Die Bekleidungsindustrie verbraucht Ressourcen und verursacht weltweit soziale und ökologische Schäden im großen Stil. Schnäppchen sorgen für den kurzen Kick. Getragen werden die Teile dann kaum und die Altkleidermenge wächst gigantisch. Über Konzepte für den Ausstieg dem Fast-Fashion-Karussell.
VON CHRISTINE WEIS
Neues Zahlenwerk vom Statistischen Bundesamt aus Wiesbaden verdeutlicht das Problem der Altkleider. 2022 hat Deutschland rund 462.500 Tonnen gebrauchter Kleidung exportiert. Pro Kopf sind das 5,5 Kilo. Auch die europäische Umweltagentur EEA liefert aktuelle Daten, demnach gibt der Europäer 15 Kilo Altkleider jährlich weg. Ein großer Teil der ausgemusterten und gespendeten Kleidung landet in Afrika oder Asien. Einmal exportiert sei das Schicksal gebrauchter Textilen oft ungewiss, heißt es in dem Bericht der EU-Behörde von Ende Februar. Jene Teile, die weder recycelt werden, noch in den Secondhand-Markt kommen, landen meist auf Mülldeponien. Das sind gigantische Mengen: Circa 70 Tonnen Pullover oder Jeans werden laut der Wochenzeitung „Die Zeit“ täglich auf einer Halde bei Ghanas Hauptstadt Accra angeliefert. Ebenfalls durch die Medien gingen die riesigen Stoffberge in der Atacama-Wüste in Chile, wo sich die Textilien aufgrund der Hitze entzünden, und erhebliche Luftverschmutzung verursachen. Minderwertiges Material und Mischfasern lassen sich schlecht recyclen. Wenn, dann allenfalls zu Dämm-Material oder Putzlappen. Auch davon gibt es schon genug.
Hierzulande werden die Altkleider meist von karitativen Einrichtungen oder öffentlichen Entsorgungsträgern eingesammelt. Die Freiburger Abfallwirtschaft ASF holt zum Beispiel im Stadtgebiet an circa 200 Standorten rund 1000 Tonnen Alttextilien jährlich ab.
Länger tragen, leihen und tauschen
„Wir haben von allem genug. Eigentlich brauchen wir gar keine neue Kleidung“, sagt Katja Weeke zu dem Problem der Überproduktion und dem Altkleideraufkommen. Die Schneiderin und Modedesignerin arbeitet seit sechs Jahren in der sozialen Einrichtung Kleiderladen samt dem dazugehörigen Secondhand-Laden Outfit in Freiburg. Seit Anfang des Jahres leitet sie beide Läden. In der Dreikönigstraße im Stadtteil Wiehre stehen zwei große Container. Weeke und ihrem Team von vorwiegend ehrenamtlichen Mitarbeitenden ist es allerdings lieber, wenn die Altkleidung persönlich abgegeben wird. Dann könne man die Spenden direkt begutachten. Denn rund 40 Prozent der Spenden von Bettwäsche bis Badehose sowie Taschen, Schuhe oder Gürtel seien unbrauchbar, das heißt verschmutzt, beschädigt oder von schlechter Qualität. Die gespendete Bekleidung wird sortiert und aufgebügelt. Im Kleiderladen können sich Menschen mit Sozialberechtigungsschein dann kostenlos eindecken. Rund 11.000 Personen – darunter Alleinerziehende, Familien, Flüchtlinge, Rentner, Haftentlassene oder Wohnungslose – nutzen aktuell dieses Angebot.
“Wir haben von allem genug. Eigentlich brauchen wir keine neue Kleidung.”
Katja Weeke,, Leiterin Kleiderladen Freiburg
Im Schnitt erhalte der Kleiderladen rund 150 Tonnen Kleiderspenden jährlich. 10 bis 15 Prozent davon werden im Outfit verkauft. Das Geschäft ist unweit vom Kleiderladen an der Schwarzwaldstraße. Der Verkaufserlös fließt wiederum in soziale Projekte. „Secondhand ist Trend, das zeigt sich auch an der gestiegenen Kundenfrequenz im Outfit“, sagt Weeke, „die Menschen kaufen aus ökologischem Bewusstsein vermehrt gebrauchte Ware“. Es gehe aber auch um Modestil, denn mit Secondhand könne man sich individueller kleiden. Aus sozialen und nachhaltigen Gründen gebe es im Outfit auch die Möglichkeit zum Kleidertausch und seit Kurzem auch einen Leihservice. „Ich finde es wichtig, dass auch Menschen mit wenig Geld, sich gut anziehen können, speziell für Anlässe wie das Bewerbungsgespräch oder eine Feier.“
Stoffe im Kreislauf halten
Shoppen macht happy. Der neue Fummel wird in der Regel allerdings nur knapp zweimal getragen. Circa 60 neue Kleidungsstücke wandern jährlich in den Schrank. Den Kleiderschrank nennt Anne-Marie Grundmeier den Vorhof der Deponie. Die Professorin für Mode- und Textilwissenschaften und ihre Didaktik lehrt an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg. Mode sei zum Wegwerfartikel geworden. Die Zyklen von Produktion und Gebrauch würden sich immer schneller drehen. So bringt etwa der chinesische Konzern Shein auf seiner Plattform nahezu täglich neue Kollektionen heraus, designt nach dem Massengeschmack, der mittels Künstlicher Intelligenz berechnet wird, erläutert die Wissenschaftlerin. Um dem unkontrollierten Markt und dem zügellosen Konsum Einhalt zu gebieten, nennt Grundmeier mehrere Ansätze: „Wir brauchen politische Rahmenbedingungen für den weltweiten Handel und die Herstellung. Es sollte klare Standards für die Beschaffenheit von Textilien geben. Und es bedarf einer grünen Transformation des Verbraucherverhaltens.“ Sie erläutert die Forderungen an konkreten Beispielen.
“Wir brauchen politische Rahmenbedingen für den weltweiten Handel und die Herstellung von Textilien.”
Anne-Marie Grundmeie, Professorin PH Freiburg
Sofern Textilien aus sortenreinen Bestandteilen wie zum Beispiel Biobaumwolle gefertigt sind, können diese entweder wiederverwertet oder kompostiert werden. Nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip bleiben die Rohstoffe damit im Kreislauf und enden nicht am Schluss einer Lieferkette auf der Müllhalde. Gerade Synthetikfasern seien in der Hinsicht problematisch, da sie sich nur schwer wiederverwerten ließen. Neu entwickelte Stoffe aus abbaubaren Naturmaterialien wie Ananas- oder Orangenfasern, Algen oder Pilzkulturen können ebenfalls nachhaltige Lösungen sein.
„Als Konsumierende hat man viele Handlungsmöglichkeiten“, erklärt Grundmeier. Hochwertige Kleidung könne lange genutzt werden, indem man sie richtig pflegt, repariert oder auch umgestaltet. Hier sieht sie einen klaren Bildungsauftrag für die Schulen. An der PH bietet Grundmeier für die ausländischen Studierenden, die neu nach Freiburg kommen, die Infoveranstaltung „wear, care, repair“ an. Das Programm beinhaltet auch einen „Future Fashion Walk“ durch Freiburg. Stationen auf dem Walk sind unter anderem das oben erwähnte Outfit oder die Kleiderei. Der Laden im Stühlinger hat Kleidungsstücke zum Ausleihen.
Ökologische und soziale Produktion
„Der Fluss war plötzlich rot“, sagt Stefan Niethammer. Im Gespräch erinnert sich der Konstanzer Unternehmer an den schweren Chemieunfall von Sandoz im Jahr 1986. Eine Lagerhalle des Basler Chemiekonzerns brannte und das giftige Löschwasser wurde in den Rhein geleitet. Zum Zeitpunkt des Unfalls war Niethammer zwölf Jahre alt. Er hatte in seiner Heimatgemeinde Rheinfelden einen kleinen Garten am Rheinufer. Das giftige Wasser habe damals seine kleine grüne Welt zerstört. Dieses Erlebnis war prägend für ihn. Heute vertreibt Niethammer unter dem Branding „3 Freunde“ Fairtrade zertifizierte T-Shirts aus Biobaumwolle. 2012 gründete er die Näherei Mila Clothing mit aktuell 15 Mitarbeitenden in Südindien. Der Rhein ist wieder sauber – und genau da setzt Niethammers Kritik an. „Damit wir hier ein T-Shirt für vier Euro kaufen können, werden in anderen Ländern die Flüsse mit Bleich- und Färbemitteln verseucht“, beklagt der 48-Jährige. Es müsse unser Anspruch als humane Gesellschaft sein, dass niemand auf der Welt bei der Produktion eines Shirts Schaden davonträgt.
„Unsere Shirts werden von Firmen, Verbänden oder Institutionen gekauft, die unsere ökologischen und sozialen Werte teilen.“
Stefan Niethammer, Geschäftsführer 3Freunde
Ein 3-Freunde-Shirt kostet rund 30 Euro. In der Bepreisung bilden sich laut Niethammer existenzsichernde Löhne für Näherinnen und Bauern sowie der Anbau von Biobaumwolle ohne künstliche Düngemittel ab. „Unsere Shirts werden von Firmen, Verbänden oder Institutionen gekauft, die unsere ökologischen und sozialen Werte teilen“, sagt Niethammer, „man setzt damit auch ein Statement“.
Die Produkte sind mit dem Gots-Siegel (Global Organic Textile Standard), dem „Grünen Knopf“ und dem Fairtrade-Siegel gelabelt. Im Sinne der Verbraucheraufklärung sollten nach Meinung Niethammers gerade die nicht nachhaltigen Kleidungsstücke ähnlich wie Zigaretten mit einem Warnhinweis versehen werden. „Durch dieses Shirt wurden Flüsse vergiftet, das Grundwasser belastet und Arbeiterinnen ausgebeutet“ lautet sein Negativbeispiel. Er geht noch weiter und erachtet auch ein Werbeverbot für Fast Fashion als sinnvoll. Der Unternehmer sieht nicht allein den Konsumenten in der Pflicht. Es brauche gesetzliche Regulierungen für die Einhaltung fairer Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Lieferketten in der Textilindustrie. Mit dem neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz für Unternehmen von mindestens 3000 Mitarbeitenden (ab 2024 sinkt die Grenze auf 1000) würden einige Konzerne zum Handeln gezwungen. Niethammer sieht darin einen Anfang, aber der Weg zu mehr Nachhaltigkeit in der Modewelt sei noch sehr lange.