Seit gut einem Jahr ist Petra Riesterer Geschäftsführerin des Sulzburger Unternehmens Hekatron Brandschutz. In dieser Zeit hat die 47-jährige Elektroingenieurin eine enorme Transformation angeschoben. Wie haben sich die ersten 14 Monate im Amt für sie angefühlt, wie führt und motiviert sie? Eine Langzeitbeobachtung.
VON RUDI RASCHKE
Eine eher nicht so einfache Ausgangslage: Die Geschäftsführung eines erfolgreichen Unternehmens zu übernehmen, das für Brandmelder so etabliert ist wie Tempo beim Papiertaschentuch. Das sich in stetigem Wachstum befindet und gute Umsätze einfährt. Und das noch viel mehr Produkte oder Dienstleistungen absetzen könnte, wenn nicht Lieferketten, Pandemie und Kostensteigerungen zugeschlagen hätten. Bei manchem Unternehmen sind die Gründe für Transformation oder Digitalisierung dramatischer als bei Hekatron, wo seit jeher in Innovation investiert wird – 8,5 Prozent des 215-Millionen-Umsatzes waren es zuletzt. Das war die Situation, in der der scheidende Geschäftsführer Peter Ohmberger im Januar 2022 die Büroschlüssel an Petra Riesterer übergab und eine neue Aufgabe in der Schweizer Muttergesellschaft übernahm.
Die neue Chefin ist wie er nach kurzen Umwegen seit mehr als 20 Jahren an das Unternehmen gebunden. Sie hat sich gegen ausschließlich männliche Kandidaten durchgesetzt. Als gebürtige Freiburgerin, als langjährige Führungskraft, aber auch als Elektroingenieurin in einer nach wie vor von Männern dominierten Branche. Für die örtliche Tageszeitung gehörte zur Notiz ihrer Ernennung auch ein Satz zu ihren privaten Lebensverhältnissen. Bei männlichen Vorständen steht an gleicher Stelle meist die bisherige Unternehmensgröße oder Bilanzsumme.
Augenhöhe und Fokussierung
Das Thema Frauen in Führung und in technischen Berufen, Empowerment allgemein, wird eine Rolle spielen in diesem Jahr, wenn auch nicht die wichtigste. Es läuft quasi als Hintergrundmelodie durchgehend mit, wenn es um die Arbeit von Petra Riesterer geht. Noch vor ihrem ersten Arbeitstag als Chefin umreißt sie im gemeinsamen netzwerk südbaden Interview mit dem scheidenden Vorgänger Ohmberger Ende 2021 recht klar, dass sie eine kulturelle Erneuerung plant, auch wenn sie keineswegs alles auf links drehen will. Zum Ausbau neuer Geschäftsmodelle und digitaler Applikationen sagt sie: „In diesem Bereich liegt eine Geschwindigkeit vor, die ein anderes Arbeiten erfordert.“ Besonders die Themenwelt rund um New Work, Kollaboration, aber auch das Hinterfragen klassischer Organigramme mit neuen Methoden und Organisationsformen im Unternehmen sind zentral für Petra Riesterer.
Was am Ende über alle Interviewtermine, Mittagessen oder Teamsitzungen hinweg beim Beobachter von Riesterer haften bleibt: ihre unglaubliche Fokussierung. Sie ist beim Videogespräch morgens um 7.30 Uhr Mitte Oktober nicht nur hellwach, sondern in der gleichen Konzentration, mit der sie am selben Tag die wichtige Versammlung für alle Mitarbeitenden im Beisein ihres Schweizer Geschäftsführers Daniel Liechti, dem Chef der Securitas Gruppe, bestreiten wird. Der familiengeführten Securitas gehört Hekatron seit 1993 vollständig. Riesterer vermittelt bisweilen überirdische Professionalität – sie scheint nie müde zu sein, nie mit anderen Sorgen befasst, sie rauft zwischendurch keine Haare und reibt keine Augen, was menschlich wäre. Sie begegnet einem durchsetzungsfähig, zugewandt und nahbar zugleich. Ein Wort, das immer wieder in diesem Jahr fallen wird, wenn es um die Kultur des Unternehmens, die Wertschätzung der Mitarbeitenden, um Führung und Struktur geht: Augenhöhe. Dazu gehöre es, so – sie hält eine Hand auf ihr Herz – auf Menschen zuzugehen.
Dass sie das Unternehmen in Zeiten von Pandemie, Krieg und Rohstoffproblemen durch eines der schwierigsten Jahre nicht nur geführt, sondern auch verändert hat, werden anschließend Mitstreiter von ihr sagen, nicht sie selbst. Hekatron hätte bisher nicht so viel Krise bewältigen müssen, sagt beispielsweise der Personalchef Carlo Kälble. „Das muss man dann erst mal alles im ersten Amtsjahr schaffen.“
Auf Du mit dem Strukki
Michael Roth, der in Sulzburg die andere Hälfte von Hekatron leitet – Riesterer ist für die Produkte und Leistungen rund um den Brandschutz verantwortlich, Roth für die Produktion und das Manufacturing im Auftrag anderer Unternehmen – lobt den „absoluten technischen Sachverstand“, mit dem die einst erste Ingenieurin in der Firma überhaupt den Durchbruch geschafft habe.
Trotz der Lieferanten-Kunden-Beziehung unterm selben Dach spricht er vom „vertrauensvollen Umgang“ der beiden Unternehmenschefs, die für insgesamt 1050 Menschen verantwortlich sind. Der Hobbymotorradfahrer Roth und die Hobbygärtnerin Riesterer, passt das? „Sie ist Markgräflerin, ich Kaiserstühler, wir sind aus dem gleichen Kulturkreis“, sagt Roth lachend. „Das ist nicht wie mit einem Nordlicht, das zum Beispiel mit Fasnet nichts anfangen kann.“
Roth sagt über sein Pendant auch neidlos: „Sie ist strukturierter als ich.“ Riesterer selbst bezeichnet sich als „Strukki“, eine eigene Wortschöpfung für ihren erklärten Willen, Dinge grundsätzlich so organisiert wie nur möglich anzugehen.
Die, die vielleicht am engsten mit ihr zusammenarbeitet, seit sechs Jahren bereits, ist ihre Assistentin Tanja Büscher. Sie sagt, dass zwar der Druck zu spüren sei, der auf ihrer Chefin lastet, nicht aber eine menschliche Veränderung, die bei Leuten in Führungspositionen ja eintreten könne. Und sie gehöre nicht zu den Führungskräften, die die Chefkarte ziehen müssten, um sich durchzusetzen. Mit ihrer Auffassungsgabe durchblicke sie Zusammenhänge im Unternehmen „bis ins hinterste Zahnrädle“. „Beim informellen Gespräch unter Kollegen ist Petra genauso aufmerksam wie im Krisenmeeting.“ Riesterer hat den Hashtag „#gernperdu“ in der internen Mailsignatur als Option für alle eingeführt, seit sie Chefin ist.
Rund um die Themen der New Work entstand im Jahr 2022 ein eigenes Projekt. Die Entscheidung für die Leitungsposition traf Riesterer zugunsten der erst 23 Jahre alten Theresa Köbelin. Im Herbst präsentierte diese mit ihrem Team der gesamten Belegschaft einen Kinotag zur Bedeutung von New Work. Mittendrin saß die Chefin. Ausgewählt war das Programm vom New-Work-Team, nicht von ihr. Das gehört zum hohen Maß an Selbstverantwortung, zu dem Riesterer ihre Teams aufruft. „Das Thema ist eine Spielwiese, auf der ich nicht eingegrenzt werde“, sagt Köbelin. New Work ist bei Hekatron kein reiner Selbstzweck für ein fluffiges Miteinander ohne Türen und Wände, es ist aus vielerlei Gründen eine Notwendigkeit. Nicht nur, weil das Unternehmen nach der Pandemie mehr Mitarbeitende als Schreibtische aufweist. Sondern auch, weil ein Wandel der Arbeitskultur auf Effizienz und Attraktivität des Unternehmens gleichermaßen einzahlen soll.
Das Ziel ist der Weg
Das zentrale Werkzeug, mit dem Riesterer die Transformation voranbringt, ist der sogenannte Loop Approach, eine Organisationslehre, die sich bei vielen Modellen der vergangenen Jahre bedient: Von agil bis systemisch, von Holacracy bis Design Thinking. Vereinfacht gesagt ist der Loop eine Abfolge von Schleifen, die zwischen Ausgangspunkt und Ziel zurückgelegt werden. Ein Kreislauf, bei dem nicht irgendwie ein Ziel erreicht werden soll, sondern es auf die Qualität des Wegs ankommt. Und der in den sich ständig wiederholenden Schritten Klarheit – Ergebnisse – Evolution wieder zu neuen Kreisläufen führt.
„Dazu gehört für mich auch, mit einem Konzept zu arbeiten, bei dem nicht einfach Führungskräfte von anderen Führungskräften vertreten werden, sondern von Mitarbeitern aus ihrem Team“, beschreibt Petra Riesterer die Idee, die inhaltliche Kompetenzen über Hierarchien stellt. Auf diese Weise seien auch Entwicklungsmöglichkeiten und Förderung im Unternehmen in der zweiten oder dritten Ebene geboten, und ganz nebenbei auch mehr Frauen in den Entscheidungsgremien dabei. Es geht darum, ein Unternehmen zu entwickeln, in dem man die Mitarbeitenden entwickelt. „Vom Ego zum Selbst“ lautet eine Headline im Loop Approach Buch.
Zu dieser Förderung gehört im besten Fall sogar ein Abschiednehmen, das weiß Petra Riesterer: Einer Mitarbeiterin, die für sie wichtig war bei Kultur- und Moderationsthemen, hat sie vermittelt, dass sie Führung übernehmen kann. „Voll eingeplant“ sei diese gewesen sagt Riesterer, trotzdem habe sie empfohlen „Du musst das machen“, als es um die Personalleitung in einem anderen Unternehmen ging. Für Riesterer ein trauriges und zugleich schönes Ereignis. Es seien bei beiden ein paar Tränen geflossen, als der Entschluss feststand. Auch das kann Augenhöhe bedeuten.
Andere befähigen
In diesem Zusammenhang: Was ist männlich, was ist weiblich an ihrer Führung? Riesterer, von der Unternehmensgröße eine der mächtigsten Frauen in der südbadischen Unternehmenswelt, eine, die Dinge erkennbar anders macht, scheint dieses Thema zu beachten, es beschäftigt sie aber nicht rund um die Uhr. Sie sagt, dass sie „Empowerment“, also die Befähigung von Menschen, nicht allein im Sinne von Frauen verstehe, sondern allgemein für ein diverses, modern aufgestelltes Unternehmen. Menschlichkeit dürfe keineswegs mit Kuschelkurs verwechselt werden, auch das gehört für sie zum Rollenverständnis. Reflexion, auch hart-in-der-Sache-sein sei kein Widerspruch zur Menschlichkeit. Bei einer Person, deren Führungsstil nicht zu Hekatron passe, sei sie in ihrem ersten Jahr dazwischen gegangen und habe die Trennung in die Wege geleitet.
Hat sie sich selbst transformiert in diesem Jahr? „Ich bin heute nicht anders als am Jahresanfang“, sagte sie im Spätherbst. Trotzdem habe es ein „Hineinverändern“ in die neue Rolle gegeben, bilanzierte sie vor wenigen Wochen. Die Verantwortung werde einem immer bewusster, sie wolle trotzdem ihre Leichtigkeit bewahren. Sie werde weiterhin samstags mit der Gartenarbeitshose im Edeka nahe der Arbeit einkaufen, das lasse sie sich nicht nehmen. Und die Gesprächsthemen mit Kolleginnen beim Warmmachen einer Suppe im Cafeteriaraum seien dieselben wie früher. Sie habe es lediglich ein wenig leichter, dass jeder ans Telefon geht, den sie anruft, sagt sie lachend.
„Natürlich schaffen wir es nicht, restlos alle immer mitzunehmen. Manche sagen schon ‚es kreiselt‘, wenn es um den Loop geht. Wir wollen damit aber keine ganz eigene Welt schaffen, sondern adaptieren Methoden für uns – um ein zeitgemäßes Unternehmen zu bleiben. Und ein attraktiver Arbeitgeber“, sagt Riesterer. Das schafft sie auch durch kleine Maßnahmen wie jüngst ihr „Frühjahrsputz“: Es soll künftig keine internen Meetings mehr vor 9 und nach 16 Uhr geben. Als Schutz vor Überlastung.
Petra Riesterer ist als CEO in der Industrie im Ländle ziemlich sicher der exakte Gegenentwurf zu Unternehmern wie Wolfgang Grupp (Trigema). Oder all den vielen anderen Chefs, die eigentlich nur Personal zu haben scheinen, weil sie nicht alles selbst erledigen können. Der krasse Kontrast darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie einige ganz altmodische Tugenden einer Schafferin aufweist, angefangen beim Frühestaufstehen, aber auch bei einem Glaubenssatz, den sie jeder Führungskraft mitgibt: Dass es darum geht, vom „Sehen ins Tun zu kommen.“
Petra Riesterer hat sogar noch nach Antritt ihrer neuen Aufgabe ein Management-Studium in Zürich und St. Gallen durchgebracht. Sie ist Vorstand im zweitgrößten Industrieverband Deutschlands, dem der Elektro- und Digitalindustrie. Und sie arbeitet im Urlaub noch im Liegestuhl alle arbeitsrelevanten Videos ab, die sie unterm Jahr nicht schauen kann.
„Ich fühle mich zur richtigen Zeit am richtigen Platz.“
Petra Riesterer
Was ihn im ersten Jahr von Riesterer als Chefin nicht überrascht habe? „Sie arbeitet zu viel – auch für einen CEO“, sagt Personalchef Kälble. Dass sie ein wenig ungeduldig wird, wenn Dinge nicht einfach zu lösen sind. Und dass sie wirklich alle Details verstehen will. Überrascht habe ihn dagegen, wie gut Petra Riesterer das Unternehmen kenne, „wirklich nahezu alle Menschen und deren Hintergründe.“
Riesterer selbst bilanziert ihr erstes Jahr so: Es sei eine „Entdeckungsreise“ gewesen. Sie habe nur wenige Dinge erlebt, die nicht absehbar waren, zum Beispiel dass sie mit dem ersten Arbeitstag auch noch interne Strahlenschutzbeauftragte wurde. „Unter den gegebenen Umständen“ habe ihr Unternehmen das Beste erreicht, „wir sind auf Sicht gefahren und haben weiter an der Zukunft gearbeitet. Der Auftragseingang sei sehr gut. Das Unternehmen könne stolz sein, was alle geleistet hätten. Das Dreieck Strategie – Struktur – Kultur gelte es jetzt, weiterhin zu stabilisieren – „für unsere Kunden und Mitarbeiter.“
Für ihre aktuelle Aufgabe musste sie erstmals „aktiv den Hut in den Ring werfen“, wie sie es nennt. Hat es sich gelohnt? „Ich fühle mich zur richtigen Zeit am richtigen Platz.“
1 Kommentar
Als bekennender Fan der Transformation habe ich Respekt von der großen Leistung die Petra und Ihr Team bis dato abgeliefert haben und Ich wünsche allen Beteiligten viel Kraft für den noch vor Ihnen liegenden Weg. Bekanntlich ist dieser das Ziel. 😉 “Vom Sehen ins Tun kommen” – viel Erfolg. Dieser Wunsch gilt für alle Hekatron Gesellschaften.