Vom Lagerarbeiter in der Stahlbranche zum Projektmacher in Freiburg-Weingarten – dabei hat er immer schon geschrieben und wurde dafür auch mit Preisen versehen: Gesellschafts- und Kriminalromane, Gedichte, Erzählungen, Hörspiele und ein SC-Buch. Zuletzt die Geschichte des Kinder- und Jugendzentrums Jugi. Der Freiburger Autor Gilles Mebes über den SC, Schriftstellerei und die Arbeit mit Kindern.
INTERVIEW: JOACHIM SCHNEIDER
Herr Mebes, gehen Sie noch ins Stadion?
Nein, seit 2002 nicht mehr, da hatte ich das letzte Mal eine Dauerkarte und der SCF stieg ab. Ich vertrage keine Menschenansammlungen mehr. Aber ich würd‘ schon mal gern ins neue Stadion gehen, das ist toll geworden. Da können Verein und Stadt stolz drauf sein. Und ich verfolge die Spiele mit derselben Leidenschaft wie früher. Die Leidenschaft, die noch immer Leiden schafft. Es macht mich fertig!
So schlimm?
Ich beschließe vor jeder Saison: Ich interessiere mich nicht mehr für den Kram. Dann kommt der erste Spieltag und der Zirkus beginnt von vorne.
Passt Ihr Buch „Der SC Freiburg und der Ernst des Lebens“ noch zum heutigen SC?
Es ist eigentlich ein Buch über die Fans des SCF, so wie ich sie damals kannte. Von den heutigen Fans sind ja viele in den 90ern noch gar nicht auf der Welt oder zu klein gewesen für einen Stadionbesuch. Für die Mehrzahl der Zuschauer gilt die Zugehörigkeit zur Bundesliga wohl als Selbstverständlichkeit, das unterscheidet die Generationen. Ich ging seit 1978 ins damals rudimentäre Dreisamstadion, da begann Jogi Löw seine Karriere und die wenigsten glaubten, dass sich der SCF neben dem FFC in der 2. Liga würde halten können. Daran merke ich, dass ich alt werde.
Aber die „Maloche“ auf dem Platz ist heutzutage immer noch wichtig zur Identifikation, oder?
Nicht Maloche, sondern Leistung. Ich glaube, die zählt bei vielen noch immer mehr als das Resultat, was eine Freiburger Besonderheit darstellt. Dennoch ist die Erwartung, Erfolg zu haben, bestimmt stärker als früher. Ansonsten habe ich keine Ahnung, wer ins neue Stadion geht, wahrscheinlich so unterschiedliche Leute wie eh und je. In jedem Fall sind es zehnmal mehr pro Spieltag als in den 80er-Jahren. Freiburg galt ja bis zum VFW (Volker-Finke-Wunder) nie als Fußballstadt.
Zu einem anderen Buch: Mit „Tatort Baden-Württemberg“ schrieben Sie vor über 20 Jahren ein True-Crime-Buch, lange vor dem Trend, den unter anderem Ferdinand von Schirach ausgelöst hat. Waren Sie einfach zu früh dran, um erfolgreich zu sein?
Ich weiß vom Verleger, dass die ARD damals mit ihm über die Verfilmung meines Buches verhandelt hatte und die Ideen dann in Eigenregie nutzte, ohne uns zu beteiligen. In der ganzen Branche wurde und wird ohne Skrupel geklaut und abgekupfert.
Also doch zur rechten Zeit?
Vielleicht. Ein Freund von mir, ein ziemlich berühmter Maler, sagte einmal, als er die Premiere eines Stücks von mir besuchte, dass ich meiner Zeit voraus sei – mein Werk also erst nach meinem Verschwinden zur Geltung käme. Mir wäre das sogar recht, erstens kann ich mit Beifall eh schlecht umgehen und zweitens ist die Hauptsache, dass meine Arbeit nicht umsonst getan wurde.
Dazu bräuchte es wohl eine schicke Neuauflage …
… kein Thema. Ich habe keinen Verlag. Das Thema ist eh schwierig für mich, denn tatsächlich waren es die Verlage oder andere Beteiligte, die den Erfolg der Bücher verhinderten. Wenn ich nur an das Buch denke, das am besten lief, der zweite Freiburg-Krimi, der erschien sogar als Fortsetzungsroman in der Badischen Zeitung. Die Auflage war sofort verkauft und eigentlich hätte eine zweite folgen müssen – aber mittendrin war der Verlagsbetrieb eingestellt worden. Ende Gelände.
Ist Ihnen deshalb die Lust an der Schriftstellerei vergangen?
Nach 2003 für eine Weile. Da habe ich dann Spiele erfunden. Das erste rein taktische Fußballspiel namens Trixkick. Da gab es auch Probleme mit dem Verlag. Schicksal… Ich habe eine ganze Reihe Sportspiele erfunden, alle auf rein logischer Basis.
Trotzdem „einmal Schriftsteller immer Schriftsteller“?
Logisch. Schreiben war und ist Berufung und wird es immer sein. Vom ersten Mal, als ich einen Stift in die Hand nahm, um Buchstaben zu malen, bis zum Tag, da ich ihn endgültig beiseitelege. Geschrieben hab ich nach ein paar Jahren wieder, für die Schublade. Aber da sind wohl keine guten Sachen entstanden. Literarisches Schreiben ist für mich ein Akt der Aufrichtigkeit, ohne sie finde ich nicht die Worte und Charaktere, die für sich stehen und lebendig wirken. Wenn ich mich nicht weiterentwickle als Mensch, dann bleibe ich auch im Schreiben stehen und wiederhole mich in endlosen Variationen.
Was heißt das konkret?
Ich habe den Umbruch damit bewältigt, dass ich viel über mich, meine Kindheit, meine Herkunftsfamilie geschrieben habe, die sehr dysfunktional war. Viel Gewalt, viel Grausamkeit, viel seelische Vernachlässigung. Das habe ich in mehreren hundert Seiten aufgearbeitet, fast wie in einer Therapie oder Psychoanalyse. Danach erlebte ich in meinem Leben einen völlig unerwarteten Neustart, der mich dahin gebracht hat, wo ich heute stehe.
Familienepen sind doch auch gerade in, wäre das nichts für eine Veröffentlichung?
Nicht im Moment. Ich arbeite schon seit längerem an einem Zukunftsroman, der spielt nach dem nächsten Urknall in einer ganz eigenen, vierten Welt. Vielleicht bringe ich den mal in Form von Heftchenromanen selber heraus, so wie man früher „Perry Rhodan“ verlegt hat. Dabei fand ich diese Geschichten grottenschlecht…
Ihr „Hier“ ist im Kinder- und Jugendzentrum Jugi Weingarten, seit 2017 arbeiten Sie als Projektmacher. Wie kam es dazu?
Ich war ja viele Jahre zwar nicht arbeitslos, weil mit meinen Vorhaben beschäftigt, aber einkommenslos. Schließlich wurde mir eine Eingliederungsmaßnahme AGH im Jugi vorgeschlagen, da hab’ ich sofort zugeschlagen. Karin Seebacher als Chefin hat wohl einfach Potenzial in mir gesehen, das ich selbst nie erkannt hätte. Ich wusste allerdings stets, wann mir das Schicksal die Hand im Guten reicht und diese dann anzunehmen. Ich hatte natürlich nicht die geringste Ahnung, was sich aus diesem sehr speziellen Anfang entwickeln würde.
Was denn?
Zum Beispiel das „Jugiläumsbuch“. Während des ersten Corona-Lockdowns wollte meine Chefin mich beschäftigen, damit ich nicht wieder in meiner Stadteinsiedelei verschwinde und völlig disozial werde. Sie erteilte mir den Auftrag, das Archiv aufzuräumen und zu ordnen. Da zudem das 50-jährige Jubiläum anstand, kam bei mir die Idee auf, ein Buch über die Anfänge und die Entwicklung des Jugi zu schreiben. Karin Seebacher war sofort Feuer und Flamme und nach einem Jahr Arbeit war es dann fertig. Ich habe alles selbst gemacht, vom Schreiben über die grafischen Arbeiten, ein Hobby von mir, bis zum Layout. Es heißt: jugi@work.
Theater und Musical ist ja auch eine Leidenschaft von Ihnen, passiert auf diesem Feld etwas?
Eine Menge! Ich habe ein Kinder- und Jugendtheater gegründet, das heißt Jugimondo. Auf dem gleichnamigen Youtube-Kanal gibt es eine Menge an Videos zur Probenarbeit, Songs und anderes zu entdecken. Ich schreibe auch hier alles selbst, es sei denn, die Mädels erfinden selber was. Die Songs werden dann eingesungen auf die Instrumentalvorlagen, die ich im Internet finde. Es ist GEMA-freie Musik. Ich glaube, das Projekt ist ziemlich einmalig, weil die Kids dann mit wirklich professioneller Musik arbeiten können. Das motiviert sie sehr. Überhaupt nehme ich alle Texte in gesprochener oder gesungener Form auf, für die Probenarbeit wie für die Aufführungen, weil auf diese Weise das Auswendiglernen entfällt. Damit haben einige Kids ihre Probleme. Wenn sie mit Playback arbeiten, lernen sie die Texte automatisch, da entfällt eine große Hemmschwelle. Außerdem gibt ihnen das Sicherheit.
Wer macht da alles mit – eine diverse Angelegenheit?
Es sind nur Mädchen dabei, weil die Jungs einfach nichts auf die Reihe kriegen. Selbst die, die Lust zum Theaterspielen haben, lassen sich von ihren Freunden davon abbringen, weil es als Mädchenzeugs gilt. Die Jungs haben meistens nicht den Mumm, sich gegen ihre Peergroup zu stellen. Das ist sehr schade.