Wie unsere Ansprüche ans Leben ändern sich auch die Wünsche für den letzten Weg. Die Beerdigung soll individueller, das Grab pflegeleichter sein. Über eine Branche im Wandel.
VON KATHRIN ERMERT
Der Tod eint alle Menschen, er gehört zum Leben wie die Geburt und war dennoch viele Jahrzehnte aus dem Alltag unserer westlichen Welt verschwunden. Das ändert sich seit einigen Jahren. „Der Tod ist kein Tabuthema mehr“, sagt Meike Wengler. Vielleicht hat sie auch ein bisschen dazu beigetragen. Denn die 49-Jährige hat die Messe „Leben und Tod“ erfunden, die seit 2008 in Bremen und seit 2022 auch in Freiburg stattfindet. Es ist die erste und immer noch einzige Ausstellung rund um den Tod, die Unternehmen und Privatpublikum zusammenbringt. Anfangs schwappte ihr deshalb sehr viel Misstrauen entgegen, erzählt Wengler. Viele hätten ihr eine Kommerzialisierung des Themas vorgeworfen. Zugleich sei sie selbst anfangs übervorsichtig, „gefühlt auf Zehenspitzen unterwegs“ gewesen und hätte nur auf schwarzweiße Optik gesetzt.
Entgegen der Kritik setzte Wengler auf Experten, sprach mit vielen Hospizorganisationen, Kirchen, Bestattern sowie Pflegeeinrichtungen und gründete aus deren Vertretern einen Beirat als ethische Leitplanke. Gegen die eigene Unsicherheit half ihr die Routine, die im Lauf der Jahre entstand, und die Erfahrung, wie gut es tut, im Trauerfall solch ein Angebot zu haben und über den Tod sprechen zu können. Dazu kam der Erfolg: Die Messe sei zwar keine „Cashcow“, berichtet Wengler. Aber sie schreibe schwarze Zahlen, was angesichts der Mischung aus kommerziellen und nicht-kommerziellen Ausstellern beachtlich ist. „Wir bekommen viel Aufmerksamkeit“, sagt Wengler. Sogar die New York Times habe ihre Messe schon erwähnt. Und mehrere deutsche Städte fragten in Bremen an. Im Fall Freiburgs passte es. 2020 sollte hier die erste „Leben und Tod“ stattfinden. Die Pandemie verschob die Ausstellung auf vergangenen Herbst. Knapp ein Drittel der Aussteller ist mit der Messe Bremen nach Freiburg gezogen, die Mehrheit der Unternehmen und Institutionen kommt aus Süddeutschland und der Schweiz.
Leerstand auf Friedhöfen
Das Ausstellerverzeichnis von „Leben und Tod“ zeigt: In der Branche tut sich einiges. Eine wachsende Zahl junger Menschen setzt sich aktiv mit dem Thema Tod auseinander, zum Beispiel in Blogs und Podcasts. Es gibt zahlreiche Gründungen sogenannter „Death-Techs“ und wieder weniger Nachwuchssorgen bei Bestattern. Corona hat viel damit zu tun, weil die Pandemie uns mit der eigenen Endlichkeit konfrontierte. Gleichzeitig hat sie die Digitalisierung in Bereiche gebracht, in denen sie bis dahin undenkbar war. Ein Berliner Start-up bietet zum Beispiel VR-Brillen an, mit denen man als Avatar virtuelle Trauerräume besuchen kann.
Überhaupt verändert das Digitale die Bestattungskultur. Elektronische Traueranzeigen und Beileidsbekundungen zählen mittlerweile zum Standardangebot von Tageszeitungen, und Internetunternehmen wie Mymemoria.de oder Urne.ch machen traditionellen Häusern Konkurrenz. Zugleich schwindet die Bedeutung der Kirchen, und das Bedürfnis nach Individualität und neuen Riten jenseits der Religion wächst.
Die Veränderungen zeigen sich auch auf den Friedhöfen. Nachdem manch eine Kommune Ende des 20. Jahrhunderts Platznot befürchtete, gibt es dort nun Leerstand. Viele Friedhöfe haben Probleme mit sogenannten Überhang-, also nicht genutzten, Flächen und fehlenden Einnahmen. Denn Urnengräber sind viel kleiner als klassische Sarggräber. Mittlerweile leistet sich kaum noch jemand ein Familiengrab. Anders als Trigema-Chef Wolfgang Grupp, dessen großzügige Anlage auf dem Burladinger Friedhof jüngst Schlagzeilen machte. Die letzte Ruhestätte soll vor allem pflegeleicht sein. Schließlich wohnt mehr als die Hälfte der Deutschen mindestens zwei Autostunden vom Heimatort entfernt.
Bei Krematorien und Urnenherstellern sorgt dieser Trend für mehr Nachfrage. Den Steinmetzen bricht indes ein wichtiges Geschäft weg, wenn es immer weniger Grabsteine braucht. Der Bundesverband engagiert sich deshalb für den Erhalt klassischer Friedhöfe und mitunter gegen neue Standorte von Bestattungswäldern.
Künftig wird auch die Nachhaltigkeit eine wachsende Rolle spielen: Bei den Bestattungsunternehmen, die relativ viel Energie für ihre Kühlräume brauchen und deren automobile Statussymbole auf dem Prüfstand stehen. Bei Krematorien, die sich mit CO2-Werten auseinandersetzen müssen. Und auf Friedhöfen, wo hinsichtlich des Grundwasserschutzes etwa über die Lackierung der Särge und das Material des Totenhemds diskutiert werden muss.
Zeit und Raum für Trauer
Ein Indikator für Veränderungen in der Branche ist das Freiburger Bestattungsinstitut Horizonte. Genau genommen müsste es heißen, die drei Bestattungsinstitute. Denn aus dem ersten 2002 gegründeten Horizonte auf der Haid sind zwei weitere hervorgegangen: 2005 Horizonte Dreisamtal und 2020 Horizonte am Moosweiher. Die Institute arbeiten wirtschaftlich eigenständig mit separaten Teams – aber alle im gleichen Geist und regelmäßigen Austausch. „Ein kleines Team ist Teil unseres Konzepts“, sagt Thomas Dickel beim Gespräch im Raum „Oase“. Wie die anderen Räume ist er hell und freundlich gestrichen und eingerichtet. Hier könnten auch Yogakurse stattfinden oder Babymassage.
„Wir wollen, dass die Menschen wissen, was wir machen, dass nichts im Verborgenen geschieht.“
Thomas Dickel, Horizonte
Thomas Dickel ist seit der Gründung bei Horizonte und leitet das Stammhaus auf der Haid seit Anfang 2021 zusammen mit seiner Frau Roswitha. Ein Dutzend Männer und Frauen arbeiten dort mit ihnen. Alle sind Quereinsteiger. Roswitha Dickel (55) war zuvor Krankenpflegerin und Bewegungstherapeutin, Thomas Dickel (58) ist eigentlich Geowissenschaftler. Das ist gar nicht so unüblich in dieser Branche. Bestatter ist keine geschützte Berufsbezeichnung, jeder darf sich so nennen. Die Ausbildung zur „Bestattungsfachkraft“ gibt es erst seit 2003.
Die Menschen stehen bei Horizonte im Mittelpunkt, und zwar Kunden gleichermaßen wie Mitarbeitende. „Wir wollen eine persönliche Begleitung. Wir wollen uns Zeit nehmen und Raum geben für die Menschen“, erklärt Roswitha Dickel. Diese Herangehensweise macht Horizonte auch im wirtschaftlichen Sinn erfolgreich, sodass sie mehr Anfragen bekommen, als sie bewältigen können. Deshalb ist vor gut zwei Jahren das dritte Institut entstanden. Und falls sich die Nachfrage weiter so entwickelt, entsteht womöglich noch ein viertes, obwohl Wachstum gerade nicht das Ziel von Horizonte ist, sondern die Haltung.
Transparenz nennt Thomas Dickel als erstes auf die Frage, was bei ihnen anders ist: „Wir wollen, dass die Menschen wissen, was wir machen, dass nichts im Verborgenen geschieht.“ Die Angehörigen wüssten oft nicht, was sie alles dürfen. Zum Beispiel den Toten noch zuhause zu behalten. Oder dabei zu sein, wenn der Leichnam gewaschen und angekleidet wird. „Wir eröffnen Räume, die vielen Menschen unbekannt sind“, sagt Roswitha Dickel. Das Leben im Moment sei entscheidend, was die Trauernden dann brauchen. Und sie selbst: Die Horizonte-Mitarbeitenden dürfen, ja sollen auch Emotionen zeigen. Sie weinen und lachen zusammen mit den Angehörigen.
All das gab es früher kaum. Das war der Grund für die Gründung und den Erfolg von Horizonte. Über Zahlen sprechen die Dickels nicht so gern. Es ist aber offensichtlich, dass die drei Horizonte-Standorte zu den größeren Bestattungsunternehmen in Freiburg und einem Umkreis von etwa 25 Kilometern zählen. Roswitha und Thomas Dickel betonen, dass sie sich nicht als Konkurrenz zu klassischen Bestattern sehen. Im Gegenteil: Sie freuen sich, dass sie Veränderungen bewirken. Dass andere Häuser jetzt beispielsweise auch Abschiedsräume anbieten und sich in freundlichen, lebendigen Farben präsentieren.
Dunkel war gestern
Ein gutes Beispiel dafür ist das Bestattungsinstitut Zepp-Höfler-Spittler, das Petra Roser vor vier Jahren übernommen hat. Das Stammhaus Zepp in Bad Krozingen war 1955, wie damals üblich, aus einer Schreinerei hervorgegangen. 2004 und 2011 hat es die Firmen Höfler Bestattungen in Heitersheim und Bestattungen Spittler in Opfingen übernommen. Mittlerweile zählt es sieben Standorte und beschäftigt rund ein Dutzend Mitarbeitende sowie demnächst drei Auszubildende.
„Bestatterin zu sein, ist meine Berufung.”
Petra Roser
Petra Roser arbeitet seit 2001 als Bestatterin und seit 2008 im Bestattungshaus Zepp. Sie hat sich zur Trauerbegleiterin und -rednerin weitergebildet sowie die Ausbildung zur Geprüften Bestatterin und die Bestattermeisterschule absolviert. „Bestatterin zu sein, ist meine Berufung“, sagt Roser. Aber es war ihr ein Anliegen, neue Ideen in das alte Berufsbild zu bringen. Früher habe der Bestatter den Verstorbenen abgeholt, einen Sarg verkauft und vielleicht noch ein Zeitungsinserat aufgegeben. Heute steht die Begleitung der Angehörigen im Vordergrund, nicht der Verkauf. „Das ist jetzt ein Rundumpaket“, sagt die 45-Jährige. „Wir legen den Grundstein, dass der Trauerprozess gelingen kann.“ Diesen Wandel kann man auch sehen.
Der Hauptsitz in Bad Krozingen war sehr dunkel und trist, erzählt Roser, überall Eiche rustikal. Und wenn man das Haus betrat, stand man mehr oder weniger gleich in der Ausstellung. „Das war für mich das Schlimmste“, sagt sie. „Särge und Urnen sollten nicht das Erste sein, das die Angehörigen bei uns sehen.“ Sie hat die Räume deshalb nach ihrer Übernahme umbauen und renovieren lassen. Jetzt seien sie offen, hell und einladend – wie ein Wohnzimmer bei Freunden.
Die Wiedereröffnung im vergangenen Oktober feierte das Bestattungshaus mit einem Tag der offenen Tür. Und seither finden Ausstellungen des heimischen Kunstvereins dort statt. So will Roser die Menschen einladen zu kommen, nicht erst nachdem jemand gestorben ist. Und auch dazu beitragen, das Thema Tod aus der Tabuecke zu holen. Das ist sinnvoll, denn tendenziell wird die Zahl der Todesfälle – und damit auch das Geschäft der Bestatter – in den kommenden Jahren steigen, weil die Babyboomer der Jahrgänge 1955 bis 1969 auf die 70 zugehen.