Die Badischen Stahlwerke in Kehl sind ein Energiefresser und doch sauberer und ressourcenschonender als viele Konkurrenten. Damit haben sie auf dem Weg zur Klimaneutralität die Nase vorn.
VON KATHRIN ERMERT
Am nördlichen Ende des Kehler Hafens, auf einer Landspitze, die Rhein und Kinzig formen, zieht sich das Gelände der Badischen Stahlwerke (BSW) über viele hundert Meter parallel zum Fluss. Es ist eine eigene Welt voller Kräne, Container und riesiger Lagerflächen, die der Besucher nicht einfach so betreten darf. Zwei der drei Geschäftsführer, Markus Menges, 61, und Florian Glück, 51, empfangen hier zum Gespräch.
Die BSW sind ein untypisches Stahlwerk. Zum einen, weil sie vergleichsweise jung sind. Erst seit etwas mehr als 50 Jahren entsteht in Kehl Stahl. Der umtriebige Unternehmer Willy Korf hatte das Werk 1968 gegründet, seine Nachfolger Horst Weitzmann und Hans E. Seizinger bauten es ab 1982 profitabel und zukunftsfähig aus. Zweitens ist der Standort ungewöhnlich. Die meisten Stahlwerke liegen da, wo Kohle oder Eisenerz abgebaut werden oder wurden. Klassischerweise wird Stahl aus Eisenerz im Hochofen mithilfe von Koks erzeugt. Am südlichen Oberrhein gibt es weder das eine noch das andere, weshalb drittens auch das Ausgangsmaterial und die verwendete Energie untypisch sind: Eisenschrott statt Erz und Strom statt Kohle.
Stahlerzeugung ist extrem CO2-intensiv und laut Wikipedia für etwa 25 Prozent der Kohlendioxidemissionen im Industriesektor verantwortlich. Dagegen mutet die badische Variante sauberer und ressourcenschonender an. Tatsächlich schneiden die BSW in ihrer Klimabilanz deutlich besser ab als andere Stahlwerke. Bei der klassischen Herstellung von einer Tonne Stahl fallen 1,8 Tonnen Kohlendioxid an, bei den BSW sind es etwa 300 Kilogramm CO2 pro Tonne Stahl, nur ein Sechstel. Als 2007 die Grenzwerte für den europäischen Emissionshandel festgelegt wurden, galten die Kehler deshalb als Benchmark, als Messlatte für andere Stahlwerke.
Stromverbrauch wie eine Millionenstadt
Das wird aber nicht reichen, um die von der Politik festgelegten künftigen Vorgaben der CO2-Neutralität einzuhalten. Zumal ein Elektrostahlwerk nicht ohne Graphitelektroden (für die Lichtbögen der Elektroöfen) und Gas (für die Öfen der Walzwerke) auskommt. Die größte Stellschraube, mit der die BSW ihre Werte verbessern können, ist indes der Strom selbst. Der ist momentan für zwei Drittel des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Um ihre Klimabilanz zu verbessern, müssen die BSW also so viel Ökostrom wie möglich verwenden.
Wo soll der herkommen – stellen die BSW eigenen Strom her? Die beiden Geschäftsführer lachen. Ein bisschen Photovoltaik auf den Dächern könne ihren Bedarf nicht ansatzweise decken. „Wir sind nun mal eine Energievernichtungsmaschine“, sagt Markus Menges. „Mit unserer Leistung brauchen wir ein Fünftel eines kleineren Atomkraftwerks oder so viel wie die Privathaushalte der Millionenstadt Köln.“ Für diese Mengen seien sie auf den Staat angewiesen. „Bezahlbare grüne Energie ist für uns eine ganz wichtige Voraussetzung“, sagt Florian Glück. Damit die Kehler Stahlproduktion umweltfreundlich und somit zukunftsfähig wird, brauche es die Politik.
Die Dringlichkeit dieser Forderung verdeutlichen seit einigen Monaten die infolge des Ukrainekriegs stark gestiegenen Energiepreise. Im Frühjahr hatten sie dazu geführt, dass die BSW vorübergehend ihre Produktion drosselten. „Die Preissprünge waren so groß, die haben nicht zu unserem Auftragsbestand gepasst“, sagt Glück. Man habe zunächst laufende Verträge bedient und dann geschaut, wie die Kunden reagieren. Das sind fast ausschließlich Biegebetriebe und Fertigteilwerke, die dann Bauunternehmen beliefern, eine Boombranche. Als klar war, dass sie auch zu höheren Preisen kaufen, wurde die Produktion wieder hochgefahren.
Zwei Millionen Tonnen Schrott jährlich
Der Ukrainekrieg hat nicht nur die Energie, sondern auch die Rohstoffe verteuert. Ohnehin sind sowohl der Stahl- als auch Schrottpreis sehr volatil, schwanken also stark und damit auch der BSW-Umsatz (2020 lag er bei rund 900 Millionen Euro). Es ist ein globaler Markt, wenngleich die BSW nur aus Deutschland und umliegenden Ländern Schrott beziehen. „Wir kaufen um den Kirchturm ein“, sagt Glück. Das sei aufgrund der schieren Menge hinsichtlich des Transports eine Preisfrage: Mehr als zwei Millionen Tonnen Schrott kommen jährlich überwiegend per Schiff und Schiene im Kehler Hafen an. Und eine ähnlich große Menge Stahl verlässt auf demselben Weg das Werk.
Der größere Teil geht als Walzdraht und Betonstahl zu einem der acht bundesweiten Verarbeitungsstandorte der Unternehmensgruppe, die ebenfalls alle an Gleisen oder Flüssen liegen. Der kleinere Teil wird in Kehl selbst als Betonstabstahl per Lkw oder Bahn zu Bauunternehmen in der Region transportiert. „Wir sind ein Massenguthersteller“, betont Menges. Deshalb sei man auf Schiff und Schiene und wiederum auf die Politik angewiesen. „Wir hoffen, dass die Bahn im Güterverkehr wieder mehr Geld in die Hand nimmt, um den Kapazitätsengpass zu beseitigen“, sagt Glück.
Wir sind nun mal eine Energievernichtungsmaschine.
Markus Menges, BSW-Geschäftsführer
Energie und Infrastruktur: Das sind die zwei Themen, die über die Zukunft der BSW entscheiden und damit über viele Stellen. Die Stahlwerke sind ein wichtiger Arbeitgeber in der Region: Rund 850 Frauen und vor allem Männer arbeiten in Kehl, etwa 2500 in der Unternehmensgruppe insgesamt. Um den Nachwuchs kümmert sich seit Jahrzehnten die eigene Ausbildungsgesellschaft BAG, die vielfach für ihre vorbildliche Arbeit ausgezeichnet wurde – zum Beispiel die mit schwächeren Jugendlichen und auch im Verbund mit anderen Unternehmen.
Kehler Wärme für Straßburg
Ein bisschen etwas auf dem Weg in die grüne Zukunft wollen die BSW aber auch selbst tun. So kommen nun doch PV-Anlagen auf die Werksdächer. Und die Prozesswärme soll künftig dorthin gehen, wo sie gebraucht wird, nämlich zu privaten Haushalten. Im Gegensatz zu vielen anderen Stahlwerken, die in Ballungsgebieten ansässig sind, hängen die BSW bisher an keinem Fernwärmenetz. Das hat zwei Gründe: Es war nicht wirtschaftlich, und es gab zu wenig potenzielle Abnehmer.
Die Wirtschaftlichkeit ändert sich mit den neuen Klimaschutzzielen. Und die Abnehmer haben die Kehler auf der anderen Rheinseite gefunden, in Straßburg. Vergangenes Jahr wurde eine Absichtserklärung für das Projekt „Calorie Kehl-Strasbourg“ unterschrieben, Anfang des Jahres eine Gesellschaft dafür gegründet, die sich um den Bau einer Wärmeleitung unter dem Rhein und die Ankoppelung ans Straßburger Wärmenetz kümmert. Insgesamt 25,5 Millionen Euro kostet der erste deutsch-französische Wärmeverbund. Rund elf Millionen Euro davon investieren die BSW, um ihre Anlage entsprechend umzubauen.
Umweltengagement hat Tradition in Kehl. Als erstes Stahlwerk überhaupt wurden die BSW schon 1997 EMAS-zertifiziert. Sämtliche Emissionen, auch Lärm, liegen weit unter den vorgeschriebenen Werten. „Wir brauchen eine Nachbarschaft, die uns toleriert“, sagt Menges und zeigt aus dem Fenster. Der Kehler Ortsteil Auenheim liegt nur weniger hundert Meter Luftlinie vom Werksgelände am Kehler Hafen entfernt. Auch Kreislaufwirtschaft liegt in der Unternehmens-DNA. Schließlich verarbeitet, sprich recycelt man Schrott. Und die bei der Stahlproduktion anfallende Schlacke wird auch aufbereitet, um beispielsweise im Straßenbau verwendet werden zu können.
Es gibt, so scheint es, gar nichts zu verbergen hinter den Werkstoren und -schranken des Kehler Stahlwerks. Dennoch betreiben die BSW bislang keine Öffentlichkeitsarbeit, was sehr ungewöhnlich ist für ein Unternehmen dieser Branche und Größenordnung. Das könnte sich aber gerade ändern im Hinblick auf vielerlei Themen. Vor allem in Sachen Energie und Infrastruktur.