Die Neuvermessung der Führung: Was bleibt, was kommt? Rudolf Kast im Gespräch mit dem Geschäftsführer der AHP Merkle GmbH Christen J. Merkle.
Von Rudolf Kast
Was bleibt, was verändert sich in der Führung eines mittelständischen Unternehmens?
Die Vorbildfunktion eines Inhabers oder Geschäftsführers bleibt wesentlich. Ich muss mitziehen und mitarbeiten und halte es für unser Erfolgsgeheimnis, dass meine Frau und ich dies so praktizieren. Gleichzeitig haben wir so die Chance, uns wichtige Werte wie Offenheit und Ehrlichkeit gegenüber Mitarbeitern und Kunden ebenso wie eine positive Grundhaltung vorzuleben. Wichtig ist uns auch die Vielfalt durch einen hohen Frauenanteil in Führungspositionen in der Verwaltung, in den technischen Disziplinen ist dies noch schwierig.
Welche Veränderungen bewirken Frauen im Management?
Für mich ist es eine Bereicherung durch andere Herangehensweisen, unterschiedliche Sichtweisen und alternative Beurteilungen. Ich habe zum Beispiel einen Mitarbeiter, den ich in seinen Leistungen ganz hervorragend bewertete. Meine weiblichen Führungskräfte bemerkten indes, dass dieser Kollege zu viel arbeitet und eine gesundheitliche Gefährdung nicht ausgeschlossen ist. Frauen nehmen die ganze Persönlichkeit in den Fokus, es wird persönlicher und menschlicher und unser Blickwinkel auf den Menschen verändert sich.
Wie hat sich Ihre Einstellung, Ihr Rollenverhalten mit Blick auf Ihre interpersonelle Rolle in der Hierarchie, als Vorbild und als Repräsentant in den letzten Jahren verändert?
Ich wurde in diesem Betrieb als junger Mann groß, hatte von Anfang an ein anderes Rollenbild, weil ich meine Mitarbeitenden eher als Kollegen /innen sehe. Ich fühle mich nicht als graue Eminenz, sondern bin hier hineingewachsen. Natürlich ist es heute ein Vorteil, dass mein Name mit dem Firmennamen identisch ist. Das ist viel wert, vor allem aber nach außen zum Kunden hin. So ist auf meiner Visitenkarte auch mein Kopf graphisch gezeichnet. Dies symbolisiert, dass ich auch den Kopf hinhalten muss. Ich trage als Gesellschafter das alleinige Risiko. Unsere Mitarbeitenden schätzen die Identifikation der Familiemit dem Unternehmen und identifizieren sich mit dem Unternehmen, abzulesen an hohen Zustimmungsraten und äußerst geringer Fluktuation. Wir als Familie identifizieren uns mit dem Unternehmen, in das wir unser gesamtes Geld investieren.
Welche Rollenbilder verändern sich in Führung und Zusammenarbeit?
Seit Anfang dieses Jahres stellen wir in einem Pilotprojekt im Verkauf auf sich selbst organisierende Teams um. Die vorherige Abteilung Innendienst ist jetzt ein Team. Was heißt das konkret? Angefangen hat alles mit einem weißen Blatt in einem Workshop mit der Frage, wie würden sich Abläufe bei einem völligen Neuanfang ändern? In drei Gruppen wurden unabhängig voneinander völlig identische Ergebnisse erzielt und wir haben uns neue Spielregeln erarbeitet von der Auftragserteilung bis zur Auslieferung. Die Teams entscheiden alle Vorgänge selbstständig, will ein Kunde einen Vorgesetzten sprechen, gibt es diesen nicht mehr. Dies ist aber auch nicht nötig, die Teams treten den Kunden gegenüber mit viel Zuwendung und Verantwortung auf, es muss nicht mehr hoch delegiert werden. Alle handeln jetzt mit Blick auf ihre Rolle noch verantwortlicher für das Unternehmen.
Kann das auch Auswirkungen auf die Teamvergütung haben?
Das ist ein langfristiges Ziel von uns, wir haben Lust dies auszuprobieren und eine teamorientierte Vergütung zu praktizieren, in der das Team miteinander die Ziele setzt und auch untereinander über die Vergütung entscheidet.
Ist das Teil Ihres Verständnisses von visionärer Führung?
Ich gebe sicherlich starke Impulse hierzu und ermuntere das mittlere Management, diese Freiheit ebenfalls zu praktizieren. Das ist ein Prozess, der nicht verordnet werden kann, sondern aus Überzeugung wachsen wird. Die Teams haben jetzt für die Dauer von zwei Jahren Teamkoordinatoren gewählt. Diese haben die Aufgabe, das Team zusammenzubringen, Teambesprechungen zu organisieren etc. Hierfür bekommen sie eine Funktionszulage. In Zukunft sollen die Koordinatoren auch die Mitarbeitergespräche führen, eventuell auch die Gehaltsthemen steuern. Es ist ein Weg zu einer partizipativen Führung, ich weiß noch nicht, wo wir landen, aber es fühlt sich gut an.
Wer in Zukunft führen will, muss also partizipativ führen?
Es ist ein Weg mit vielen guten Beispielen und wir wollen alle Führungskräfte auf diesem Weg mitnehmen. Das ist für unser Verständnis sehr wichtig. Ich gebe zu, dass es mir sehr schwer fällt, Aussagen zu akzeptieren wie „…so bin ich, so werde ich bleiben…“. Das ist mittel-und langfristig für mich nicht akzeptabel. In einem Fall hat sich das Team für eine frühere Führungskraft eingesetzt, die diese Veränderung zu bewältigen hatte und nun mit seinem für uns wertvollen Wissen in einer fachspezifischen Senior Berater Funktion tätig ist, ein Gewinn für alle Beteiligten. Ich kann eine Führungskraft nicht halten, wenn die Gefahr besteht, dass ich deswegen viele andere verliere, insbesondere jüngere Mitarbeiter, die selbst gestalten wollen. Integrative Führung in meinem Verständnis ist ja ein entscheidendes Merkmal für Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt.
Wie verändern sich in partizipativen Führungsmodellen die Informationsflüsse?
Zunächst einmal steht immer der Vorwurf im Raum, man informiere zu wenig. Wir haben zentrale Info-Bildschirme im Betrieb stehen, auf denen alle Mitarbeitenden die wichtigsten Informationen zur aktuellen Geschäftslage abrufen können sowie aktuelle Mitarbeiterangebote wie zum Beispiel das Job-Rad. Grundsätzlich ist Information mehr Holals Bringschuld. Zwei Mal im Jahr veranstalte ich mit meiner Frau (ebenfalls Geschäftsführerin) eine Sprechstunde für alle Mitarbeiter, die kommen wollen, diese stellen ihre Frage und wir beantworten diese. Ferner gibt es jede Woche in der Montagsrunde die Regelinformationen für Führungskräfte, die diese dann an die Belegschaft weiterleiten. Das gelingt mal besser, mal schlechter. Durch die selbstorganisierten Teams verändert sich gerade dieser Informationsfluss, sie entscheiden selbst, was sie brauchen und eine Erkenntnis ist: nicht alle brauchen alle Informationen. Ich sehe auch hieran, wie unsere sich selbst organisierenden Teams das Unternehmen in andere Entwicklungsstadien bringen und wir so auch schon für unsere nächste Familiengeneration Perspektiven entwickeln.
Was bleibt dann übrig von der Entscheidungsrolle der Führungskraft?
Letztlich alle wichtigen finanziellen Aspekte, vornehmlich die Investitionen, weil hier zu prüfen ist, wie wir dies finanzieren können, da sehe ich insbesondere meine Rolle als Gesellschafter. Ich sehe auch hier eine steigende Verantwortung der autonomen Teams und meine Rolle mehr und mehr in der des Repräsentanten.
Welche soziale Verantwortung hat Führung? Sie sind ja bekannt für Ihr soziales Engagement?
Vor 30 Jahren ging es dem Unternehmen nicht gut, wir waren in stürmischen Zeiten. Als die Situation besser war, war es meine Mutter, die uns den Merksatz eingeprägt hat, an andere zu denken, denen es nicht so gut geht. Dies führte dann zur Gründung der Stiftung, über die wir soziale Projekte abwickeln wie zum Beispiel unser Brotprojekt in der Ukraine und daneben seit Jahren nun viele Projekte hier direkt in der Region. Wenn wir einmal im Jahr unsere Spendenaktion durchführen und Projekte fördern, sind hier mittlerweile auch die Mitarbeiter im Sammeln von Spenden aktiv integriert. Unsere Auszubildenden sind im ersten Ausbildungsjahr eine Woche bei der Freiburger Tafel oder im Essenstreff aktiv. Wir wollen unseren Nachwuchskräften den Blick auf einen Teil der Gesellschaft vermitteln, die in einer schwierigen Lebenssituation sind. Diese Woche ist für die Auszubildenden sehr fordernd und prägend. Der Nebeneffekt ist ein positives Image unseres Unternehmens, das ist aber nicht das Ziel dieses Engagements.
Wie lautet abschließend Ihre „Road Map“ der Führung?
Führung ist letztlich sehr einfach: Mitarbeitende soll man so führen, wie man selbst gerne geführt würde.
Die AHP Merkle GmbH
Seit 1973 liefert das Unternehmen an namhafte Kunden, unter anderem aus dem Werkzeug-, Formen- oder Maschinenbau, dem Aluminiumdruckguss oder anderen Branchen. Als familiengeführtes Unternehmen beschäftigt die Firmengruppe neben knapp 220 Mitarbeitern bei AHP Merkle GmbH am Stammsitz in Gottenheim weitere 20 Mitarbeiter bei Baden Hydraulik GmbH in Waldkirch-Kollnau. Weitere 12 Mitarbeiter in den Niederlassungen in Hongkong, Suzhou und Shenzhen (China) sowie seit Mai 2018 jeweils vier Mitarbeiter bei AHP Merkle Italia srl. und AHP Merkle Portugal Lda. ergänzen das AHP Merkle Team. Darüber hinaus betreuen weltweit rund 20 Auslandsvertretungen in Europa, Amerika, Asien und Indien AHP Merkle Kunden direkt vor Ort.
Rudolf Kast
Der Jurist Rudolf Kast war bei Unternehmen und Verbänden in ganz Deutschland für die Aus- und Weiterbildung und die Personalabteilung verantwortlich. Von 1995 bis 2010 leitete er das Personalwesen der SICK AG in Waldkirch, von 1997 an war er auch Mitglied der Geschäftsführung. Für seine exzellente Personalpolitik wurde er 2006 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Seit 2011 berät er mit seiner „Personalmanufaktur“ mittelständische Unternehmen in personalpolitischen Fragestellungen. Er ist ehrenamtlich Vorstandsvorsitzender des bundesweiten demographie-Netzwerkes ddn e.V. und für das Bundesarbeitsministerium Themenbotschafter der Initiative Neue Qualität der Arbeit für Wissen und Kompetenz. In netzwerk südbaden beleuchtet er in einer Reihe von Interviews mit Führungsverantwortlichen aus der Region die
veränderten Anforderungen an Führung in der Praxis.