Früher schob sich an Heimspieltagen eine Blechlawine durch Freiburg Richtung Osten. Die ist mit dem Stadionumzug verschwunden. Wie machen sich die veränderten Verkehrsströme in der Stadt bemerkbar?
VON KATHRIN ERMERT
Anfang April war Georg Herffs tatsächlich mal im Stadion und schaute sich gemeinsam mit seinem Sohn das Spiel gegen die Bayern an. Ansonsten treibt sich der 54-Jährige bei Heimspielen eher ums Stadion herum um. Dann interessiert ihn nicht der Fußball, sondern der Verkehr. Herffs ist Freiburgs oberster Verkehrsplaner. Er hat sich viele Jahre mit der Planung des neuen Stadions beschäftigt und möchte jetzt sehen, ob sich die Verkehrsströme so entwickeln wie vorausberechnet. Größtenteils tun sie das.
Ein Grund für die Wahl des neuen Standorts im Westen war schließlich der Verkehr. Zum alten Stadion im engen Dreisamtal am Ostrand der Stadt führte eigentlich nur die Schwarzwaldstraße, die alle nutzen mussten. „Jetzt liegt das Stadion eher dort, wo viele wohnen“, sagt Herffs „Es ist zu den Menschen gekommen.“ Am Flugplatz, wo der SC seit Herbst 2021 spielt, ist mehr Platz. Breite Straßen aus allen Himmelsrichtungen führen dorthin, der Autobahnanschluss ist nah. Dass das Areal nahe der Messe Massen bewältigen kann, bewies es 2011. Beim Besuch des damaligen Papstes Benedikt fand dort ein Gottesdienst für annähernd 100.000 Menschen statt. Das Verkehrskonzept für den Papstbesuch wie für den Stadionneubau hat das Aachener Ingenieurbüro IVV erstellt., das auch im Auftrag der saudischen Regierung Millionen von Muslimen während des Hadsch in Mekka lotst.
Verbesserungspotenzial bei der Abreise
Der Sportclub weiß anhand seiner Dauerkartenverkäufe, von wo die Fans anreisen. Diese Daten nutzten die Verkehrsplaner. Neben den Einzeltickets waren allerdings die 11.000 zusätzlichen Plätze im neuen Stadion eine große Unbekannte. Die haben Herffs und IVV entsprechend der vorherigen Postleitzahlen hochgerechnet und ein paar mehr dem Umland zugeschlagen. In Stadionnähe gibt es nicht nur eine Straßenbahnhaltestelle, sondern auch eine S-Bahn-Station und einen Busbahnhof. Der Verein selbst bietet 2100 Pkw- und 3700 Fahrradstellplätze.
Jetzt liegt das Stadion eher dort, wo viele wohnen.
Georg Herffs, Leiter Verkehrsplanung Freiburg
Wie sich die Menschen nun tatsächlich zum und vom Stadion bewegen, haben Herffs und IVV bei zwei ausverkauften Heimspielen mit Kameras beobachtet. Die Auswertung läuft noch, ein paar Eindrücke gibt Herffs aber preis. Auto- und Parkverkehr scheinen recht gut zu funktionieren. Zudem bietet die Messe, anders als geplant, bis zu 1500 Pkw-Stellplätze an. Nachbesserungsbedarf gibt es dagegen beim Fuß- und Radverkehr. Radler lassen sich ungern lenken, weiß Herffs aus Erfahrung: „Versuchen Sie einen Sack Flöhe zu organisieren.“ Die fahren auf Sicht und tragen ihr Fahrrad notfalls über Zäune. Dennoch versucht die Stadt, sie mit Wegweisern auf die vorgesehenen Routen zu bringen. Vor dem Spiel klappt das von Mal zu Mal besser. Nach dem Spiel braucht es aber noch große rote Transparente, um die Zweiräder richtig zu lotsen. Schwierigkeiten gibt es auch noch mit den vielen Fußgängern, die zu den Haltestellen oder Parkplätzen wollen. Für sie hat man nun einen Busshuttle eingerichtet. „Da geht es nicht um Komfort, sondern um die Masse“, sagt Herffs.
Der Faktor Wetter
Das SC-Ticket dient gleichzeitig als Fahrkarte. Zum alten Stadion in der Schwarzwaldstraße fuhr denn auch ein bedeutender Teil der Fans mit der Straßenbahn. Allein wegen der Pkw-Staus. Verhältnismäßig hat sich der ÖPNV-Anteil nun reduziert, was vermutlich nicht nur am größeren Parkplatzangebot, sondern auch an Corona liegt. Die Freiburger Verkehrs AG (VAG) registrierte laut Pressesprecher Andreas Hildebrandt bei den ersten Spielen vor vollem Haus eine ähnliche Fahrgastmenge wie im alten Stadion, die langsam etwas angewachsen sei. Belastbare Zahlen gebe es allerdings noch nicht. „Sowohl die Fans wie auch wir haben mit jedem Spiel dazugelernt, wie die An- und Abreise am besten erfolgt“, sagt Hildebrandt. Unabhängig vom Standort gibt es laut Hildebrandt zwei Faktoren, die sich nicht beeinflussen lassen, die aber sehr auf die Verkehrsströme wirken: das Wetter und das Spielergebnis. Wenn es nasskalt ist, fahren weniger Besucher Fahrrad. Und wenn der SC verliert, bleiben die Fans nach dem Spiel kürzer im Stadion. Dann lassen sich die Ströme nach Abpfiff schlechter entzerren.
Weniger Frequenz in der Innenstadt
A propos Menschenströme: Fußballfans lassen Geld in der Stadt. Die sogenannte direkte ökonomische Wertschöpfung hat der Sportclub für die Saison 2017/2018 messen lassen. Das Ergebnis: 3,2 Millionen Euro jährlich geben die durchschnittlich fast 24.000 Stadionbesucher außerhalb der Spielstätte in Freiburg aus, vor allem für Übernachtung (800.000 Euro), Verpflegung (770.000 Euro), An- und Abreise (740.000 Euro) sowie Einkäufe (660.000). Ob sich dieser Wert mit dem Umzug geändert hat, lässt sich nicht sagen. Bislang hat der SC keine neue Untersuchung in Auftrag gegeben, weil es noch keine vollständige Saison im neuen Stadion gab. Sagt SC-Marketingchef Hanno Franke.
23.400 am 2. April 2022
menschen in der Kaiser-Joseph-Straße an den Heimspieltage gegen die Bayern
46.810 am 18. Dezember 2019
Egal ob alter oder neuer Standort: „Wir spüren schon, wenn ein Heimspiel ist“, sagt Martin Lauby. Große Umsatzhoffnungen verbindet der Vorstand der Händlervereinigung Z’Friburg und Centermanager der Schwarzwald City aber nicht mit den Fußballfans: „Vor dem Spiel kaufen sie nicht groß ein, weil sie keine schweren Taschen rumtragen wollen. Und nach dem Spiel gehen sie lieber in die Gastronomie.“ Der „brutale Einbruch“ der Besucherfrequenz in der Innenstadt lässt sich laut Lauby nicht dem Stadionumzug zuordnen. Die Firma Hystreet aus Köln, die drei Messstellen in der Freiburger Innenstadt betreibt, hat beim ersten ausverkauften Heimspiel des SC gegen die Bayern am 2. April in der Kaiser-Joseph-Straße 23.400 Menschen gezählt. Der Wert lag beim letzten Vorcorona-Heimspiel gegen die Bayern im alten Stadion am 18. Dezember 2019 fast genau doppelt so hoch, nämlich bei 46.810 Besuchern. Es lässt sich nicht sagen, welche Effekte diese starke Abnahme bedingen: der neue Standort, die Pandemie – oder das Wetter. Das war im Dezember 2019 nämlich recht gut –15 Grad und trocken – während der 2. April dieses Jahres ein kalter Tag mit Regen und Schnee war. Außerdem ging das Spiel noch deutlicher verloren.