„Wer rastet, der rostet“ – an dem Sprichwort ist mehr dran, als man denkt. Wer möglichst lange fit bleiben möchte, kommt um Sport nicht drum herum. Warum es nie zu spät ist, einen aktiven Lebensstil zu etablieren – und wie der Start gelingen kann.
VON JULIA DONÁTH-KNEER
Donnerstag, 9 Uhr und der Saal ist voll. In der Tanzschule Gutmann im Ballhaus Freiburg treffen sich montags und donnerstags morgens eine Handvoll Freundinnen zur Gymnastik – seit über 40 Jahren. Wir sprechen nicht von Seniorentanz, sondern von echtem Sport. Unterarmstütz, Muskeltraining, Koordination, Bauch, Beine, Po, Stretching und Steptouch. Es schwitzt, schwätzt, tänzelt. Und es ist anstrengend – auch für die zwei jüngeren Teilnehmerinnen des Ladies Dance Club. Natascha und Elena sind beide 25 Jahre alt und seit ein paar Monaten dabei. Oft können sie nur bewundernd auf die Nachbarmatten linsen, auf denen Damen turnen, die locker ihre Großmütter sein könnten.
Hanna ist 83 Jahre alt. „Die Älteste bin ich aber nicht, das ist die Frau Funk, die ist fast 90. Aber sie ist heute nicht da“, erzählt die zierliche Rentnerin lächelnd. Anwesend sind heute: Minu (82), Dagmar (79) und Brigitte (74). Neulich hat sich Hanna den Fuß verknackst – weil sie zu flott die Treppe runtersprang. Alle sind topfit, schlank und haben eine Haltung, die jeden Orthopäden begeistern würde. Es ist eine eingefleischte Clique, die nach dem Training noch Kaffee trinken geht, gemeinsam Nikolausfeiern veranstaltet und sich über den Alltag austauscht. Eine Gemeinschaft, die viele Senioren suchen und die diese Damen gefunden haben. Es macht auch die Besonderheit dieser Gruppe aus.
„Rückenschmerzen habe ich nicht, höchstens mal Muskelkater.”
Minu, 82 Jahre alt
„Einmal wollte ich die Uhrzeiten ändern“, erzählt Trainerin Martina Micoli. „Das hat viel Überzeugungskraft gekostet.“ Bei diesem Ladies Club ist Sport nicht Mittel zum Zweck, er ist selbstverständlicher Teil des Alltags und das seit vielen Jahrzehnten – und er hilft, diesen besser zu bewältigen. Gartenarbeiten, Einkaufen, Saubermachen, Treppensteigen, Besuche der Enkel – für die Seniorinnen kein Problem. „Rückenschmerzen habe ich nicht, höchstens mal Muskelkater“, sagt Minu. Man sieht es ihnen an, jede Einzelne wirkt locker fünfzehn Jahre jünger.
Für Sport ist es nie zu spät
Das ist kein glücklicher Zufall, sondern Wissenschaft. „Heute wissen wir, wie wichtig das biologische Alter einer Person ist“, sagt Stephan Kinkel. Der Sportwissenschaftler ist therapeutischer Gesamtleiter der Schwarzwaldkliniken in Bad Krozingen und für die therapeutischen Abteilungen der Rehaeinrichtung zuständig. „Nehmen wir als Beispiel zwei Frauen, beide 80 Jahre alt mit ähnlichen Vorerkrankungen. Eine hat sich in ihrem Leben ausreichend bewegt, die andere war körperlich inaktiv. Deren Ausgangszustand für die Rehabilitation ist völlig unterschiedlich.“ Zu spät für Bewegung ist es aber nie. „Trainierbar ist man in jedem Alter“, erläutert der Experte. „Die funktionale und körperliche Leistungsfähigkeit kann man unabhängig vom Trainingszustand und unabhängig vom Alter immer durch Bewegung verbessern.“
„Trainierbar ist man in jedem Alter.“
Kinkel nennt ein Beispiel aus dem Reha-Alltag: Selbst, wenn sich jemand den Oberschenkel gebrochen hat und nach der Operation mit leichtem Handkrafttraining beginnt, also Muskeln trainiert, die nichts mit dem verletzten Bein zu tun haben, wirke sich das positiv auf die Gesundheit aus. „Jede muskuläre Aktivität produziert Botenstoffe – sogenannte Myokine. Diese können im akuten Krankheitsstadium helfen, die Entzündungswerte positiv zu beeinflussen“, erklärt der Experte. Außerdem wirke sich Bewegung auf die persönliche Stimmungslage der Patienten aus. „Es tut den Patienten gut, wenn sie selbst aktiv bei ihrer Genesung mithelfen können.“
Im Alter verändert sich der Körper, der Leistungszustand sinkt, die Kraft nimmt ab, der Stoffwechsel der Muskelzellen verändert sich. Das ist ganz normal. „Die körperliche Leistungsfähigkeit müssen wir uns Tag für Tag erhalten“, betont Stephan Kinkel, der derzeit an einer Promotion über die Motivierung sportlich inaktiver Herzpatienten arbeitet. „Viele vergleichen sich mit ihrem jüngeren Ich vor 20 Jahren, das macht tendenziell unzufrieden. Richtig wäre es, seine körperliche Verfassung altersentsprechend einzuordnen“
Und da stehen Hanna, Minu und ihre Freundinnen wirklich gut da. Wie ist es eigentlich mit ihren Männern? „Die?“, lacht Brigitte. „Die Männer machen keinen Sport, höchstens mal Golf. Deshalb werden die auch nicht so alt.“ Da ist was dran. Denn Muskeln sind nicht nur die Basis für jede Bewegungsform, sie sorgen auch dafür, dass das Herzkreislaufsystem länger gesund bleibt, sie erhalten motorische Fähigkeiten – auch im Sinne einer Sturzprophylaxe –, sie sorgen für Mobilität und verbessern den Allgemeinzustand.
Tipps vom „Fitnessfossil“
Georg Josko – wacher Blick, topfit – ist anders als die Gatten der Turnerinnen ein Mann, der sein ganzes Leben lang aktiv gewesen ist. 1977 eröffnete der heute 68-Jährige mit seiner Frau Uschi den Fitness-Club Josko Fitness in Binzen, längst eine Institution in der Region Lörrach. In das Studio, das mittlerweile von seinem Sohn Tim (38) und dessen Frau Christina geführt wird, kommen viele ältere Menschen.
Georg Josko ist so etwas wie der lebende Beweis, wie wichtig Sport ist, wenn man gesund alt werden möchte. „Es ist recht einfach: Willst du deine Lebensjahre bis ins Alter mit hoher Lebensqualität verbringen? Dann musst du die Voraussetzungen dafür schaffen“, sagt er. Im Studio gibt es mittlerweile sogar die Möglichkeit, direkt vor Ort einen Physiotherapeuten, Orthopäden oder Sportmediziner zu konsultieren. Tim Josko erklärt: „Ein Trainer sitzt bei den Gesprächen dabei und kann direkt daraus den Trainingsplan ableiten. So arbeiten die Experten als Team von der Diagnose bis zur Umsetzung und langfristiger Begleitung zusammen.“ Josko Senior kommt täglich ins Studio, trainiert viel, spricht mit den Mitgliedern, gibt Fitnesskurse, klärt auf über die Rolle von Ernährung und einem gesunden Lebensstil. „Active Aging“ heißen seine Coaching-Kurse für die Silver-Ager-Klientel oder „Älter werde ich später“. Er bezeichnet sich selbst als Fitnessfossil – ein Praktiker, der ein Anliegen hat: „Wir werden alle irgendwann die Beschwerden des Alters spüren. Mein Ziel ist es, diese Phase des Lebens so weit nach hinten zu schieben wie nur möglich.“
Die Joskos sind überzeugt davon, dass das mit wenigen Anpassungen der Lebensweise funktioniert. „Wir wollen, dass Kontakte geknüpft werden und legen Wert darauf, mit Spaß und professioneller Anleitung zu motivieren“, sagt Sohn Tim, der sich mit seiner Frau und seinem 37-köpfigen Team darum kümmert, dass sich das Publikum im Fitnessstudio wohlfühlt. Es gibt keinen Check-in per App, sondern einen Empfang wie im Hotel, an dem jeder Besucher persönlich begrüßt wird. Das ist wichtig, viele ältere Sportler brauchen die Ansprache und wollen sich wahrgenommen fühlen. „Wer sein Wohlbefinden steigern und seine Gesundheit verbessern möchte, muss Eigeninitiative übernehmen und die Veränderung auch wollen. Sonst ist das nicht von Dauer. Unser Anspruch ist es, einen Rahmen zu schaffen, damit das leicht fällt“, erläutert Tim Josko. „Wir sind davon überzeugt, dass das Training unter Menschen aller Altersklassen mehr als nur Bewegung ist. Es hält Körper und Geist jung.“ Bei Josko Fitness klappt das. Aktuell gibt es drei aktive Mitglieder über 90 und mehr als 30 Mitglieder über 80 Jahren.
„Wir werden alle irgendwann die Beschwerden des Alters spüren. Mein Ziel ist es, diese Phase des Lebens so weit nach hinten zu schieben wie nur möglich.“
Georg Josko, Josko Fitness
Gruppengefühle
„Eine Gemeinschaft erstmal aufzubauen, braucht Arbeit, ist aber entscheidend“, sagt Stephan Kinkel. Der Therapiewissenschaftler arbeitet im Gegensatz zur Josko-Familie nicht mit gesunden Senioren, die Sport treiben wollen, sondern mit den Herausforderungen, die eine Rehaeinrichtung mit sich bringt. Die Patienten und Patientinnen sind verletzt, frisch operiert, haben verschiedene Vorerkrankungen. Hier die Motivation aufzubauen und Barrieren abzubauen ist schwierig. Um langfristig Verhalten zu ändern, brauche es psychologische Strategien und Impulse, die gezielt auf das Bewegungsverhalten wirken. „Ein Krankheitsereignis kann einen hohen motivationalen Schub geben. Den müssen wir nutzen“, sagt Kinkel. Darüber hinaus sei es entscheidend, Angehörige einzubinden, die an Termine erinnern oder mal mit zum Sportkurs kommen.
Viele haben sich schon vorher nicht ausreichend bewegt und nun Angst, durch Sport ihren Gesundheitszustand zu verschlechtern oder denken, es bringe ohnehin nichts mehr. Ein Trugschluss! „Die einzige Kontraindikation für Bewegung ist der Tod“, betont Kinkel. Es muss ja kein Leistungssport sein. „Jede Bewegungsform, unabhängig von zeitlichen Vorgaben, hat einen gesundheitlichen Nutzen. Der Übergang von Inaktivität hin zu regelmäßiger Aktivität hat einerseits eine unfallpräventive Wirkung und andererseits einen dauerhaften Effekt auf die persönliche Gesundheit.“
So viel Theorie brauchen Hanna und ihre Freundinnen nicht. Sie erleben es Tag für Tag: Die fitte Frau Funk wird dieses Jahr 90 Jahre alt und die Damen freuen sich bereits auf ein Fest in ihrem großen Garten, den sie selbstverständlich allein versorgt. Weil es ihr immer Spaß gemacht hat – und weil sie es immer noch kann.