Ihr Nachname ist der häufigste in Deutschland, aber ihr Handwerk ist rar: das Familienunternehmen Müller in Oberkirch-Tiergarten ist einer von nur noch vier Brennerei- Herstellern in Deutschland. Neben der Tradition überzeugt das Ortenauer Unternehmen vor allem durch innovatives Arbeiten – so gelang ihm ein weltweiter Durchbruch.
VON ANNA-LENA GRÖNER
Mitten im 800-Seelen-Ort Oberkirch-Tiergarten in der Ortenau steht die Müller Brennereianlagen GmbH. Genau hier baute der Urgroßvater Franz Müller vor 90 Jahren einen klassischen Schmiedebetrieb auf. Damals wurden unter heißen Flammen vor allem Hufeisen und Wagenräder produziert. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg richtete der Familienbetrieb den Fokus auf Brennereien. Vater Bernd Müller, Schmiedemeister und heutiger Geschäftsführer, hat die Spezialisierung und den Ausbau des Unternehmens seit den 60er Jahren weiter vorangetrieben.
Vor drei Jahren sind die beiden Söhne Sebastian (30) und Lukas (28) in den Betrieb eingestiegen, der jüngste Sohn, Clemens (23), studiert aktuell Automatisierungstechnik. Einer Übergabe an die vierte Generation steht nichts im Wege. Trotz traditionsreichen Handwerks ist der Familienbetrieb Müller mutig genug für neue Wege, verlässt immer wieder seine Komfortzone und investiert vor allem in die eigenen Mitarbeiter. Die meisten der insgesamt 15 Kollegen wurden im Betrieb ausgebildet.
Im Februar gab es für all den Mut und die Mühen eine Belohnung durch die Handwerkskammer (HWK) Freiburg: sie zeichnete die Müller Brennereianlagen GmbH zum „Handwerksunternehmen des Jahres 2019“ aus. „In diesem hochspezialisierten Bereich verknüpfen die Müllers erfolgreich Altbewährtes mit neuen innovativen Ideen“, begründete die HWK ihre Wahl. „Unsere Arbeit zeichnet sich durch Handwerkskunst, das Gespür für die Materialien und natürlich Talent und Geschick aus“, sagt Sebastian Müller, studierter Betriebswirt, ausgebildeter Brenner und im Unternehmen für den Vertrieb verantwortlich.
Von Oberkirch in die Welt
Gerade in seinem Aufgabenbereich darf man nicht an Traditionen festhalten, sondern muss agil bleiben, da geht es um nicht weniger als ums Überleben. Also haben Müllers in den vergangenen Jahren ihren Kundenradius deutlich ausgeweitet und gewohnten Boden verlassen. Zwar zählt gerade der badische Klein- und Obstbrennerverband fast 15.000 Mitglieder, wodurch Baden weltweit als die Region mit den meisten Brennereien auf einem Fleck gezählt werden kann – da können selbst Schottland und Kentucky nicht mithalten.
Doch mit Wegfall des Branntweinmonopols Ende 2017 haben deutschlandweit viele Brenner ihr Handwerk niedergelegt. Die oft fehlende Betriebsnachfolge sieht Sebastian Müller als weiteren Grund für den hiesigen Rücklauf. Auch wenn die meisten Müller-Anlagen noch in der Region zum Einsatz kommen, der Bedarf scheint hier vorerst gedeckt. Hinzu kommt: wer sich einmal eine Müller-Brennerei angeschafft hat – los geht es bei 30.000 Euro – der hat die nächsten 20 bis 30 Jahre etwas davon. Inzwischen gehen 70 Prozent der Müller‘schen Kupfer- und Stahlarbeiten ins Ausland.
„Bevor mein Bruder und ich 2016 in den Betrieb gekommen sind, wurden unsere Anlagen hauptsächlich in Deutschland und Europa verkauft. Das lag vor allem am fehlenden Englisch meines Vaters“, sagt der 30-jährige Vertriebler. Die junge Generation bringt die nötigen Sprachkenntnisse mit. Mittlerweile kann auch die eigene Website auf Englisch dargestellt werden und aus Oberkirch-Tiergarten liefert Müller nach Hong-Kong, Vietnam, in die USA, Kanada, Kenia und Äthiopien.
Die weiteste Reise einer Müller-Anlage ging nach Tasmanien, ans andere Ende der Welt. Um diesen neuen Arbeitsumständen gerecht zu werden, waren neben Englischkenntnissen vor allem neue Arbeitsmethoden und -techniken erforderlich. Jede Anlage ist schließlich ein Unikat, angefertigt nach den speziellen Kundenwünschen. Wenn nicht vor Ort vermessen werden kann, schicken die Kunden ihre Baupläne per Mail nach Oberkirch, „diese lesen wir ein und zeichnen die Anlage digital so ein, dass es für den Kunden passt und er sich eine Vorstellung machen kann, wie es nachher aussieht“, sagt Sebastian Müller.
Logistischer Aufwand
Logistisch sind solche Aufträge eine große Herausforderung und nehmen viel Zeit in Anspruch: Bevor die Anlage verschickt werden kann, wird sie einmal komplett im Betrieb in der Ortenau aufgebaut, anschließend in ihre Einzelteile zerlegt, sicher in Container verladen und per Logistikunternehmen verschickt. „Zur Montage vor Ort reisen wir persönlich an und nehmen uns ausreichend Zeit, um mit den Kunden die Anlage zu besprechen und sie in das Brennen einzuweisen“, sagt der Betriebswirt Müller.
Durch diese intensive Kundenbetreuung seien schon viele Freundschaften auf der ganzen Welt entstanden und die eigene Hausbar immer gut gefüllt. Zurück in Oberkirch können Müllers ihren Kunden auch aus der Ferne behilflich sein: neben klassischen Anlagen, die manuell bedient werden, fertigt das Handwerksunternehmen Brennereien mit digitaler Steuerung an, die eine Fernwartung möglich machen. Dazu braucht es lediglich eine sichere Internetverbindung.
Die Kombination aus modernen Möglichkeiten und ehrlicher Handarbeit zahlt sich aus. Zwei bis drei Wochen dauert die Fertigung einer Brennereianlage, die Kunden müssen sich jedoch länger gedulden: „Die Nachfrage unserer Anlagen ist sehr hoch. Wir haben aktuell Lieferzeiten von knapp einem Jahr“, sagt Müller Junior. Aufgrund der Corona-Situation könnte es bald noch länger dauern. „Wir hätten beispielsweise eine Anlage nach Indien liefern sollen“, sagt Sebastian Müller, „aber Indien hat einen Importstopp verhängt, daher steht die jetzt noch hier. Wir beziehen auch einige Komponenten von Zulieferern aus Italien, die jetzt zum Großteil Produktionsstopp haben.“
Doch man habe rechtzeitig Material bekommen und sei daher noch entspannt. Entspannt ist auch der Blick in die weitere Zukunft der Müller Brennerei GmbH: Die Übergabe an die vierte Generation wird in den kommenden vier bis fünf Jahren erfolgen, dann möchten die jungen Söhne gerne weitere Veränderungen in der Struktur des Betriebs und der Arbeitsweise vornehmen, schließlich „gibt es immer Optimierungsmöglichkeiten.“