einwohner-Dorfs Genossen sind, von einem Treffen in anderen Gesellschaftsformen, einer AG zum Beispiel? „Der Punkt ‚Verschiedenes‘!“ sagt Kirstein, ohne groß zu überlegen. Da komme alles auf die Tagesordnung, so kritisch wie konstruktiv, zum Beispiel, wenn schlicht eine Erklärung für das Kürzel BF („Bestes Fass“) auf einem Etikett vergessen wurde. „Wir reden Tacheles“, sagt der WG-Chef.
Der Bankgenosse: Uwe Barth, Volksbank
Tacheles reden können die Mitglieder der Volksbank-Genossenschaft nicht ganz so einfach – aus dem schlichten Grund, dass es 45.000 Menschen sind. Für sie treffen sich stellvertretend 220 Vertreter, die ihre Anliegen vertreten, Berichte hören, für Entlastung des Vorstands und die Bestellung eines Aufsichtsrats sorgen. Dieser, sagt Uwe Barth, der Vorstandssprecher der Volksbank Freiburg, sei bei der Volksbank traditionell unternehmerisch geprägt. Tatsächlich findet sich dort ein guter Querschnitt regionaler Handwerks-, Handels- und Industriebetriebe an der Seite von Experten wie Prof. Bernd Raffelhüschen von der Uni Freiburg. Es entspreche dem Auftrag der Genossenschafts-Bank, die regionale Wirtschaft mit Krediten zu versorgen.
Weil eben auch die wesentlichen Entscheidungen der Bank nicht in Frankfurt oder New York getroffen werden, sondern vor Ort. Barth, der seit 25 Jahren in Diensten der Volksbank steht, seit elf Jahren als Vorstand, kennt andere Anlässe für den Wert einer Genossenschaft als der Winzer Kirstein: Für seine Bank hat sich rund um den großen Zusammenbruch globaler Banken in den Jahren 2007 bis 2009 die Belastbarkeit dieser Rechtsform gezeigt. „Wir galten davor als angestaubt, gemütlich, nicht hip, vielleicht waren die Anzüge nicht dunkelblau genug“, sagt er.
Und zählt genüsslich auf, wie sich die Attribute zum Volksbank- Image rund um den Crash der Lehman Brothers Bank gewandelt haben: „Heute gelten wir als vertrauenswürdig, nachhaltig, bodenständig und professionell“. Auch wenn viele den Knall dieses Crashs nicht mehr so deutlich im Ohr haben dürften wie damals, hält dieser Effekt bis heute an. Denn das Image globaler Geldinstitute steht dem einer regionalen Genossenschaftsbank immer noch arg entfernt gegenüber. „Die Kunden wollen keine Opfer überzogener Renditemaximierung und unwirklicher Bonuszahlungen werden“, sagt Barth und erklärt, dass das Volksbank-Modell in den vergangenen Jahren viele neue Kunden gewonnen habe.
„Weil die Bank den Mitgliedern gehört“. Gewinne seien hier ein Mittel zum Zweck der Vergabe neuer Kredite und gingen nach Abzug der Dividende vollständig ins Eigenkapital über. Das Thema Mitbestimmung mag nicht so basisdemokratisch sein wie in einer Winzergenossenschaft, aber als Unternehmen mit einem Kundenvolumen von 5,8 Milliarden und einer Bilanzsumme von 3,2 Milliarden Euro leistet sich das Haus auch Gremien wie einen Kundenbeirat, der bei Vorgängen wie Filialschließungen einbezogen wird – und eben auch als Seismograf zur Mitgliederbasis dient. Auch hier die Frage, was Mitgliederversammlungen von denen einer AG unterscheidet? Uwe Barth sagt, dass es vor allem das Atmosphärische sei. Volksbanken seien eben geprägt vom Miteinander und von einem skandalfreien Umgang, Aktionärstreffen, die zehneinhalb Stunden dauern, sind ihm fremd.
Für die Zukunft der 151 Jahre alten Genossenschaft steht ein Neubau an, der Hamburger Architekt Hadi Teherani hat ein ansehnliches Ensemble mit Turm an der Stelle der alten Volksbank-Zentrale gegenüber vom Hauptbahnhof entworfen. Für Barth verkörpert der Entwurf nichts Protziges, sondern ein selbstbewusstes Gebäude in der Mitte der Stadt, obendrein stellt es eine kluge städtebauliche Lösung dar, bei der eine Schul-Aula und ein Hotelneubau klug integriert sind. Nicht zu vergessen weitere Gewerbeflächen zur Vermietung, auf ihre Art auch Teil einer genossenschaftlichen Zukunftssicherung. Die das Angestaubte hinter sich gelassen hat.
Der Wanderer zwischen den Genossenschaften: Manuel Andrack
Ein Telefonat mit Manuel Andrack, dem früheren Chefautor und Beisitzer der Harald-Schmidt-Show, heute als Wanderexperte in ganz Deutschland unterwegs. Er war dieses Frühjahr vier Monate auf großer Genossenschaftstour und hat sich in ganz Deutschland den Abwechslungsreichtum an Weltverbesserern, Sparfüchsen, Erzeugern oder Dorfrettern zeigen lassen. In St. Märgen und Freiburg begab er sich auf die Spuren der Genossenschaft Schwarzwaldmilch. Das Kühemelken war sein „höchst gelegener und frühester Termin“, bietet er als druckreifen Superlativ zur Tour an. Aber was erfährt man über Genossenschaften, wenn man morgens um 5.30 Uhr im Schwarzwald Hand ans Euter legt?
Andrack sagt, dass es für ihn zunächst ein „Sendung mit der Maus“-Gefühl gewesen sei: Zu sehen, wie die Milch von der Kuh direkt in den Laster nach Freiburg fließt, wo der Laden steht, der Joachim Faller vom Märgener Christbauernhof „ja schon gehört“, die Schwarzwaldmilch. Dort hat er sich dann auch über die Produkte informiert, die Unterschiede von Bio-, Bio-Weide- und Bio-Heumilch kennengelernt. Jenseits der direkten Wege in die Kühltheke habe er hier aber auch das Phänomen Teilhabe spüren können: Dass einer mit einer Stimme mitentscheiden kann, egal, ob er 5 oder 200 Milchkühe besitzt. Zum Beispiel auch, welcher Milchpreis in Abwägung der Konkurrenzsituation ausbezahlt werden kann.
Oder ob die Schwarzwaldmilch wie seit drei Jahren das SC-Trikot ausstatten darf und damit bundesweites Marketing macht. Milchbauer Faller sei jedenfalls „ganz stolz aufs Trikot gewesen“, sagt Andrack. Insgesamt habe er auf seiner Tour, die den 200. Geburtstag des Gründervaters Friedrich Wilhelm Raiffeisen als Anlass für eine Werbekampagne mit seiner Mitwirkung nahm, vor allem die unglaubliche Vielfalt der Genossenschaften erlebt, sagt Andrack. Er hat diese Form des Wirtschaftens als regionales Phänomen kennengelernt, das auch bundesweit Furore machen könnte, als er bei Ärztegenossenschaften in Schleswig-Holstein Station gastierte. Die seien weit mehr als nur Einkaufsgemein- schaften, „denen geht es nicht nur darum, das Stethoskop ein paar Cent günstiger zu bekommen.“
Sondern um ein reales Modell, in dem sie sich als leidenschaftliche Landärzte abwechseln können, ohne dass jeder 60 Stunden-Wochen belege. Andrack sagt, dass solche Ärztegenossenschaften im Norden durchaus auch das Zeug zu einer starken Lobbyvertretung hätten. Im Westerwald ist er bei einer Schüler- Genossenschaft, die den Kiosk am Gymnasium betreibt, umgehend eingetreten, drei Anteile à 15 Euro besitzt er jetzt.
Andrack hat genossenschaftlich gebrautes Bier in Oberhaching bei München getrunken, er war bei der „tageszeitung“ in Berlin, hat die Kinogenossenschaft einer Gemeinde kennengelernt, war aber auch bei Rewe und der Baywa, die als Agrar–Konzern auf Primärgenossenschaften ruht. Für ihn war die ursprüngliche Werbetour ein Erweckungserlebnis, das ihm „ein ganz modernes Lebensgefühl“ vermittelte, weil es einen „Bedarf an Werten und Mitbestimmung“ abdecke bei all jenen, die nicht nur auf Statussymbole aus seien. Ähnlich seiner Wanderschaft könne er sich jetzt glatt „eine Neverending-Raiffeisentour“ vorstellen, angelehnt an Bob Dylans Welttournee.
Gibt es ein gemeinsames Fazit zur bestechenden Raiffeisen-Logik „was einer nicht schafft, schaffen viele“? Winzergenossenschafts-Chef Denis Kirstein sagt: „Die Genossenschaften sind auf dem Weg.“ Der Banker Uwe Barth sagt: „Wir wollen wissen, mit wem wir es als Menschen zu tun haben.“ Manuel Andrack sagt: „Es war so bunt, dass ich Fan wurde.“