Future History heißt die App, mit der Rolf Mathis aus Freiburg Stadtführungen eine neue digitale Ebene verpasst. Das Smartphone wird dabei zum Werkzeug für eine Tour in die Historie eines Orts. Nebenbei entsteht ein soziales Netzwerk für Geschichts-Interessierte.
VON DANIEL RUDA
In Freiburg auf dem Platz der Alten Synagoge ist das Erlebnis besonders eindrücklich: Wenn man die App startet und das Handy langsam im Panorama-Modus schwenkt. Auf dem
Display erscheint das Stadtbild, wie es früher einmal war. Die Uni, das Theater und das jüdische Gotteshaus, das von den Nazis zerstört wurde, sind in ihrer ursprünglichen Form zu sehen und fügen sich per Augmented Reality Funktion in die aktuelle Umgebung ein. Man kann sehen, wie es hier vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten einmal ausgesehen hat.
„Eine Stadt neu erleben, indem man interaktiv in ihre Historie einsteigt“, sagt Rolf Mathis über Sinn und Zweck von „Future History“. So heißt die Zeitreise-App, die er entwickelt hat und um die er seit vier Jahren eine kleine Firma in Freiburg aufbaut. Die Geschäftsidee ist an den Tourismus-Sektor angedockt, aktuell sind 30 Kommunen Kunden, die „Future History“ für begleitete oder unbegleitete Städteführungen nutzen und Gebühren dafür zahlen. Neben Freiburg gehören dazu zum Beispiel Konstanz, Bayreuth, Wiesbaden oder auch Wien.
Mit digitalen Mitteln eine Möglichkeit zum Upgrade von Städteführungen zu schaffen, das war die Ausgangsidee, die durch Corona noch einen Schub bekommen hat. Müllheim im Markgräflerland hat die Pandemie etwa dafür genutzt, seine Stadtführungen mit Hilfe von Future History auf digitale Beine zu stellen.
„Eine Stadt neu erleben, indem man interaktiv in ihre Historie einsteigt“
Rolf Mathis über die Intention seiner App
In der App sind feste Touren gespeichert, die neben Bildmaterial auch Audiobeiträge liefern. Das Herumlaufen mit einer Stadtführerin (wenn die Corona-Lage das wieder zulässt) bekommt so eine zweite Ebene, weil man sehen kann, von welchen historischen Dingen sie spricht. Man kann sich aber auch inklusive integrierter Audio-Funktion alleine auf eine Tour begeben, die man für kleine Euro-Beträge buchen kann.
Eine rumpelige Busfahrt auf Gran Canaria war für Rolf Mathis vor sieben Jahren der Ausgangspunkt, als er bei einer Touri-Rundfahrt mit einem klapprigen Headset auf dem Kopf mehr schlecht als recht verstand, was der Guide da an historischem Wissen herunterrasselte. Eine digitale Lösung für eine optische Reise in die Vergangenheit wäre doch ein richtiges Upgrade für solche Stadtführungen, dachte er.
Ein paar Monate zuvor hatte der Unternehmer seine Firma verkauft, mit der er sich 15 Jahre lang um Server-Hosting gekümmert hatte und war ohnehin auf der Suche nach einer neuen Aufgabe. Historisch interessiert war er schon immer, einen Zugang zu IT-Themen hatte er auch. Mathis fing an, Konzepte zu entwickeln und mit Hilfe von Programmierern an einer App zu basteln. 2017 ging er auf den Markt, seither wächst die Idee stetig.
Das Ganze lebt auch vom Community-Gedanken, mit mehr als 2500 Uploads haben sich Nutzer bislang beteiligt, viele sind auch als Autoren dabei, schreiben Beiträge und erstellen kostenfreie Touren. „Die App sorgt dafür, dass auch der Dorfchronist seinen Stoff zeigen kann, den normalerweise niemand sieht“, sagt Mathis. Es finden sich auch alte Familienfotos inklusive Hintergrund-Infos auf der Plattform, und die Bibliothek wird größer. Insgesamt 125 ausführliche Führungen zählt die App aktuell. Einzelne mit Fotos und Beiträgen gefütterte Orte gibt es hunderte.
Mehr als 2500 Uploads bislang von den Nutzern
Auf der Deutschland-Karte finden sie sich quasi in allen Bundesländern – vor allem in den Großstädten. Es gibt aber auch Nutzer, die Städte im Ausland wie zum Beispiel Rom bestücken. Autoren werden auf dem begleitenden Webportal auch vorgestellt, wodurch „Future History“ auch das Social Media- Potenzial für Stadtgeschichte-Nerds und Wissenschaftler hat. 20.000 Downloads hat die App bislang, für Mathis ein guter Wert.
Dem 47-Jährigen ist die Motivation anzuhören, alles noch weiter auszubauen. „Es läuft gut und wir haben viele Projekte in Planung“, mit einem Team von fünf Leuten arbeitet er an neuen Ideen wie speziellen 360 Grad-Panorama-Features, 3D-Objekten und besseren Augmented Realilty-Sequenzen. „Es wird alles futuristischer und die neuen Möglichkeiten wollen wir nutzen“.
„Extended Vision“, so heißt Mathis‘ kleine Firma, entwickelt zudem Apps für Unternehmen und Institutionen, die auf der Technologie von Future History aufbauen – für die Pädagogische Hochschule Freiburg etwa läuft gerade ein Projekt, das in der Lehre eingesetzt werden soll, für das Freiburger Stadtjubiläum wurde die „Zeitreise-App“ entwickelt. Auch das Europäische Raumflugkontrollzentrum in Darmstadt hat eine App aus Freiburg bekommen.
Inzwischen stecken rund 400.000 Euro im ganzen Projekt. Nach ein paar Sackgassen, in die wohl jede IT-Entwicklung das ein oder andere mal einbiegt, dem Wachsen der historisch interessierten Community und den Erfahrungen mit den ersten Kunden sieht Mathis sich auf dem richtigen Weg. „Wir können uns jetzt viel mehr auf den Vertrieb konzentrieren.“
Dieser Text erschien zuerst in der Printausgabe März 2021. Hier geht’s zum Abo.