Mehr Vielfalt zum Thema gab es selten: In Unternehmen und Institutionen findet heute auf unterschiedlichsten Ebenen ein Diskurs statt, womit wir uns täglich beschäftigen. Nach dem Ende der Pandemie werden diese Fragen noch dringender.
VON RUDI RASCHKE
Das Thema „New Work“ ist grundsätzlich kein einfaches Unterfangen: Wo mancher meint, dass das „new“ schon wieder ein alter Hut sei, gibt es in der Region durchaus Menschen, die noch wenig Berührungspunkte damit hatten. Stichprobe bei der örtlichen Tageszeitung: „New work“ findet in deren Website-Suche im Wesentlichen in drei Ergebnissen statt, die auf ein und denselben Vortrag beim Freiburger Mittelstandskongress 2019 zurückgehen.
Der Rest der Einträge lebt mit einer Ausnahme von der Verwechslung mit der Stadt New York. Das war in etwa die Ausgangslage, als wir das Thema „New Work“ vor zwei Monaten für diese April-Ausgabe ins Auge fassten. Und dann erwischte es uns mit voller Wucht: als Selbstversuch, wie er sich für eine Redaktion nicht ausdenken ließ. Mit einem Schlag standen wir durch das Covid-19-Virus vor der Situation, unsere eigene New Work zu organisieren.
Sechs Festangestellte, sechs voneinander getrennte Büros, im Wesentlichen zuhause. Und damit auch das Fehlen einer gemeinsamen Routine, das Wegfallen klassischer Medientermine, dazu viel Selbstorganisation, Arbeiten auf dem Balkon, Videokonferenzen beim Spaziergang und das Ende des klassischen Arbeitstags, wie wir ihn kennen. Auch wenn dieser Zustand noch eine Weile andauern wird: er ließ sich (abseits der Umstände einer weltumspannenden Pandemie) zeitweilig genießen.
Jeder von uns hat in dieser Zeit ein paarmal die Erfahrung gemacht, dass vieles so neu ist, dass man damit wenig falsch machen kann: Kein falsches Outfit in der Videokonferenz, kein Problem, wenn die Kinder ins Bild lugen, keine Frage, dass man nicht fürs Hinterteilplattsitzen bezahlt wird, sondern auch draußen reflektieren und somit arbeiten kann. Aber das ist auch ein riesiges Privileg.
Weit weg von der Digitalisierung
Viele können sich in diesen Tagen keineswegs einfach mal entscheiden zwischen alter und neuer Arbeit. Weil sie schlicht an alte Arbeitszusammenhänge (Fließband, Acker, Ladenkasse, Pflege, Küche) gebunden sind. Oder weil sie von Vorgesetzten gezwungen werden, die das noch nicht glauben können mit dem eigenverantwortlichen Erledigen von Tätigkeiten.
Die auf Kontrolle statt Vertrauen setzen: Auch nach allen stay-at-home-Appellen ist man bei jedem Morgenspaziergang immer noch erstaunt, wer einem in diesen Tagen auf dem Weg zur scheinbar unumgänglichen Dienststuben-Pflicht entgegenradelt. Vielerorts ist schlicht der Stand der Digitalisierung schuld. Der Berliner „Tagesspiegel“ berichtete am 6. April, dass gerade 2.500 von 100.000 Verwaltungsangestellten der Haupstadt zuhause voll arbeitsfähig sind, vier Prozent. “Wir sind technisch kurz hinter der Karteikarte“ wird eine Bezirksstadträtin zitiert.
Hier ein komplett rückständiger Apparat, in dem man gar nicht fragen darf, ob es sich nach New-Work-Kriterien arbeiten ließe. Dort ein urbanes Milieu, das immer weiter weg ist vom festen Arbeitsplatz, geregelten Zeiten und einer geraden Sitzhaltung mit Laptop auf dem Schoss. Das ist die Kluft bei Arbeitsverhältnissen und -Methoden, die durch die Corona- Situation noch deutlicher zutage getreten ist.
Zu den Errungenschaften der „New Work“ gehört heute durchaus auch, dass sie angreifbar geworden ist und diskutabel: Nicht wenige sehen sie als schöne neue Arbeitswelt, in der Folgen wie Burnout oder das völlige Vermengen von Privatem mit Beruf in Kauf genommen werden für ein wenig Lockerheit und Distinktion.
Neue Arbeit schafft neue Möglichkeiten
Trotzdem sind wir als Arbeitende damit weiter denn je gekommen, was allein der Mix der Themen in diesem Heft zeigt: Wenn wir davon ausgehen, dass der rumbrüllende, inkompetente Chef in beigefarbener Kulisse mit Gummibaum heute keinerlei Einfluss mehr hat, dann ist ein unglaublicher Freiraum entstanden, der kreativ ausgefüllt werden kann: „New Work“, das ist heute das Zusammenspiel neuer Führungsstile, von Zusammenarbeitsmethoden über Entlohnungs- und Arbeitszeitmodelle bis hin zu Meetingkultur, Standort und Mobiliar. Nicht zuletzt die Personalbindung.
Bis zum Corona-Ausbruch, das ist eine wenig gewagte These, lag das Augenmerk hierzulande angesichts von Vollbeschäftigung eher beim Wohlbefinden des Arbeitnehmers als des Arbeitgebers. In der Generation Y der modernen Mittdreißiger ist Vollzeitarbeit Montag bis Freitag beinahe ausgestorben. Sicher auch ein Ergebnis der Debatten rund um die Work-Life-Balance. In Führungsfragen findet heute aber bereits die Reflexion statt, ob grundsätzlich alles nach Agil-Methoden organisiert werden kann oder ob es für große Aufgaben und Strategisches noch ein wenig Leadership benötigt, wie Markus Reithwiesner, CEO und Vordenker der Haufe Group, kürzlich bei seinem Eröffnungsvortrag anlässlich des Freiburger Unternehmer- Symposiums verriet.
War New Work in den Nuller-Jahren eher ein Konzept, das neuartige Erfrischungsgetränke, Tischkicker und später auch Palettenmöbel in die Eingangshallen von Büros karrte, war es eine Dekade später eher der methodisch-technische Diskurs, Stichwort „Scrum“ und andere Arbeitsweisen, die meist durch verschärften Einsatz bunter Post-its gekennzeichnet werden. Heute sind wir hier weiter.
Denn es kann als gesichert gelten, dass es nicht mehr darum geht, die angesagteste Management-Literatur in ein Unternehmen zu tragen. Sie sollte auch zum Selbstverständnis der Firma passen. Organisationen hinterfragen sich mehr denn je, auch jene, die nicht über Jahrzehnte mehrere Generationenwechsel oder Produktwandlungen hinter sich haben, sondern relativ neu in der Arbeitswelt sind.
Der Ursprung des Begriffs “New Work”
Zu erleben war dies von Januar bis Ende Februar bei einem Projekt in der Freiburger Lokhalle, einem Start-up-Zentrum, wo Freiberufler aller Couleur eine Containerlandschaft mit Firmengründern teilen. Für „Work in Progress“ hatten sich der Fotograf Christoph Düpper, die Autorin Melanie Heusel und der Gestalter Elmar Birk zusammengeschlossen. Am Ende druckten sie eine Zeitung im klassischen Format, die das Produkt ihrer eigenen Forschungsreise war – porträtiert wurde beispielsweise, welche Typen von Arbeitern die New Work zustande bringt.
Welche Unternehmen mit neuen Methoden zu Erfolg gekommen sind. Aber es wurde auch mit einem Planspiel die Gemeinsamkeiten im Lokhallen-Denken abgeklopft. Und dabei im Hinterkopf behalten, ob dieses bunte Mosaik an „New Workern“ in seiner Gesamtheit auch wie ein „ganzes“ Unternehmen auftreten könnte. Das Spannende daran ist, dass gegenwärtige Sinnsuchen wie diese den Kreis zum Beginn der Reise schließt, als der Begriff der „New Work“ überhaupt erstmals verwendet wurde.
Der Philosoph Frithjof Bergmann entwickelte ihn vor über 40 Jahren, nachdem er in den 70er Jahren eine erste Digitalisierungswelle (!) bei General Motors in Michigan untersucht hatte. Das Spannende: Bergmann versuchte mit den Arbeitern, bei denen durch Computer ein Teil der Arbeitszeit eingespart wurde, so etwas wie eine Berufung herauszufinden, warum der Job sie erfüllt. Und wie sie damit experimentieren könnten, um mehr Freude in der Arbeit zu finden.
Diese Frage nach dem „Purpose“, dem „Warum“, treibt heute in vielfältiger Form die Menschen an, aber auch ganze Unternehmen. Bergmann lebt inzwischen in Österreich, am Heiligabend kann er dieses Jahr seinen 90. Geburtstag feiern. So Gott will, wird er nach dem Ende der Corona-Pandemie wieder ein vielgefragter Zitatgeber sein. Es wird danach auf jeden Fall Unternehmen geben, die versuchen, wieder den alten Trott zu finden. Allerdings haben nicht wenige der Angestellten in diesem Land in den vergangenen Wochen ihre Arbeit erstmals als New-Work-Erfahrung gestalten dürfen. Dass nichts mehr so sein wird wie zuvor, scheint bereits jetzt gesichert zu sein.