Monatelang mussten die Fitnessstudios und Boulderhallen aufgrund der Pandemie schließen. Das brachte die Betreiber mental und wirtschaftlich an ihre Grenzen. Der Neustart läuft langsam wieder an. Einblick in eine gebeutelte Branche.
VON CHRISTINE WEIS
Wir sind froh, dass es uns noch gibt“, sagt Christian Diercks, „denn die wirtschaftliche Lage war existenzgefährdend“. Der Sportwissenschaftler leitet seit sieben Jahren das Offenburger Fitnessstudio „Highlight“. Das von Inhaberin Sonja Künstle unabhängige, familiengeführte Studio besteht seit 41 Jahren und ist in der Ortenau eine feste Größe. Die lange Tradition, die treuen Mitglieder und das gute Wirtschaften in den Jahren vor der Krise, seien Gründe für das Überleben.
Die staatlichen Corona-Hilfen konnten immerhin 90 Prozent der Fixkosten abdecken, aber längst nicht laufende weitere Kosten wie etwa Leasings der Geräte. Die Zahlungen für die Monate von Januar bis Mai sind im Mai eingetroffen, ohne einen Kredit hätte der Betrieb im Juni nach fast zehn geschlossenen Monaten nicht wieder starten können. Sonja Künstle ist froh, dass sie bis jetzt über die Runden kamen und aufgrund der Kurzarbeit keiner der Mitarbeiter entlassen werden musste.
20 Prozent der Kunden hätten seit Beginn der pandemiebedingten Schließung gekündigt. Was für Diercks nachvollziehbar sei, denn viele mussten in Kurzarbeit, hatten Angst vor Ansteckung oder haben gar den Job verloren. „Wir haben unverzüglich die Mitgliederbeiträge storniert beziehungsweise zurück gebucht und auch keine Gutscheine angeboten“, berichtet der 44-Jährige. „Im Moment laufen wieder Anmeldungen rein. Unser Kundenstamm, der die persönliche Atmosphäre bei uns schätzt, stärkt uns den Rücken, darüber sind wir dankbar.“
Dennoch sind viele Sportwillige noch verunsichert oder haben Alternativen in der Corona-Phase entdeckt. Diercks weiß, dass manche sich eigene Fitnessgeräte wie Bikes oder Laufbänder angeschafft haben. Aber er weiß auch, dass viele von ihnen wiederkommen, denn das Trainieren zu Hause ist eintönig. Es fehle der Kontakt, die professionelle Anleitung und der gesellige Aspekt, mit anderen gemeinsam an einem Ort zu üben und sich zu treffen.
Kein Lockdown mehr für Indoor-Sportanlagen
Die ehemalige Eiskunstläuferin Katharina Witt betreibt in Potsdam ein Fitnessstudio und war medial eine der lauten, prominenten Stimmen, die die Schließung des Breitensports kritisierte. Neben dem wirtschaftlichen Aspekt gehe es ihr um die gesellschaftliche Relevanz von Sport. „Unsere Gesundheit lässt sich über kurz oder lang nicht ohne aktiven Sport erhalten!“, schreibt sie auf Facebook.
Das sieht Christian Diercks genauso und bemerkt die Auswirkungen bei seinen Kunden: Einige haben an Gewicht zugelegt, Kondition und Kräfte sind geschwunden. Er hofft, dass es zu keinem Lockdown mehr kommt und blickt mit Sorge auf die politischen Entscheidungsträger. Sein Credo ist eindeutig:
„Sportstätten sollten nie wieder schließen, zumal es sehr gut funktionierende Hygienekonzepte gibt.“
Christian Diercks, Highlight Offenburg
Der Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen (DSSV) kann nicht nachzuvollziehen, „wie wenig die Politik über die Auswirkungen von Bewegungsmangel weiß und Sport durch Maßnahmen einschränken, die an ihrer protektiven Wirkung zweifeln lassen“, sagt ein Sprecher des Verbandes. „Sport oder ein gesundheitsorientiertes Training, wie es deutschlandweit in Fitnessanlagen über zehn Millionen Menschen angeboten wird, fördere bekanntlich das Immunsystem – ein starkes Immunsystem ist ein weiteres Mittel zur Bekämpfung der Pandemie.“
2020 verloren die 10.000 Studios bundesweit zwölf Prozent ihrer Mitglieder im Vergleich zum Vorjahr. Der Trend setzt sich fort. Wie eine aktuelle Umfrage des Verbandes belegt, haben die Studios auch im ersten Quartal 2021 weitere 13 Prozent der Mitglieder durch den Lockdown verloren. (Gesonderte Zahlen für Baden-Württemberg liegen nicht vor.)
Philipp Löffler und Stefan Franke betreiben ihre rund 2000 Quadratmeter große „Boulderkitchen“ seit Februar 2014 in der Munzinger Straße auf der Haid in Freiburg. Für Löffler ist Bouldern kein Trend mehr, sondern hat sich längst zum Breitensport für alle Altersgruppen gemausert. Allein in Freiburg gibt es gleich mehrere Sportanlagen zum Indoor-Klettern, auch der Deutsche Alpenverein kraxelt überdacht.
„Bouldern ist optimal, um den Kopf frei zu kriegen“, sagt Löffler. Er gerät ins Schwärmen, als er die Vorzüge der Sportart aufzählt. Der Einstieg sei einfach, es werden alle Körperpartien und das Gehirn beansprucht, man habe rasch ein Erfolgserlebnis und kann für sich allein oder in der Gruppe bouldern. Zudem werden Kraft, Ausdauer und Koordination trainiert.
Bouldern ist beliebt, die Halle war in den letzten Jahren gut frequentiert – aber auch kein Selbstläufer, so dass die Besucherzahlen nach der zweiten Corona-Zwangspause noch vom alten Niveau entfernt sind. Seit Ende Juni besteht keine Testpflicht mehr, damit sei die Hürde niedriger und die Trainingsslots füllen sich allmählich. Das regnerische und eher kühle Wetter spielte ihnen dabei im Juli in die Hände. Wobei einige Kletterer gerade wegen der Hygiene-Auflagen in der Halle eher den Naturfels bevorzugten.
“Das Schlimmste an den Lockdowns war die mangelnde Perspektive und Planungsunsicherheit.“
Philipp Löffler, Boulderkitchen Freiburg
Die staatlichen Förderungen findet Löffler fair und kulant, zur Überbrückung mussten sie ebenfalls einen Kredit aufnehmen. Dass die Sportbranche im ersten Lockdown erst als letzte nach Kultur und Gastronomie öffnen durfte, war für ihn allerdings unverständlich.
Ab Januar konnten Skilifte stundenweise an einzelne Haushalte vermietet werden, was für die Boulderhalle erst ab Mitte März möglich war. „Das kam super an. Viele Familien freuten sich über die Freizeitmöglichkeit. Bei uns konnte man die Halle zwei Stunden für 80 Euro exklusiv nutzen. Der Aufwand hat sich finanziell nicht gelohnt, aber wir waren froh, wieder glückliche Menschen in der Kitchen zu haben.“
Insgesamt sei die Situation psychisch belastend gewesen, Philipp Löffler hofft, dass es nicht nochmal einen Lockdown gibt, das wäre fatal. Dennoch lässt er sich den Optimismus nicht nehmen: „Wir machen das Beste draus.“