Der Landkreis Lörrach hat seit Ende der 1990er Jahre einen wirtschaftlichen Aufbruch absolviert. Dazu gehört auch eine wechselhafte Beziehung zur Schweiz, was Arbeitsmarkt und Handelsumsätze angeht.
VON JUSTUS AMMANN
Die Kultur als Kristallisationspunkt einer neuen Entwicklung – auch wirtschaftlich – und zugleich als Identifikationsgegenstand einer ganzen Region: Der Lörracher Burghof, 1998 in Betrieb genommen, läutete in der Lörracher Kreisstadt so etwas wie die Zeitenwende am äußersten Südwestzipfel Deutschlands ein.
War Lörrach über Jahrzehnte eher ein „Schmuddelkind“ an der Grenze zur Schweiz, allenfalls bekannt als Drogenumschlagplatz oder Heimat international gesuchter Terroristen, nahm die Stadt in den Neunzigerjahren mit dem Bau des lange diskutierten Kulturzentrums Fahrt auf. Und wandelte ihr Gesicht komplett: städtebaulich, kulturell und strukturell.
So stand die Kreisstadt mit ihrem Wandel für eine ganze Region, die sich in den vergangenen 25 Jahren stark verändert hat. Wunderschöne Landschaft und in weiten Teilen ländlich geprägte Dörfer und Städtchen verzeichneten einen deutlichen Zuwachs an Bevölkerung – vor allem durch Zuzug, die damit verbundene Bautätigkeit war Ergebnis und Motor dieses rasanten Wachstums.
Das Dreiland als Ort enger Verflechtungen
Heute ist das große Wiesental als Hauptachse Richtung Nordosten bis Zell fast eine durchgehende Siedlungsfläche, wo die einzelnen Orte allenfalls noch durch ein paar Felder getrennt sind. Nach Südosten, entlang des Hochrheins zeigt sich das gleiche Bild. Dort schließt der Waldkreis Waldshut mit einer ähnlich dynamischen Entwicklung direkt an. Und nach Norden Richtung Oberrhein wuchern die Wohn- und Industrieansiedlungen ähnlich dicht.
Als Luftbild betrachtet, ist der Landkreis Lörrach auf deutscher Seite ein wichtiges Puzzlestück der Metropolregion Basel im Herzen Europas – dort auch Dreiland genannt. Verkehrstechnisch mit A5 und Rheintalstrecke ideal an einer der wichtigsten Adern Europas gelegen, landsmannschaftlich und wirtschaftlich der Schweiz ebenso eng wie zeitweise in herzlicher Abneigung verbunden.
Die Verflechtungen mit den Schweizer Nachbarn sind nicht mehr wegzudenken. Während rund 22.000 Menschen täglich nach Basel einpendeln – übrigens aus dem Wiesental mit einer von der SBB betriebenen Bahnverbindung –, sorgen im Gegenzug tausende Einkaufstouristen aus der Schweiz für satten Umsatz und Ertrag der Einzelhändler, aber auch Restaurants und Hotels in der ganzen Region. Wie fragil dieses Gleichgewicht jedoch ist, hat die Pandemie gezeigt. Während der Grenzschließungen sind diese Einnahmen in beängstigendem Umfang weggebrochen.
Hatten manche diesseits des Rheins über am Wochenende „rammelvolle Läden“ gejammert und „Schweizer, die die Preise treiben“, wünschte man sich jetzt plötzlich die zahlungskräftigen Nachbarn zurück. Die Besonnenen in Deutschland und der Schweiz allerdings sehen die nachbarschaftlichen Beziehungen ganz nüchtern als das, was es ist: Menschen, die im selben Sprachraum, nämlich dem alemannischen Dialekt, sich kulturell und wirtschaftlich seit Jahrhunderten eng verbunden sind. Zum gegenseitigen Vorteil und zur gegenseitigen Befruchtung aller Lebensbereiche. Das gilt übrigens auch für die elsässischen Nachbarn, wo die Verflechtungen Stand heute jedoch nicht so eng und intensiv sind.
Historisch Textilindustrie, heute Innovationskraft
Wirtschaftlich ist der Landkreis ein Schwergewicht, dessen Menschen und Unternehmer sich vor allem durch ihre Anpassungsfähigkeit auszeichnen. Historisch war das im Landkreis zentral gelegene Wiesental von der Textilindustrie geprägt. Aber sie ist Geschichte. Ebenso wie zum Beispiel der früher in ganz Deutschland bekannte Lörrach-Brombacher Versand Schöpflin. Dagegen behauptete sich der Milka-Schokoladenstandort, und verschiedene Unternehmen der Region haben den Weltmarkt erobert. Endress + Hauser, Busch Vakuumpumpen, Ekato, Zahoransky und andere – sie sind als sogenannte „hidden champions“ für den Landkreis wichtige Motoren des Arbeitsmarktes, aber auch Aushängeschild des Unternehmer- und Innovationsgeistes, der hier zuhause ist.
Andreas Keller, Inhaber und Geschäftsführer der gleichnamigen Bürstenfabrik Keller, drückt es so aus: „Dickschädelig und gewitzt ist hier der Erfindungsreichtum zuhause.“ Ayla Busch von Busch Vakuumpumpen hat es in einem Talk einmal so beschrieben: Die Mischung aus Bodenständigkeit und trotzdem weltläufigem Interesse am Neuen, Anderen, welche die Menschen hier charakterisiere, sei die ideale Grundlage, an diesem Ort unternehmerisch tätig zu sein. Das ist wohl der Grund, warum weltweit tätige Firmen sowohl mit ihren Verwaltungszentralen und vor allem ihren Entwicklungsabteilungen als auch Teilen der Fertigung am hiesigen Standort festhalten.
Leider haben alle Arbeitgeber hier trotzdem mit einer entscheidenden Schwierigkeit zu kämpfen: Arbeitskräfte zu gewinnen, ist zurzeit die größte Herausforderung. Obwohl die Lebensqualität im Landkreis überragend ist. „Leben und arbeiten, wo andere Ferien machen.“ Sagt einer, der es wissen muss. Danny Neynaber, der mit seiner Frau Evlyn vor rund zwei Jahren den weithin bekannten Adler in Weil übernommen hat, um im traditionsreichen Lokal jetzt einen eigenen, innovativen Akzent zu setzen, war lange Zeit weg. Jetzt ist er in die Heimat zurückgekommen.
„Der Fuß zum Schwarzwald, das Tor zur Schweiz. Wenn man von den Weinbergen ins Wiesental fährt, auf dem Belchen ein Vesper nimmt und eine gute Flasche Weißwein trinkt. Den Blick ins Tal fallen lässt, dann weiß man, dass man im Landkreis Lörrach ist!“ Er ist sich auch sicher, „dass die Markgräfler unter den Südbadenern die echten Feinschmecker“ sind, wie er augenzwinkernd versichert. Fakt ist: von den südlich anmutenden Weinterrassen bis zu subalpinen Gipfeln reicht hier die abwechslungsreiche Landschaft mit vielfältigen Freizeitmöglichkeiten. Wandern, Mountainbiken, Langlaufen und Skifahren, still romantische Plätzchen und pulsierendes Leben liegen eng beieinander. Und die Dichte gehobener Gastronomie sucht ihresgleichen.
Der Kreis schließt sich: Den Landkreis zeichnet denn auch ein reiches Kulturleben aus. „Stimmen“ und „Burghof“ oder Vitra-Museum sind die Leuchttürme. Spannend – und eben im besten Sinne weltläufig aufgeschlossen – sind aber die vielen „kleinen“ Initiativen, getragen von engagierten Künstlerinnen und Künstlern, die nicht zuletzt ihre Inspiration aus der bunten Vielfalt des hiesigen Lebens schöpfen. Stellvertretend dafür stehen zum Beispiel der „Kulturraum Rosenhof“ in Schwand im Wiesental, der mit viel beachteten Tanzperformances aufwartet, oder der schöne nicht-mehr-ganz-Geheimtipp „Theater in den Bergen“. Im Zusammenspiel von Profi -Schauspielern und Laien spielt es seit Jahren vor ausverkauften Rängen. Kreativität und Natur im Zusammenspiel – ein durchaus symbolkräftiges Bild dieser Region.