Jan Ullrich gewann 1997 als erster Deutscher die Tour de France. Das machte ihn zum nationalen Helden. 2006 dann Dopingskandal, später Drogenexzesse. Im Teaser zur Dokumentation „Jan Ullrich – Der Gejagte“ spricht der ehemalige Radrennprofi und Wahl-Merdinger über Alkohol, Kokain, Fehler – und deutet Bekenntnisse an.
VON CHRISTINE WEIS
Hart erkämpfte sportliche Siege berühren die Menschen, Heldengeschichten ebenso. Bei Jan Ullrich kommt beides zusammen. Geboren 1973, wuchs er in bescheidenen Verhältnissen in Rostock Lütten Klein im Plattenbau auf. Seine Sportlerkarriere verlief rasant: Auf einem geliehenen Rad und in simplen Turnschuhen gewann er mit neun sein erstes Rennen. Als Dreizehnjähriger kam er in die Talentschmiede der DDR-Kinder- und Jugendsportschule nach Berlin. 1993 gewann er den WM-Titel der Amateure in Oslo. Seinen Profivertrag im Team Telekom unterschrieb er mit gerade mal 21. Bei der ersten Teilnahme an der Tour de France 1996 wurde Ullrich auf Anhieb zweiter hinter seinem dänischen Teamkollegen Bjarne Riis. Im Jahr darauf stand er im Gelben Trikot auf dem Siegerpodest in Paris und versetzte ganz Deutschland in einen regelrechten Radsportrausch.
Damals stand auch ganz Merdingen Kopf. Dort, in seiner Wahlheimat, feierten seine Freundin Gaby Weis mit Familie und Freunden im Gasthaus Keller. An den Tuniberg war Ullrich durch den Merdinger Radrennfahrer Dirk Baldinger gekommen, der ebenfalls im Team Telekom fuhr. Vor zwei Jahren präsentierten die beiden ihren Plan, ein Bike-Zentrum mit Museum samt Gastro und Spielhalle in Merdingen zu bauen. Im Boot war auch Ullrich-Freund Mike Baldinger, nicht mit Dirk Baldinger verwandt. Das Vorhaben kam nicht zustande. Gegen die Spielhalle, die das ambitionierte Projekt querfinanzieren sollte, wehrten sich die Bürger mit einer Unterschriftenaktion. Daraufhin forderten die Investoren von der Gemeinde eine finanzielle Unterstützung, welche die Gemeinde ablehnte.
Ruhepol Merdingen
„Ich bin froh, wieder hier zu sein“, zitiert die Badische Zeitung den Heimkehrer, „zurück in Merdingen konnte ich wieder atmen“. Der Radprofi und vierfache Vater lebte zwischenzeitlich in der Schweiz und auf Mallorca. Zurück ist er seit geraumer Zeit, nachdem er 2018 zum wiederholten Mal wegen Drogen- und Alkoholmissbrauch in die Schlagzeilen kam. Wie schon öfter. Noch in seiner aktiven Sportlerphase krachte er etwa 2002 unter Alkoholeinfluss mit seinem Auto am Freiburger Hauptbahnhof in einen Fahrradständer.
Nach dem Toursieg 1997 feierte Ullrich zunächst weitere sportliche Erfolge. 1998 wurde er hinter dem Italiener Marco Pantani zweiter der Tour de France. Die nächsten sieben Jahre gewann der US-Amerikaner Lance Armstrong die Tour. Seinen Rivalen Armstrong konnte Ullrich nie mehr überholen. Alle Titel wurden Armstrong allerdings 2012 wegen Dopings wieder aberkannt. Und 2006 wurde auch Ullrich einen Tag vor Beginn der Tour de France wegen Verdachts auf Doping ausgeschlossen. Nach Ermittlungen des Bundeskriminalamtes bestand eine Verbindung zum spanischen Sportmediziner Eufemanio Fuentes, bei dem Blutbeutel sichergestellt wurden, die Ullrich zugeordnet werden konnten. Ein Jahr später 2007 beendete Ullrich seine Profikarriere. Im selben Jahr sagte er in der ARD-Sendung Beckmann: „Ich habe keinen betrogen und auch keinen geschädigt in meiner ganzen Karriere.“ Einige seiner Kollegen aus dem Team Telekom, darunter Erik Zabel, Rolf Aldag und Udo Bölts sowie auch der Toursieger von 1998 Bjane Riis legten damals öffentliche Dopinggeständnisse ab. Nicht so Jan Ullrich. Doch der Internationale Sportgerichtshof (CAS) sprach ihn 2012 wegen der Verstrickung in den Fuentes-Fall schuldig. Rückwirkend wurden ihm die Erfolge seit Mai 2005 aberkannt. Das waren etwa der erste Platz bei der Tour de Suisse 2006 und der dritte Platz bei der Tour de France 2005. In einem Interview mit dem Magazin Focus sprach er 2015 davon, Fuentes-Behandlungen in Anspruch genommen zu haben. Außer Eigenblut hätte er aber keine Dopingmittel genommen.
„Mir ging’s richtig scheiße. Ich hab Kokain in Massen genommen. Ich hab Whisky wie Wasser getrunken. Bis kurz vor Exitus. 20 Jahre danach erkennt man die Fehler, die man gemacht hat.“
Jan Ullrich im Teaser “Jan Ullrich – Der Gejagte” AMazon prime
Am Abgrund
Die Sportkarriere von Jan Ullrich begann siegreich und endete im Dopingskandal. Die fünfteilige ARD-Dokumentation „Being Jan Ullrich“ zeichnet seinen Lebensweg eindrücklich nach. Viele Interviews mit Trainern, Teamkollegen, den Freunden aus Merdingen oder Lance Armstrong zeigen neben dem Sportler auch den Mensch Jan Ullrich. Die Serie wurde bereits in den ersten Tagen 2,4 Millionen Mal abgerufen. Auf seinem Instagram-Account bedankt sich Ullrich für das Feedback seiner Fans zu der Serie und schreibt: „Diese hat bei mir zahlreiche Erinnerungen hervorgebracht – an Höhen und auch an die erlebten Tiefen. Und sehr viele Emotionen geweckt.“
Es gibt zahlreiche Bücher, Podcasts, Social-Media-Fanseiten: Das Interesse an Jan Ullrich ist immer noch groß. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass er vielen nahbar und sympathisch ist, und manche ihn auch als Opfer eines Dopingsystems sehen. Vielleicht sorgt er demnächst selbst für Aufklärung. Der Werbeclip zur Doku-Serie „Jan Ullrich – Der Gejagte“, die am 28. November bei Amazon Prime startet, lässt das vermuten. Darin kommt er, anders als bei der ARD-Serie, selbst zu Wort. Möglich, dass Jan Ullrich ein Dopinggeständnis ablegt, zumindest reflektiert er in einer Vorabsequenz über seinen mehrfach in Zusammenhang mit dem Dopingvorwurf geäußerten Satz „Ich habe niemanden betrogen.“ Im Trailer sagt Ullrich: „Dass ich niemanden betrogen habe, war falsch. Für mich war das auf meine Gegner getrimmt, aber die Fans gehören natürlich auch dazu.“
Laut Ankündigungstext werfen die Videos einen exklusiven und kritischen Blick auf die Karriere, die Erfolge und auch die Abstürze des Ausnahmeathleten. Letztere wurden mit einigen Aussagen von Ullrich schon bekannt: „Mir ging’s richtig scheiße. Ich hab Kokain in Massen genommen. Ich hab Whisky wie Wasser getrunken. Bis kurz vor Exitus. 20 Jahre danach erkennt man die Fehler, die man gemacht hat.“ Man darf gespannt sein, welche Fehler er bereut. Doping wäre ganz sicher einer.