Warum kostet uns Sport und Bewegung so viel Überwindung? Sollte es nicht Spaß machen? Warum gehen wir oft mit der Brechstange ran? Führen etwa viel zu hohe Ansprüche bei uns Regie?
Wenn man mit Freunden über Sport spricht, ist schnell von dem inneren Schweinehund die Rede, gegen den jeder ankämpfen muss. Aber fängt es vielleicht schon mit dieser Metapher an? Würde wir es zum Beispiel „inneres Faultier“ nennen, fühlt es sich doch gleich ganz anders an, oder?
Der Marathon-Mann
In den letzten Jahren konnte man in der Wirtschaftspresse öfters von erfolgreichen Managern lesen, die als Freizeitsportler Marathon laufen. Die zentrale Frage war dabei: ob unter oder über vier Stunden? Und wie zwischen den Meetings, Geschäftsessen und Flügen die 100 Kilometer Training pro Woche noch Platz im übervollen Business-Kalender finden.
Vermutlich ist es kein Zufall, dass in einer Leistungsgesellschaft, die Leistungsfähigsten der Leistungsfähigen sich diese Sportart aussuchen. Wobei es ab Kilometer 32 bekannterweise mehr um die Leidensfähigkeit geht. Aber wir machen Sport schließlich nicht zum Vergnügen.
Virtuelle Motivation
In den letzten Jahren pilzen allerlei Sport-Plattformen aus dem Boden, auf denen die Sportdaten über ein „Wearable“ (Uhr, Handy oder Rad-Computer) voll automatisch eingesammelt werden. Technische Kenntnisse sind nicht erforderlich. Vermutlich haben inzwischen die meisten von uns auf dem Smartphone eine Sport- oder Healthcare-App installiert.
Das Gute daran ist, dass man seine sportliche Entwicklung sehr gut nachverfolgen kann. Und manche ziehen so für sich eine große Motivation heraus. Es kann auch helfen, seine eigene sportliche Leistungsfähigkeit besser kennen und verstehen zu lernen. Für die Selbstoptimierer unter uns ist das eine wahre (Daten-)Fundgrube.
Sobald man sich auf diesen Plattformen mit anderen Sportlern vernetzt, muss man aufpassen, dass man nicht unbewusst in einen virtuellen Wettbewerb rutscht. So habe ich mich selbst schon dabei ertappt, dass ich nach einer vierstündigen Rennrad-Tour an meinem Zuhause vorbeigefahren bin, um die letzten Meter einzusammeln, damit die 100 Kilometer voll werden. Der Supergau im virtuellen Wettbewerb ist, wenn der Akku vor dem Ende schlapp macht.
Da nicht virtuell sichtbar, hat es nicht stattgefunden. Alle Mühe war umsonst. Vielleicht hat der eine oder andere schon so eine Erfahrung gemacht? Alle anderen, die hier verständnislos den Kopf schütteln, müssen sich über diese digitale Verführung keine Gedanken machen.
Was finden wir attraktiv?
Vielleicht hat es etwas mit dem Leben in einer Leistungsgesellschaft zu tun, bei dem es oft um Wettbewerb geht? Oder werden wir durch ein mediales Umfeld geprägt, das sich gerne an Extrembeispielen abarbeitet? Offensichtlich fällt es uns schwer, den Wert des Normalen oder Kleinen entsprechend zu würdigen.
Folgende Form von Gesprächen gibt es selten: „Ich war heute eine halbe Stunde spazieren“, „Ich bin mit dem Rad die 15 Minuten zur Arbeit gefahren“ oder „Ich habe heute Morgen etwas Gymnastik gemacht.“ – alles vermutlich nicht die Smalltalk-Brüller, mit denen man in der Runde Anerkennungspunkte sammeln kann. Alles nicht sportlich genug?
So hat auch das Wandern mehrere Jahrzehnte gebraucht, um die Knickerbocker-Hosen zuhause abstreifen zu können. Die Steigbügelhalter dafür waren vermutlich neue Begrifflichkeiten, wie Trekking, Abenteuer-Erlebniswelten von Outdoor-Marken und ein groß angelegter Zurück-zur- Natur-Trend. Und siehe da, heute hat Wandern wieder einen gewissen Coolness-Faktor. Und die Marketing-Lawine rollt weiter mit Nordic Walking, Trail Running, Cross-Country und Waldbaden.
Kleine Schritte – große Wirkung?
Typisch ist, dass wir uns gerne einen radikalen Neuanfang vornehmen und dann die Latte gleich zu hochlegen. Wir kennen das auch mit den Vorsätzen zum Jahreswechsel. Das kann dazu führen, dass man den Einstieg vor sich herschiebt und manche in der Ankündigung stecken bleiben. Oder mit viel Anstrengung gestartet wird, aber das Niveau nicht gehalten werden kann und dann abgebrochen wird. Schade!
Eine Alternative wäre daher, „niederschwellig“ einzusteigen und dafür die Macht der Gewohnheit zu nutzen. Das sind Themen wie Treppen zu laufen, statt den Aufzug zu nutzen. Auf Kurzstrecken, statt dem Auto das Fahrrad zu nehmen. Andere Laufrouten – von kürzester zur schönsten. In der Mittagspause allein oder mit Kollegen noch ein paar Schritte zu gehen. Beim Kollegen im dritten Stock vorbeizuschauen, statt eine E-Mail zu schreiben – ohne den Aufzug zu nutzen, versteht sich.
Gewohnheiten entstehen durch Wiederholung. Am schnellsten gelingt das über eine hohe Frequenz. Empfehlung: täglich! Es gibt verschiedene Forschungen, wieviel Wiederholungen es bedarf, damit etwas zur Gewohnheit wird. Aber wer es für einen Monat konsequent darauf achtet, hat sehr gute Chancen, dass sich erste Gewohnheiten verankern. Anschließend kann man weiter darauf aufbauen.
Udo Möbes ist selbstständiger Berater, Trainer und Business- Coach und betreibt seit 2015 mit seiner Frau Ulrike Peter das Seminarhaus „Saiger Lounge“ im Schwarzwald. Er begleitet Change-Prozesse in Unternehmen und coacht Geschäftsführer-Teams oder einzelne Führungskräfte. Für das Digital-Unternehmen Virtual Identity mit 180 Mitarbeitern in Freiburg, München und Wien war er zuvor 16 Jahre lang an der Spitze tätig, davor arbeitete er 11 Jahre für die Haufe Mediengruppe. Udo Möbes gibt an dieser Stelle regelmäßig seine Erfahrungen mit Coaching- Themen an unsere Leser weiter.