Online-Shopping hat das Konsumverhalten grundlegend verändert, der stationäre Handel steht seit Jahren unter Druck. Doch die Digitalisierung birgt für die traditionellen Geschäfte auch Chancen. Wie gehen Freiburgs Einzelhändler damit um?
Von Simon Langemann
„Click & Collect“ bei Luitpold Bauer: Versandkosten sparen
Werkzeug, Gartengeräte, Haushaltswaren, Deko-Artikel, einzelne Schrauben und Nägel – und das alles in einem charmant- chaotischen Ladenlokal: Der traditionsreiche Eisenwarenhändler Luitpold Bauer am Schwabentor ist auf den ersten Blick so gar kein Geschäft, hinter dessen Schaufenstern man übertriebenen Digitalisierungseifer vermuten würde. Doch Inhaber Miro Lippmann arbeitet bereits seit ein paar Jahren mit dem Dienstleister Inventorum zusammen. Die Berliner Firma bietet Einzelhändlern ein digitales Kassensystem an, das Webshop, Warenwirtschaft, Buchhaltung und Kundenverwaltung verbindet. Infos wie Einkaufspreis, Lagerbestand, Mehrwehrtsteuer, Ermäßigungen oder manuelle Rabattierung sind nur einen Barcode-Scan entfernt.
Fügt man dem Sortiment via Tablet ein neues Produkt hinzu, wandert es über den Server in Sekundenschnelle ins System. „Einfacher geht es für uns nicht“, sagt Lippmann. „Das nimmt uns viel Arbeit ab und hält uns konkurrenzfähig.“ Das 1925 gegründete Traditionsgeschäft digitalisiert sich – doch der Kundschaft eröffnen sich dadurch bis dato noch keine neuen Möglichkeiten. Das Programm dient bislang der Vereinfachung innerer Geschäftsabläufe. Im August 2019 soll jedoch auch der nach außen sichtbare Teil des Systems an den Start gehen: der Web-Shop. Jedes der insgesamt etwa 12 000 Produkte wird dann auch per Versand erhältlich sein. Um den dadurch entstehenden Aufwand zu stemmen, wird Lippmann zwar eigens eine zusätzliche Arbeitskraft einstellen.
Die Etablierung eines neuen Geschäftsmodells hat er aber nach eigenem Bekunden nicht im Sinn. Ihm gehe es viel mehr um die dieser Tage unverzichtbare Präsenz im Netz, die er nun auch ohne dauerhaft beschäftigten IT-Experten realisieren könne. „Ansonsten bleibt alles wie es ist. Wir wollen auch weiterhin Nahversorger sein.“ Die Versandkosten werden mit 6,50 Euro denn auch vergleichsweise hoch sein. „Es muss sich eben rechnen“, entgegnet Lippmann. „Wir können nicht so sehr auf Masse setzen wie Amazon.“ Einheimische können sich das Geld ohnehin sparen, denn im Shop wird auch die Option „Click & Collect“ verankert sein. Heißt: zuhause recherchieren, online bezahlen und die Ware dann vor Ort abholen. Ein Angebot, auf das in Freiburg auch große Händler wie die Buchhandlung Rombach, das Modehaus Breuninger und IKEA setzen.
„Click & Reserve“ bei Kaiser: die unverbindliche Lösung
Die Kaiser-Modehäuser geben ihren Kunden seit sechs Monaten das Web-Tool „Click & Reserve“ an die Hand. „Online reservieren, vor Ort probieren!“, lautet der dazugehörige Claim, der das Vorgehen im Grunde hinreichend erklärt: Hat man sich ein Kleidungsstück online ausgesucht und in der entsprechenden Größe reserviert, liegt es tags darauf ab 12 Uhr im zuständigen Modehaus bereit. Vor Ort kann man es dann innerhalb der nächsten drei Werktage anprobieren und kaufen – oder eben nicht. Angenommen werde das Angebot bislang recht gut, sagt Sandra Suhr aus der Marketing-Abteilung.
Allerdings habe man bisher noch wenig Außenwerbung gemacht. „Das wollen wir nächstes Jahr verstärken.“ Man sehe das Ganze eher als Ergänzung, das Hauptaugenmerk liege weiter auf persönlicher Beratung. „Zum Zeitgeist gehört aber, dass der Kunde sehr gut informiert in den Laden kommt und sich dort finales Feedback abholt.“ Gerade die elementare Vorab-Recherche könnte man dem Verbraucher durchaus noch leichter machen. Denn wer nach einer konkreten Marke sucht, stößt auf eine nicht unwesentli- che Hürde: Eine Filter- oder Suchfunktion gibt es auf der Website nicht.
Stattdessen muss man sich ausgehend von verschiedenen Kategorien (Casual, Contemporary, Business, Premium und so weiter) durch Hemden, T-Shirts und Winterjacken klicken, selbst wenn man ausschließlich einen Pullover braucht. So gleicht die Suche gewissermaßen dem klassischen – und zeitaufwändigen – Herumstöbern vor Ort. Das könnte sich aber bald ändern: „Click & Reserve“ biete sich für das Unternehmen zurzeit als logistisch wesentlich einfachere Vorstufe zum echten Online-Shop an, sagt Sandra Suhr. Eine endgültige Umstellung sei durchaus angedacht.
Flight 13 Records: die Webshop-Pioniere
Eine Art Gegenentwurf zum klassischen Einzelhändler, der eines Tages der Digitalisierung nachgibt und online geht, findet sich im Freiburger Stühlinger. In der Geschichte des Plattenhandels Flight 13 Records trifft digitale Vorreiterschaft auf analoge Nostalgie – oder konkret: ein bereits vor Jahrzehnten in Betrieb genommener Web-Shop auf vermeintlich anachronistische Medien wie Vinylplatten und Print-Katalog. Das 1986 gegründete Unternehmen kombiniert einen bundesweiten Versandhandel mit einem stationären Laden – wobei der Schwerpunkt des Geschäftsmodells auf ersterem liegt.
Folglich lag der Griff zu digitalen Werkzeugen ohnehin näher als für den rein üblichen Einzelhändler. „Wir sind ja ein klassischer Mailorder, der von Anfang an mit Listen und später mit Katalogen gearbeitet hat. Und plötzlich war da dieses World Wide Web. Das war spannend und natürlich wollten wir dabei sein“, blickt Inhaber Tom Haller zurück. Noch vor der Jahrtausendwende sei man dann mit einer ersten, rudimentären Version einer Internet-Präsenz online gegangen. „Das ist aber nicht mit dem heutigen Standard von Web-Shops vergleichbar“, sagt Haller. „Es war quasi nur eine Auflistung, die alle paar Wochen aktualisiert wurde, ohne Bestellfunktion und so weiter.“ Von da aus habe man sich dann immer weiter professionalisiert.
Aber: „Wir lieben es, regelmäßig Printkataloge zu verschicken und wollen damit niemals aufhören“, so Haller. „Aktuell gibt es ja kaum noch Musik-Mailorder, die einen Katalog machen. Das ist natürlich ein prima Alleinstellungsmerkmal für uns.“ Nach dem Prinzip „Click & Collect“ lässt es sich übrigens auch bei Flight 13 einkaufen – wenngleich es weder so genannt noch explizit angeboten wird. Plattenladen und Versandhandel seien eigentlich zwei Systeme, sagt Haller, aber natürlich könne man etwas online bestellen und im Laden abholen. „Das läuft eben nicht automatisiert, sondern da gehen ein, zwei Mails hin und her. Wir finden den persönlichen Kontakt super.“ Nebenbei firmiert unter dem Namen Flight 13 Records bis heute ein kleines Musiklabel.
Wie digital ist der Handel?
Die techconsult GmbH aus Kassel erstellt im Auftrag der Deutschen Telekom seit drei Jahren den „Digitalisierungsindex Mittelstand“. Im Rahmen dieser Studie werden verschiedene Branchen zu ihrer digitalen Entwicklung untersucht – so auch der Handel. „Unsere Studienergebnisse zeigen, dass der Handel die digitale Transformation konsequent von Jahr zu Jahr vorantreibt“, sagt Senior Analyst Verena Bunk. Allerdings gebe es Unterschiede in den Unternehmensgrößen. „Größere Handelsunternehmen sind digital besser aufgestellt als kleinere Einzelhändler.
Denn sie verfügen über interne IT-Abteilungen, die den digitalen Wandel voranbringen.“ Die Verbraucher hätten sich schon seit Jahren an das große Produktsortiment, die günstigen Preise und die Bequemlichkeit des Online-Handels gewöhnt, sagt Bunk. „Für den stationären Händler bedeutet das: Er muss näher an den Kunden heran, ihn mit neuen Geschäftsideen und individuellen Angeboten bedienen, stark Service-orientiert sein und letztendlich Kauferlebnisse schaffen, die den Kunden wiederkehren lassen.“ Das individuelle Kaufverhalten in Datenbanken zu speichern und auf dieser Basis personalisierte Angebote zu erstellen, sei dabei für viele Händler längst gang und gäbe.
Modernes Customer- Relationship-Management, kurz: CRM, unterstütze die Händler und trage dazu bei, die Kundenbeziehung zu stärken. Und was bringt die Zukunft? Verena Bunk nennt die an einzelnen Stellen bereits eingesetzte Augmented-Reality-Technologie: „Durch die Visualisierung von Produkten und die Einbindung in Kundenumgebungen lassen sich neue Kauferlebnisse schaffen.“ Ein wichtiger Trend sei auch das Internet of Things (IoT). Digitale Vorzeigefirmen hätten ihre Produkte und Waren bereits vernetzt oder präsentierten ihre Angebote über Großbildschirme. „Weitere Händler werden dem folgen“, prophezeit Bunk.