Eine Krise ist eine Krise. Und eine Chance. Das sagt man so dahin. Doch wer eine Krise für tiefere Reflexionen zu nutzen weiß, kann sich bestenfalls neu erfinden, wie Freiburger Unternhemerinnen beweisen
VON SIGRID HOFMAIER
Dass das nicht vom Sofa aus geht, darüber berichten fünf Frauen aus dem Verband Deutscher Unternehmerinnen e.V. (VdU): Tanja Santner, Erika Seidler, Karin van Mourik, Melanie Missbach und Jessica D.S. Knall haben das „Brennglas“ als das die Krise oft bezeichnet wird, genutzt, um sich und gesellschaftliche Themen auf den Prüfstand zu stellen. Mit Neuentwicklungen, die staunen lassen – aber auch Frustrationen, die sprachlos machen.
„Für uns ist zentral: Wir wollen etwas bewegen. Wir wollen etwas Sinnvolles für die Gesellschaft tun“, sagt Tanja Santner zusammenfassend. Nach der ersten Schockstarre, in der die Inhaberin und Geschäftsführerin der “Denkraum GmbH” und von “heimvorteil freiburg” die Aufträge wegbrachen, hat sich die vielseitige Akteurin mit der Unternehmensberaterin und Coach Erika Seidler auf das besonnen, was Ihnen besonders wichtig ist: der Zustand unserer Gesellschaft im Kontext von Bildung und Wirtschaft.
Gemeinsam entwickeln sie derzeit ein Werkzeug für die betriebliche und schulische Ausbildung. In Kooperation mit Pädagogen, Psychologen, Soziologen und Ausbildungsleitern entsteht hier ein Werkzeug, das den tatsächlichen Unterstützungsbedarf in der Ausbildung junger Menschen ermittelt. Dabei lässt sich das Tool jederzeit flexibel auf die individuelle Situation in der (Berufs-)Schule und am Arbeitsplatz anpassen. All das selbstverständlich anonym und datenschutzkonform.
„Wir müssen etwas tun“
Die Corona-Krise sei für ihre Feststellung „Wir müssen etwas tun“ der perfekte Zeitpunkt gewesen, sagt Tanja Santner: Wenn die üblichen Rahmenbedingungen wegfallen, wenn die Reduktion auf das Wesentliche die bisher kaum hinterfragte Fülle ersetzt, dann sei Raum für eine neue Wertediskussion. Genau darum kreist die Debatte, wenn es um die Eignung des beruflichen Nachwuchses im Handwerk und in KMUs geht: Rechte und Pflichten haben ihre Balance verloren.
Ins Zentrum rücke immer mehr das blanke Ego, Werte wie Solidarität, Hilfsbereitschaft und Empathie würden zwar wortreich reklamiert, aber selten vorgelebt, sagen die beiden Unternehmerinnen. Das Verständnis für die Zusammenhänge von Persönlichkeit, Wertschöpfung, Wirtschaft und Gesellschaft sei verloren gegangen „Work-Life-Balance betrachten wir als Verpflichtung zum Gleichgewicht der eigenen Zufriedenheit mit der anderer Menschen“, bringt es Erika Seidler auf den Punkt.
Karin van Mourik – seit 15 Jahren VdU-Mitglied und mehrere Jahre im Bundesvorstand aktiv – hat in ihrer 40-jährigen Berufslaufbahn schon so einige Felsbrocken aus dem Weg geräumt. Die Russland-Liebhaberin und studierte Slawistin hatte sich bereits in den 1970er Jahren auf den Weg in die Sowjetunion gemacht und ihre Kontakte stetig ausgebaut. Von der ersten Medizintechnik-Messe in Moskau Anfang der 1990er-Jahre bis heute hat Karin van Mourik mehrere Firmen gegründet und ein großes Netzwerk im Osten geschaffen.
„Wir sind in der Politik nicht weitergekommen“
Der seit einem Jahr inflationär geseufzte, stets unvollendete Halbsatz „Und dann kam Corona…“ ist Karin van Mourik durchaus geläufig. Gemeinsam mit ihrem langjährigen Vertriebspartner Markus Haller entwickelte sie bereits im Sommer 2020 unter dem Namen „Corowell“ einen extrem einfachen und gleichzeitig äußerst zuverlässigen Schnelltest. Der Claim „Riech dich aus dem Lockdown“ ist Programm: Die Entwicklung beruht auf der Erkenntnis, dass 85 Prozent der Covid19-Infizierten ihren Geruchs- und Geschmackssinn verlieren.
Eine Lücke im Testverfahren, denn es handelt sich um einen Symptom-, nicht um einen Virentest. Trotz positiver Resonanz im direkten Umfeld, trotz CE- und FDA-Zertifikat und Registrierung beim BAMF gelang es nicht, den Test erfolgreich im Markt zu etablieren. Der seit Januar 2021 aktive Corowell-Shop verzeichnet zwar kleinere Aufträge, jedoch gab es keinerlei Reaktion von Politikern und Virologen. Karin van Mouriks Enttäuschung ist spürbar: Viel Geld und Herzblut habe sie in das Projekt gesteckt, jedoch die Lobbyarbeit unterschätzt. „Wir sind in der Politik nicht weitergekommen.“
Ein Online Shop für nachhaltige Produkte
Die Unternehmensberaterin Melanie Missbach wurde von der Pandemie kalt erwischt: Sie verbringt regelmäßig zwei Wochen pro Monat in den USA und hatte keine Ahnung, was sie bei ihrer Rückkehr drei Tage vor dem ersten Lockdown im März 2020 in Deutschland erwartete. „Den Anstoß für den Start der Webseite ‚buyhappy‘ gab tatsächlich das ausverkaufte Klopapier“, lacht sie heute. Die Idee eines webbasierten Shops für nachhaltige Produkte hatte die Unternehmerin schon länger gehegt, doch das turbulente Tagesgeschäft verhinderte eine konkrete Umsetzung.
Zusammen mit ihrem Onkel Duschan Gert – einem Urgestein im Marketing regionaler Marken – entwickelte sie in den folgenden Monaten das Konzept, erstellte einen Businessplan und sprach Lieferanten an, die ihren anspruchsvollen Kriterien entsprechen: Alle Produkte müssen tierversuchsfrei, fair produziert und gehandelt, klimaneutral und schadstofffrei sein. Darüber hinaus dürfen sie nur natürliche Inhaltsstoffe enthalten und müssen unverpackt oder in recycelter Verpackung versandt werden. Als „buyhappy“ im Mai 2021 live ging, fanden sich vor allem Verbrauchsprodukte des täglichen Bedarfs, der Food-Bereich soll künftig mehr Gewicht erhalten. Der persönliche Kontakt zu ihren Lieferanten ist der als Prokuristin der Firma fungierenden Melanie Missbach ebenso wichtig wie der ausschließliche Versand über klimaneutrale Transportdienstleister.
Kunst und Kultur als Wertanlage für jedermann
Jessica D. S. Knall spricht noch heute von einer „Schockwelle“, wenn sie an die erste Zeit der Pandemie mit all ihren Einschränkungen denkt. Die Aufträge der von ihr gegründeten und geleiteten Agentur für Kommunikation gesellschaftspolitischer Themen und Werte brachen zu 100 Prozent ein, das Thema Wertevermittlung und Kulturwandel für Unternehmen und Institutionen rückte weit in den Hintergrund. Im Laufe des ersten Lockdowns gelang es, viele Aufträge in Online-Formate zu transformieren und im Sommer wurden abgesagte Veranstaltungen wieder aufgenommen. In der Zwischenzeit widmeten sich Jessica Knall und ihr Team intensiv der neuen Sparte partizipativer Kunst- und Kulturvermittlung. Das Modell, eine breite Öffentlichkeit am internationalen Kunsthandel und seiner Wertschöpfung zu beteiligen, nahm Gestalt an. Diese „Demokratisierung der Kunst“ ist Jessica Knall und ihren Mitarbeitern ein großes Anliegen: „Viele suchen nach einer wertbeständigen Geldanlage, an der sie sich beteiligen und auch gestalten können“, sagt die Kommunikationstrainerin. Durch die Pandemie sei das Bewusstsein für ebenso nachhaltige wie kulturell wertvolle Beteiligungsformen gewachsen.