Das Virus hat unser Leben auf den Kopf gestellt: Lockdown, Lockerungen und Maskenpflicht fordern nicht nur Arbeits- und Privatleben heraus, sie haben auch unser Kauf- und Konsumverhalten verändert.
Warum ist der regionale Einzelhandel nicht ersetzbar? Was können kreative Krisen-Geschäftsmodelle bewirken? Markus Tauschek ist Professor am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität Freiburg. Sein Schwerpunkt liegt dabei unter anderem auf der Wirtschaftsanthropologie sowie der Kulturpolitik:
„Wir Menschen haben nach wie vor und sicher auch nach der Pandemie ein großes Bedürfnis nach Erlebnis. Shopping ist so ein Erlebnis, zudem noch mit großem Mehrwert, da es stark an soziale Kontakte geknüpft ist: man trifft andere Menschen, wird gesehen und kommt raus. Es hat auch sehr viel mit Routinen und Gewohnheiten zu tun. Zum Beispiel der ritualisierte Samstagsausflug, bei dem man auf den Markt geht oder eben in der Innenstadt bummelt.
Das sind Alltagsroutinen, die sich sehr stark in unsere zeitlichen Ordnungen eingeschrieben haben und die nicht plötzlich durch eine Krise oder Pandemie weg sind. Onlineshopping kann bei aller Bequemlichkeit dieses Bedürfnis nicht stillen. Nicht umsonst sieht man gleich nach den ersten Lockerungen wieder vollere Innenstädte. Selbstverständlich noch nicht in dem Ausmaß wie vor dem Lockdown, dazu fehlen noch zu viele Bestandteile, die positiv mit dem Einkaufen verknüpft sind, zum Beispiel entspannt in einem Café zu sitzen.
Nicht mehr unbeschwert
Auch gesellschaftliche Ereignisse, die uns zum Konsum animieren, fallen aus: die Erstkommunion, der 80. Geburtstag, der Oper- oder Theaterbesuch, der einen dazu bringen würde, in eine neue Garderobe zu investieren. Neben fehlenden positiven Einkauferlebnissen wird auch der öffentliche Raum in der Wahrnehmung vieler Menschen plötzlich ganz anders assoziiert. Es ist kein unbeschwerter Raum mehr, in dem man sich frei bewegen kann, sondern für viele ist es jetzt ein Raum, der mit Angst und Gefahr verbunden wird.
Die Menschen sind hier aktuell ziemlich gespalten, das sehen wir sowohl an den Corona-Protesten als auch in den zahlreichen Talkshows zum Thema. Wir sind gerade in einer Phase, die gesellschaftliche Gruppen eher auseinandertreibt oder solche zusammenbringt, die vorher bei Protesten nicht zusammen waren, zum Beispiel linke Verschwörungstheoretiker mit der rechten Szene. Ein erstes Moment in der Krise war die Solidarität und ein großer Zusammenhalt, was völlig typisch ist.
Jetzt erodiert es langsam und es werden wieder partiale Interessen vertreten. Zudem tritt eine Form der Gewöhnung ein, bei der die Menschen die Situation gar nicht mehr so ernst nehmen. Die Frage des Konsums ist durch die Krise sehr sichtbar geworden, von den ersten Debatten ums Hamstern bis hin zu den sicherlich nicht eindeutig belegbaren Vergleichen, was Deutsche, Franzosen oder Italiener gehortet haben sollen. Typisch für Krisen ist, dass das, was vorher selbstverständlich war, plötzlich reflektiert wird und sich verändert.
Neue Formen des Wirtschaftens
Viele Menschen machen sich vermehrt Gedanken, konsumieren anders und kaufen bewusster regional ein, um gezielt zu unterstützen. Hier gibt es eine ganze Reihe von Initiativen, die jetzt regionale und kreative Geschäftsmodelle entwickelt haben, weil sie gemerkt haben, dass es ein Bedürfnis gibt. Das sind neue Formen des Wirtschaftens, die sicherlich positive Effekte haben werden. Gleichzeitig gibt es einen großen Bestandteil der Gesellschaft, der sich diese Angebote nicht leisten kann und nach wie vor darauf angewiesen ist, im günstigeren Discounter einzukaufen.
Da ist das Feld heterogen. Man kann hoffen, dass diese neuen Blicke aufs Konsumieren und diese neuen Formen, die sich daraus entwickelt haben, die Krise überstehen und dazu beitragen, dass es zu einer solidarischeren, nachhaltigeren und faireren Form des Wirtschaftens führt. Jedenfalls verbindet sich für viele die Hoffnung daran, dass das die Krise übersteht.“
Protokoll: Anna-Lena Gröner