Hohe Zinsen und Energiekosten sowie knappes oder fehlendes Material dämpfen die Stimmung in der Bau- und Immobilienbranche. Das war beim ersten Immo-Update seit drei Jahren im Februar in der Messe Freiburg zu spüren, zu dem DIW-Chef Marcel Fratzscher als Gastredner kam.
VON KATHRIN ERMERT
Ein Großprojekt wie Dietenbach, dessen Details und Dimensionen der Freiburger Baubürgermeister Martin Haag den rund 160 Gästen des Fachkongresses vorstellte, sollte Bauherrenherzen eigentlich höher schlagen lassen. Doch als Moderatorin Sun Jensch in die Runde der Maklerinnen, Bauunternehmer, Energiedienstleister und Verwaltungsmitarbeitenden fragte, wer sich in Freiburgs neuem Stadtteil engagieren will, ging keine einzige Hand nach oben. Stattdessen füllte Gemurmel den Konferenzraum der Neuen Messe. „Es muss auch bezahlbar sein, für die, die es bauen“, war etwa zu hören. Und: „Das Konzept muss sich an Umsetzbarkeit orientieren.“
„Die Rahmenbedingungen könnten schlechter sein.“
Marco Wölfle, CRES-Leiter
Wären die Baupreise und Zinsen nicht so hoch, hätten sich alle Hände gehoben, mutmaßte Marco Wölfle. „Es ist alles eine Sache des Preises“, sagte der Leiter des Centers für Real Estate Studies (CRES), der die Preisentwicklung des Freiburger Miet- und Immobilienmarktes wahrscheinlich wie kein Zweiter kennt. Tatsächlich sind die Baukosten hoch, und die steigenden Zinsen dämpfen die Kauflust. Das Transaktionsvolumen mit Immobilien ist 2022 gesunken – in Deutschland um knapp sieben Prozent und damit weniger dramatisch, als viele befürchtet hatten. In Baden-Württemberg immerhin um rund neun Prozent. „Die schlimmen Nachrichten sind gar nicht so schlimm“, befand Wölfle dennoch. „Die Rahmenbedingungen könnten schlechter sein.“ Denn die Konjunktur sei stabiler als gedacht, es herrsche nach wie vor Rekordbeschäftigung, und die Staatsschulden blieben trotz Corona und Krieg auf einem vergleichsweise niedrigen Stand.
Keine Konsolidierung im Umland
Dennoch zeigen sich auf den Immobilienportalen, die Wölfle für seine Studien untersucht, Veränderungen, die auch die beim Kongress anwesenden Immobilienexperten bemerken. Selbst Filetstücke, die sie bislang nur wenige Stunden online ließen, bleiben nun schon mal ein oder zwei Wochen stehen. Außerdem haben viele ihre Einkaufspolitik geändert und lehnen jetzt auch Angebote ab. Wer sich das Geld für den Immobilienkauf nicht bei der Bank leihen muss, kann derzeit Schnäppchen machen. In Freiburg beginnen sie laut Wölfle bei einem Quadratmeterpreis knapp über 3000 Euro. Die Spitzenlagen kosten allerdings immer noch mehr als 7000 Euro.
Und die kleine Delle in der Kurve der Angebotspreise gibt es nur in der Stadt selbst. Im Umland, wo der Markt insgesamt kleiner ist, habe keine Konsolidierung stattgefunden, sagte Wölfle. Er hat den Eindruck, „dass sich teuer und günstig sowohl beim Kauf als auch bei den Mieten verschoben haben“. Bislang sei eher hoch geboten worden, jetzt bewegten sich die Angebotspreise zum Teil von der Marktrealität weg.
Die schlechteren Bedingungen für Neubauten und Immobilienkäufe setzen die Mieten unter Druck. Denn der Bedarf an Wohnraum ist ja nicht kleiner geworden. „Freiburg ist immer noch ein gefragter Markt“, sagte Wölfle. Dementsprechend gibt es in seiner Statistik, die auf der Beobachtung der Immobilienportale beruht und deshalb nicht dem offiziellen Mietspiegel entspricht, keine Quadratmetermieten mehr im einstelligen Bereich. Im Gegenteil überschreiten die oberen Werte in einigen Freiburger Stadtteilen die Zwanzig-Euro-Marke, so in Günterstal, Neuburg, St. Georgen, Zähringen und im Stühlinger. Auch im Freiburger Mietspiegel liegt die Basismiete bei Zwanzig-Quadratmeter-Wohnungen knapp unter zwanzig Euro pro Quadratmeter.
Der Druck auf den Wohnungsmarkt wird nicht nachlassen, denn Freiburg wächst weiterhin, die Zahl der Arbeitsplätze sogar noch stärker als die Bevölkerung, wie eine jüngst veröffentlichte Studie gezeigt hat. Universität, Forschungseinrichtungen, die Gesundheitsbranche und innovative Firmen in der Stadt ziehen Beschäftigte an, und die müssen auch irgendwo wohnen. Die Bedarfsanalyse der Stadt aus dem Jahr 2020 zeigt, dass 2040 trotz des Großprojekts Dietenbach rund 5000 Wohneinheiten fehlen werden. Diese Zahl beruht zwar auf einer höheren Prognose. Doch die tatsächliche Entwicklung habe die prognostizierten Zahlen bislang sogar übertroffen, sagte Baubürgermeister Haag.
Langfristig keine hohen Zinsen
Dass die Schere zwischen Kauf- und Mietpreisen auseinandergeht, kann ein Warnsignal für eine Blase auf dem Immobilienmarkt sein. Diese Gefahr sieht Marcel Fratzscher in Deutschland allerdings nicht. „Wenn man länger zurückblickt, relativiert es sich“, sagte der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, der als Gastredner zu dem Freiburger Immo-Update gekommen war. Zwar seien die Immobilienpreise vor dem jüngsten Knick fünf Jahre lang stark gestiegen. Die zehn bis fünfzehn Jahre zuvor hätten sie sich aber sehr moderat entwickelt. Und in Relation zu den Mieterträgen seien die Kaufpreise bis 2011 sogar gesunken und steigen seither erst. Fratzscher sieht „keine systematische Übertreibung deutschlandweit“, sondern eher einen Aufholprozess. Denn gemessen am Einkommen waren Immobilien in den 1980er- und 1990er-Jahren teurer als jetzt.
“Gemessen am Einkommen waren Immobilien in den 1980er- und 1990er-Jahren teurer als jetzt.”
Ökonom Marcel Fratzscher
Kritischer sieht Fratzscher die gesamte deutsche Wirtschaftslage. Angesichts der „massiven Kosten“ aufgrund des Kriegs in der Ukraine und der damit einhergehenden Energiekrise sei eine Stagnation schon das optimistischere Szenario. Zwar gebe es im Moment kein Risiko einer Insolvenzwelle. Doch die deutsche Industrie stehe vor drei großen Transformationsprozessen. Sie müsse ihre Lieferketten resilienter gestalten, indem sie sich breiter aufstellt, nicht so abhängig von wenigen Lieferanten ist und auch wieder mehr auf Lager hält – statt „just in time“ lieber „just in case“. Die Vorstellung, dass man wieder mehr hierzulande produziert und damit die Abhängigkeit von China reduziert, nannte Fratzscher indes „völlig illusorisch“. Gerade die großen Konzerne wie Volkswangen erzielten wesentliche Teile ihres Gewinns in China.
Eine zweite und wohl die größte Herausforderung ist laut Fratzscher die ökologisch-digitale Transformation. Etwa zehn Billionen Euro seien allein nötig, um den europäischen Green Deal umzusetzen. Wobei lediglich zehn Prozent der Investitionen einer Volkswirtschaft vom Staat kommen, der Rest ist privat. Damit Unternehmen investieren können, müsse der Staat Hürden abbauen, mahnte Fratzscher und zählte auf, wo es bislang hakt: Bürokratie, Infrastruktur, Fachkräfte. Und schließlich die soziale Transformation: Denn Menschen mit schwächeren Einkommen macht die fast zehnprozentige Preissteigerung viel mehr zu schaffen, weil sie einen weit größeren Teil ihres Lohns für Energie, Lebensmittel und Wohnen ausgeben. Das Problem: Die Inflation ist weitestgehend über die Energiepreise importiert, weshalb die Notenbanken sie mit Zinserhöhungen nur wenig eindämmen können.
All dieser Probleme zum Trotz fand Fratzscher einen optimistischen Ausblick – insbesondere für die Immobilienbranche: „Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die Europäische Zentralbank zum Jahresende oder Anfang 2024 die Zinsen wieder senkt“, sagte der Ökonom, der langfristig in den Industrieländern mit einem Realzins nahe Null rechnet.