In Deutschland ist es für die Kern AG nur schwer möglich, Softwareentwickler zu rekrutieren. In Afghanistan gibt es hingegen genügend IT-Experten, aber zu wenig Jobs. Der Freiburger Softwareentwickler macht daher Fachkräfte vor Ort fit.
VON SUSANNE MAERZ
„Es gibt gute Nachrichten“, sagt der Projektverantwortliche Joscha Greuel, als er mit dem Vorstandsvorsitzenden Eckhard Moos zum Interviewtermin bei der Kern AG in Freiburg kommt. Gerade hat er die Nachricht erhalten, dass eine afghanische Softwareentwicklerin aus Kabul ihr SAP-Zertifikat erhalten hat. Die Kern AG finanziert sieben jungen Softwareentwicklern aus Kabul seit rund einem Jahr Online-Weiterbildungen zum SAP-Programmierer an der Technischen Hochschule Brandenburg. Nach und nach beginnen diese nun, über einen Kooperationspartner in Kabul für die Kern AG zu arbeiten. „Davon profitieren beide Seiten, und die Wertschöpfung bleibt vor Ort. Das ist uns wichtig“, sagt Eckhard Moos.
Auch nach der Machtübernahme der Taliban vergangenen Sommer läuft das Projekt weiter. „Es finden sich immer Wege“, sagt er und ist überzeugt, dass es auch so bleibt – für männliche, genauso wie für weibliche Experten, für die es allerdings immer schwerer wird, unter der Taliban-Herrschaft zu arbeiten.
Das Freiburger Unternehmen um den Gründer und Vorstandsvorsitzenden Eckhard Moos ist nach eigenen Angaben einer der führenden Softwarehersteller für Controlling-Lösungen in der SAP-Welt. 1996 machte sich Moos als SAP-Berater selbständig. Heute beschäftigen er und sein Vorstandskollege Christian Bieber 45 Mitarbeiter. Neben dem Firmensitz in Freiburg gibt es einen Standort in den USA. Rund fünf Millionen Euro setzt die Firmengruppe im Jahr um. Zu den rund 300 Kunden zählen Konzerne wie Adidas und Siemens, aber auch Freiburger Industrieunternehmen.
Humanitärer Gedanke zu Beginn
Dass die Kern AG Softwareentwickler in Afghanistan für ihre Bedürfnisse fit macht, weil sie hierzulande nur wenige SAP-Entwickler auf dem Markt findet, ist die erste Besonderheit. Die zweite ist, dass diese jungen Leute wohl die einzigen SAP-Entwickler in Afghanistan sind. Denn die dortigen Unternehmen sind zu klein, um selbst die Software des Walldorfer Konzerns zu nutzen, wie es in großen Unternehmen der westlichen Welt üblich ist. Ihre künftigen Kunden können sie daher auch nicht in ihrer Heimat finden.
„Sie sind ins Risiko gegangen, haben ihre Jobs gekündigt, und uns vertraut, dass wir ihnen Aufträge verschaffen“, sagt Moos. Er berichtet vom großen Arbeitsethos der afghanischen Hochschulabsolventen. Beispielsweise absolvierten sie die Fortbildung in der Hälfte der in Deutschland üblichen Zeit. „Nun müssen die Programmierer diese starke Vorlage auch in der Praxis erfüllen.“
Der Ideengeber für das Engagement in Afghanistan vor rund 20 Jahren war indes kein wirtschaftlicher, sondern ein humanitärer Gedanke: „Ich hatte das Bedürfnis, nach dem Ende der Taliban- Herrschaft 2001 Wiederaufbauhilfe zu leisten“, sagt Greuel, der als Manager für Logistiklösungen im SAP-Bereich bei der Kern AG arbeitet. Bald wurde ein wirtschaftliches Projekt daraus. Ihm und Moos war und ist es dabei wichtig, keinen „Kulturkolonialismus zu betreiben“, also die westlichen Werte und Vorstellungen nach Afghanistan zu tragen, sondern „den Spieß umzudrehen und zu sehen, was können wir aus Afghanistan an Leistung beziehen“.
Gut ausgebildete IT-Experten in Afghanistan
Mit deutscher Hilfe war in Afghanistan nach 2001 ein gutes Hochschulsystem mit Computer Science als einem Schwerpunkt aufgebaut worden. Da Jobs dort aber Mangelware sind, kam Greuel vor rund fünf Jahren die Idee, Softwaredienstleistungen aus Afghanistan nach Deutschland zu bringen. Als freiberuflicher Projektleiter im Softwarebereich, als der er damals arbeitete, war Greuel es gewohnt, sich international Spezialisten für seine Projekte zusammenzusuchen.
Über die Deutsch-Afghanische Initiative in Freiburg, deren Vorstand er inzwischen angehört, kam er in Kontakt mit den heutigen Kooperationspartnern. Los ging es in Herat, wo ab 2019 das Kite- Runner-Büro entstanden ist. Für beide Standorte haben Greuel beziehungsweise die Kern AG, mit der Greuel zunächst als Freiberufler zusammenarbeitete, über Mikrokredite die nötige Infrastruktur vorfinanziert. Also Räume, eine Internetverbindung und eine Photovoltaikanlage für eine autarke Stromversorgung und schließlich die SAP-Kurse. Die Softwareentwickler aus Herat schulten Moos und Greuel über mehrere Monate samstags per Video-Konferenz.
„Entweder wandern die Produkte oder die Menschen.“
Inzwischen gibt es eine Arbeitsteilung: Die SAP-Programmierer in Kabul wirken zunächst in kleinen Schritten am Ausbau von SAP-Produkten der Kern AG mit. Nach der Devise „designed in Germany, developed in Afghanistan“, wie Moos in Anlehnung an den Slogan des US-amerikanischen Apple-Konzerns „designed in California, assembled in China“ sagt. Die Experten, die vom Kooperationsbüro in Herat für die Kern AG arbeiten, entwickeln dagegen eine komplett neue Software-Applikation für das Freiburger Unternehmen.
Diese Art der Zusammenarbeit ist auch für die Kern AG Neuland: „Früher haben wir alles bei uns im Haus entwickelt, aber wir sind an Grenzen gestoßen“, sagt Moos. Natürlich rekrutiere er auch nach wie vor in Deutschland Experten. Das sei angesichts des Fachkräftemangels aber schwierig. Würde er in Freiburg nach neuen Mitarbeitern suchen, müsste er sie anderen Unternehmen abwerben. Und Softwarespezialisten aus dem übrigen Deutschland würden hier nur schwer Wohnungen finden – das mache es schwierig, sie nach Freiburg zu holen. Dies ist nun nur noch bedingt nötig. Moos‘ Devise: „Entweder wandern die Produkte oder die Menschen.“
1 Kommentar
Faisal Adelyar from Kite runner Kabul,
It’s been a pleasure working with you.