20 Jahre Städtepartnerschaft Freiburg und Isfahan. Unter den insgesamt 12 Partnerwappen, die auf den Platz vor das Freiburger Rathaus gepflastert sind, ist es das einzig Umstrittene. Eine Beziehung mit einem totalitären Regime, das Todesstrafen verhängt und Menschenrechte missachtet: Warum hält man daran fest?
VON ANNA-LENA GRÖNER
Aus Freundschaft wird Partnerschaft
Am 27. Oktober 2000 unterzeichneten die Bürgermeister der Städte Freiburg und Isfahan die offizielle Vereinbarung. Die in der Partnerschaft definierten Ziele: Bürger-, Bildungs- und Kulturaustausch, Erfahrungsdialog, vor allem bei den Themen Solarenergie und Verkehrspolitik und Förderung der wirtschaftlichen Beziehungen. Noch bei der Unterzeichnung erklärte Freiburgs damaliger Oberbürgermeister Rolf Böhme, man wolle sich nicht in innenpolitische Angelegenheiten des Irans einmischen.
Wohl auch, weil es Hoffnung gab, das Land würde unter dem als Reformer bezeichneten Staatspräsidenten Mohammad Khatami einen neuen Kurs ansteuern. „Gerade in Isfahan ist die iranische Reformbewegung besonders stark verankert“, versicherte Böhme. Im Stil der vom SPD-Mann Egon Bahr geprägten Politik „Wandel durch Annäherung“ wollte Freiburg seinen neuen Partner auf dem Weg in Frieden und Einheit unterstützen. Quasi Außenpolitik eines 200.000-Einwohner-Städtchens.
Willkür und Todesstrafen
Doch der Wandel vollzog sich in die falsche Richtung. Statt Reformen ging es im Iran verstärkt zurück zu Repressionen. Schuld war die Politik des ultra-konservativen Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad. Von 2005 bis 2013 herrschte Eiszeit zwischen Isfahan und Freiburg. Auch wegen der öffentlichen Forderung des iranischen Staatspräsidenten, Israel von der Landkarte zu streichen. OB Dieter Salomon zog die Reißleine. Keine Beendigung der Partnerschaft, aber eine Auszeit – erfahrungsgemäß ein wenig erfolgreiches Beziehungskonzept.
Dabei sind Trennungen unter Partnerstädten gar nicht ungewöhnlich. Zuletzt hatte sich die Ruhrpott-Stadt Schwerte im Mai aus der Beziehung zur polnischen Stadt Nowy Sacz losgesagt. Nach 36 Jahren war Schluss. Beziehungskiller waren der starke politische Rechtsruck und die öffentliche Haltung gegen Homosexuelle der nationalkonservativen Regierungspartei PiS.
Im Freiburger Gemeinderat gibt es aktuell nur eine Gruppe, die deutlich Stellung bezieht: Die JUPI-Fraktion forderte im August ein Ende der Städtepartnerschaft. Hintergrund waren die Todesurteile gegen fünf junge Männer, die Ende Dezember 2017 in der Provinz Isfahan während Bürgerprotesten für soziale Gerechtigkeit und gegen Unterdrückung verhaftet wurden.
Der Demonstrant Mostafa Selehi soll am 5. August im Isfahaner Dastgerd-Gefängnis erhängt worden sein. Laut einer Amnesty-Studie wurden im vergangenen Jahr 251 Menschen im Iran hingerichtet – darunter vier Minderjährige. Seit Jahresbeginn sind viele weitere Hinrichtungen bekannt geworden. Der Beziehung zwischen Freiburg und Isfahan tut das bisher keinen Abbruch. Auf Nachfrage antwortet OB Martin Horn: „Die Stadt Isfahan ist nicht der richtige Ansprechpartner für die Menschenrechtsverletzungen, die von der nationalen Regierung ausgehen.“
Man würde zwar in Gesprächen mit Isfahan das Thema ansprechen, zuletzt im August bei einer Zoom-Konferenz mit dem Bürgermeister Ghodratollah Norouzi, doch die iranische Stadt habe scheinbar keinerlei Einfluss auf diese juristischen Urteile. Wenn sich die drittgrößte Stadt eines Landes gegen Hinrichtungen aussprechen würde, hat das womöglich keinen Einfluss – aber eventuell einen Effekt? Gegenüber der Badischen Zeitung betonte Ghodratollah Norouzi bei seinem letzten Freiburg-Besuch 2018: „Ich halte mich an alle Regeln und Menschenrechte, die es gibt.“ Viele sind das im Iran bekanntlich nicht.
Kein Kontakt ohne Städtepartnerschaft
Immerhin sind sich alle Freiburger Gemeinderats-Fraktionen in einem Punkt einig: Todesurteile und Menschenrechtsverletzungen sind nicht tolerierbar. Das „Aber“ kommt fast im gleichen Atemzug: man dürfe diese Partnerschaft nicht nur auf oberster politischer Ebene sehen. Dieser Ansicht ist auch Fatima Chahin-Dörflinger, Vorsitzende des 2001 gegründeten „Freundeskreis Freiburg-Isfahan“. 120 Mitglieder zählt der Verein, darunter Iraner, vor allem Deutsche.
Einige kämen aus dem universitären Umfeld, viele hätten einfach Interesse an der Kultur und den Menschen aus Isfahan. Politik am Rande, im Fokus der bürgerliche und kulturelle Austausch. Tatsächlich dienten Städtepartnerschaften nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem dazu, Bürgerbegegnungen zu ermöglichen, Vorbehalte abzubauen und Frieden zu schließen. Aber wer will Frieden mit einem Land schließen, das seine Bevölkerung mit Füßen tritt und für Terror im Nahen Osten verantwortlich ist? Isfahan ist Teil des Regimes, eine wichtige Stadt.
Die in Teheran geborene Chahin-Dörflinger erklärt, wie wichtig die Städtepartnerschaft für die Bevölkerung sei. Sie sorge für die Sicherheit vieler Menschen und deren Einsatz in Isfahan. Der Verein habe Kontakt zu vielen unterschiedlichen Gruppierungen und NGOs, einige würden sich für mehr Frauenrechte einsetzen, manche gegen die Todesstrafe auf die Straßen gehen. Natürlich sei neben den Projekten und Veranstaltungen, die man zusammen organisiere, auch Politik ein Thema. Aber man sei vorsichtig, wolle niemanden in Gefahr bringen.
Der Austausch fordere großes Fingerspitzengefühl, doch ohne die Städtepartnerschaft wäre er unmöglich. „Sie ist die Legitimation für unseren Kontakt und unsere Projekte“, sagt Chahin-Dörflinger. Mit einer Auflösung der Städtepartnerschaft würde man die Personen isolieren, „die durch uns Kraft und Inspiration finden.“ Ein Bürgeraustausch ohne Städtepartnerschaft wäre nur unter schwersten Bedingungen möglich und verknüpft mit großen Gefahren für die Isfahaner.
Unter diesem Gesichtspunkt haben die Oh-wie-schön-ist-Isfahan-Bilder, die bei den jährlichen Bürgerreisen entstehen, ein bitteres Geschmäckle. Darauf zu sehen: prachtvolle Bauten mit bunten Mosaiken. Hinter der Tausend-und-eine-Nacht-Romantik steht ein grausames mittelalterliches System, regiert vom obersten Religionsführer Ali Khamenei.
Ein Zeichen des Westens
Auch Javad Dabiran, Pressesprecher des Nationalen Widerstandrat Iran (NWRI) in Deutschland betont, dass Städtepartnerschaften auf dem kulturellen und wirtschaftlichen Austausch beruhen, jedoch: „Hierzu muss man wissen, dass sowohl der kulturelle Bereich im Iran als auch die Großindustrie und viele weitere Frontunternehmen im Mittelstand sowie Dienstleistungssektoren in der Hand der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) und der religiösen Stiftungen sind. Welche direkt oder indirekt vom obersten Führer kontrolliert werden.“
Mit einer Beendigung der Städtepartnerschaft könne Freiburg den Menschen in Isfahan die klare Botschaft senden, dass man mit dem Regime, das ihnen ihre Basisrechte entzieht, sie in Armut stürzt und Frauen zwingt, Menschen zweiter Klasse zu sein, nicht einverstanden ist, sagt Dabiran. Die „überwältigende Mehrheit“ der Iraner wünsche sich vom Westen ein deutliches Zeichen. Sie selbst bringen sich bei Volksaufständen und Demonstrationen gegen das Regime immer wieder in Lebensgefahr.
Konsequenzen ziehen
Corona-bedingt führen Isfahan und Freiburg aktuell eine Fernbeziehung. Die 36. Bürgerreise im April wurde abgesagt. Auch das Stadtjubiläum sollte Anlass für ein Wiedersehen werden. Eingeladen waren unter anderem der Bürgermeister von Isfahan, aber auch zehn iranische Ringer für eine sportliche Begegnung. Während Freiburg ein fröhliches Kräftemessen unter Freunden organisiert hatte, wurde am 12. September der 27-jährige Ringer Navid Afkari im Iran öffentlich hingerichtet, weil er bei einer Demonstration gegen das Regime angeblich einen Sicherheitsbeamten tötete.
Unter Folter soll er sein Geständnis abgegeben haben. In einem Spiegel-Artikel zur Städtepartnerschaft hieß es schon 2006 treffend: „Eine Partnerschaft, die sich selbst ernst nimmt, muss Konsequenzen ziehen, wenn ein Partner über die Kritik des anderen nur müde lächelt. Dann fehlt bei allem kulturellen Austausch die Basis für eine Beziehung. Dann ist eine Trennung das Beste.“