Unsere Nachbarn waren Anfang 2020 besonders von der Pandemie betroffen, Frankreich hat mit teilweise sehr harten Maßnahmen darauf reagiert. Wie sind die elsässischen Einzelhändler durchgekommen, wie sieht es jetzt in den Innenstädten dort aus?
VON KATHRIN ERMERT
Straßburg an einem Montag im November. Der Weihnachtsbaum auf dem Place Kleber erhält seine Lichterdekoration. Um den Platz herum ist in der Mittagszeit noch wenig Gedränge, Radfahrer flitzen rasant zwischen Fußgängern hindurch. Vor einem leeren Geschäft haben sich Obdachlose gesammelt. Der neue Standort des Interieur-Geschäfts „Habitat“, dessen Öffnung ein Schild im Schaufenster für den Herbst ankündigt, ist noch geschlossen.
Auch in den kleinen Gassen zwischen Place Kleber und Münster bleiben Türen zu. Einige haben montags Ruhetag, andere machen gar nicht auf. Parallelen zur Situation diesseits des Rheins, ist Leerstand auch in Straßburg ein Thema? Aziz Derbal schüttelt den Kopf. Nein, das sei kein besonderes Problem, sagt der Directeur Commerce, also der Handelsbeauftragte der elsässischen Industrie- und Handelskammer (Chambre d’Industrie et de Commerce, CCI).
“In einer funktionierenden Stadt gebe es zwischen vier und sechs Prozent Leerstand. Das sei das normale Maß an Kommen und Gehen. Erst ab sieben, acht Prozent fange es an, beunruhigend zu werden.”
Aziz Derbal, Directeur Commerce, CCI Alsace
Ähnlich entspannt schätzt er die Zahl der Insolvenzen im elsässischen Einzelhandel ein: Natürlich gebe es welche, aber auch hier betont er: Das sei das normale Ausmaß, kein pandemiebedingter Anstieg. Der Lockdown fiel in Frankreich im vergangenen Winter kürzer aus. Die französischen Einzelhändler durften ihre Geschäfte schon im März 2021 wieder öffnen. Seither hat es keinen „confinement“ und somit keine geschlossenen Läden mehr gegeben.
Abgesehen von den Masken, die man in den Geschäften tragen, und dem „pass sanitaire“, den jeder Besucher in der Gastronomie vorzeigen muss, fühlt sich die Situation in der Straßburger Innenstadt ziemlich normal und wieder belebt an. Das empfindet Bärbel Nückles so, die seit vielen Jahren für die Badische Zeitung aus dem Elsass berichtet. Sie weiß auch, dass es nichts Neues ist, dass kleinere Geschäfte montags geschlossen sind: „Das ist seit Jahrzehnten so, das hat nichts mit der Pandemie zu tun.“
Konkurrenz im eigenen Speckgürtel und im Internet
Alles gut also in den französischen Innenstädten? Nein, so einfach ist es nicht. Die Stadtzentren und mit ihnen die dortigen Händler haben große Probleme. Aber eben nicht aufgrund von Corona. „Das ist ein strukturelles Problem“, erläutert der Handelsexperte Derbal. In Frankreich habe die Baupolitik jahrzehntelang Familien aus den Stadtzentren vertrieben und große Gewerbeflächen an den Stadträndern genehmigt. In diesen „Grandes Surfaces“ verkaufen die großen Supermarktketten nicht nur Lebensmittel, sondern alles, was die Menschen, die lieber im Grünen wohnen, brauchen. Friseure, Apotheken, Mode-, Blumen- und andere Geschäfte versammeln sich unter deren Dächern.
Diese Konkurrenz spüren die innerstädtischen Händler seit Jahren, sagt Derbal. Allerdings sei die Situation im dicht besiedelten Elsass mit seinen vielen kleinen und größeren Städten weniger von dieser Entwicklung betroffen als andere französische Regionen. Und der Tourismus spielt hier eine wichtige, allerdings auch zweischneidige Rolle. Einerseits generiert er mit seinen speziellen Angeboten von Römertöpfen bis Plüschstörchen in Straßburg etwa zwölf Prozent des Einzelhandelsumsatzes. Und allmählich kommen die Touristen, zumindest diejenigen aus den Nachbarländern, wieder zurück. Vor allem der Weihnachtsmarkt soll ein Magnet sein. Andererseits verdrängen die Souvenirläden in manchen Städten Geschäfte des täglichen Bedarfs. „Die Einheimischen müssen ihr Auto nehmen und außerhalb der Innenstädte einkaufen“, sagt Derbal.
Hier mischt der Onlinehandel die Karten neu. Denn die großen Warenhäuser in der Peripherie, die bislang die Bequemlichkeit der Kunden bedienen, leiden mehr unter der Konkurrenz im Netz. Besonders ihr Umsatz mit Nicht-Lebensmitteln ist rückläufig. Eine Reaktion von Carrefour, Auchan, E.Leclerc & Co., deren Standorte im Übrigen oft von eigenständigen Kaufleuten als Franchisenehmer betrieben werden: Sie orientieren sich mit kleineren Läden Richtung Innenstadt.
Insgesamt erreicht der Onlinehandel in Frankreich einen ähnlichen Anteil wie in Deutschland, nämlich etwa zwölf Prozent. Der französische Modehandel indes ist deutlich weniger unter Druck: Der Onlinenanteil liegt hier laut Information der CCI bei knapp 20 Prozent gegenüber knapp 40 Prozent in Deutschland.
Es scheint, dass die Franzosen trotz vieler ähnlicher Trends im Modehandel – weniger Bedarf an neuer Bekleidung wegen Homeoffice und fehlenden Anlässen zum Feiern sowie ein gestiegenes nachhaltiges Bewusstsein – dem persönlich-menschlichen Faktor des stationären Einkaufserlebnisses mehr abgewinnen als die Deutschen. Und so füllen sich selbst an einem Montag im November im Laufe des Nachmittags die Straßen und Plätze der Straßburger Innenstadt doch noch deutlich.