Foodsharing ist eine soziale Bewegung, die sich gegen Verschwendung und Überproduktion von Lebensmitteln einsetzt. Bevor Gemüse und Co. in der Mülltonne landen oder untergepflügt werden, holen Foodsaver die Produkte beim Erzeuger, in der Gastro oder im Handel ab und verteilen sie weiter.
VON CHRISTINE WEIS
80 Kilo Pasta hatte ich vor Kurzem bei einem Caterer abgeholt“, sagt Markus Sackmann. „Dieser hatte versehentlich 300 statt 100 Portionen gekocht.“ Der 33-jährige Energiemanager ist bei der Initiative Foodsharing in der Bezirksgruppe Freiburg für die Öffentlichkeitsarbeit und Betriebskoordination zuständig. Er ist zudem einer von aktuell rund 750 sogenannten Foodsavern in Freiburg, die Lebensmittel in den Betrieben abholen, weiterverteilen und damit vor dem Wegschmeißen bewahren. „Die 80 Kilo Pasta gingen in meiner WG und im Freundeskreis schnell weg“, erzählt Sackmann. Bei einer halben Tonne Trauben, sechs Kisten Bananen oder 800 Kilo Kohlrabi sehe das schon anders aus. Solche Mengen werden mit den benachbarten Gruppen im Umland und über die Onlineplattform der Organisation vermittelt.
Das Procedere läuft so ab: Die Foodsaver holen die Waren, die nicht mehr verkauft werden und trotzdem noch genießbar sind, bei den Kooperationsbetrieben ab. Dazu zählen unter anderem Supermarktketten, Einzelhändler, Bäckereien, Restaurants, Kantinen, Erzeugerbetriebe. Dann werden die Lebensmittel – hauptsächlich sind es Backwaren, Obst und Gemüse – an Privatpersonen verteilt. Die Vermittlung läuft über persönliche Kontakte häufig via Messenger-Gruppen oder über die Webseite foodsharing.de. Dort gibt es eine Übersichtskarte zum Eintragen von digitalen Essenskörben. Abgeholt und verteilt wird an einem vereinbarten Treffpunkt oder zu Hause. Wer etwa selbst zu viel Pasta für die Party gekocht hat, kann die Reste ebenfalls als Essenskorb eintragen.
Regeln für Regale
Zudem stellt Foodsharing sogenannte Fairteiler – öffentlich zugängliche Regale und Kühlschränke – bereit. Aktuell gibt es in Freiburg 15 Stück davon. „Die Fairteiler sind Orte, an denen Privatpersonen Lebensmittel hinbringen und entnehmen können, unabhängig davon, ob sie bei Foodsharing registriert sind“, erklärt Sackmann. Die Fairteiler werden von Foodsharing betrieben, aber nicht befüllt. Das habe rechtliche Gründe, weil Foodsharing sonst als Lebensmittelunternehmen eingestuft werde. Freiwillige Helfer reinigen die Verteilerstationen täglich. Und es gibt strenge Regeln für die Regale. Nicht hineingelegt werden dürfen verdorbene Esswaren, Rohei-Produkte, rohes Fleisch, roher Fisch, Alkohol, Energydrinks oder Lebensmittel mit Verbrauchsdatum wie beispielsweise Geflügelfleisch oder Rohmilch. Zubereitete Speisen müssen mit Herstellungsdatum und Zutatenliste gekennzeichnet und bei Kühlwaren darf die Kühlkette nicht unterbrochen worden sein. Die Regeln entsprechen den gesetzlichen Vorgaben der Gesundheitsämter, es gebe stichpunktmäßige Kontrollen durch das Ordnungsamt, berichtet Sackmann.
Seit zwei Jahren gibt es in Freiburg auf dem Grether Gelände auch ein gemeinnütziges Foodsharing-Café. Zweimal in der Woche können dort Foodsharing-Lebensmittel abgeholt werden, und es gibt Speisen zum direkten Verzehr. Zudem finden im Café Veranstaltungen statt, die Lebensmittelwertschätzung und die sozialökologische Transformation thematisieren.
„Die Lebensmittelrettung ist nicht unser vordergründiges Ziel und wir sind auch nicht das grüne Gewissen der Supermärkte.“
Markus Sackmann
„Information, Aufklärung und Bildung sind unsere Hauptanliegen“, sagt Sackmann. „Die Lebensmittelrettung ist nicht unser vordergründiges Ziel und wir sind auch nicht das grüne Gewissen der Supermärkte.“ Vielmehr gehe es um den wertschätzenden und nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln. In einer idealen Welt bräuchte es Foodsharing gar nicht, sagt der Aktivist. Das Verhalten von Verbrauchern, Herstellern und Handel müssen sich ändern, so das Credo der Organisation. „Die Gurke mit Macke, der etwas schrumpelige Apfel oder das Brot vom Vortag sind essbar“, sagt Sackmann. Auch viele Produkte, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, sind genießbar. „Sinnvoll wäre den Menschen mehr Eigenverantwortung zuzutrauen und das Mindesthaltbarkeitsdatum, das nichts über die Genießbarkeit aussagt, abzuschaffen. Natürlich einhergehend mit der notwendigen Aufklärung.“
Am Anfang war der Film
Die Foodsharing-Bewegung entstand 2012 zunächst in Berlin und Köln. Mitgründer war der Journalist und Dokumentarfilmer Valentin Thurn. Er brachte 2011 den Film „Taste the Waste“ in die Kinos, der die Lebensmittelverschwendung in Deutschland und anderen Industrieländern aufdeckte. Die Doku entlarvt ein System, indem Supermärkte nonstop makellose Frischwaren im Vollsortiment anbieten, die in der Dimension nicht abgesetzt werden können. Das führt zwangsläufig zu einer Überproduktion mit Auswirkungen auf das Klima. Der Film zeigt aber nicht nur die Missstände, sondern auch Möglichkeiten, wie es anders gehen kann. Ein Beispiel aus den USA ist der Zusammenschluss von Aktivisten mit Farmern, die auf Märkten preiswert lokales Gemüse und Obst anbieten. Thurn wurde infolge selbst aktiv und gründete Foodsharing mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne. Mittlerweile ist die Organisation auch in Österreich und der Schweiz vertreten. Auf der Plattform sind nach eigenen Angaben knapp 600.000 Nutzer registriert. Rund 165.000 Menschen engagieren sich ehrenamtlich als Foodsaver und bis dato wurden 131 Millionen Kilo brauchbare Lebensmittel vor der Vernichtung bewahrt.
„Die Gurke mit Macke, der etwas schrumpelige Apfel oder das Brot vom Vortag sind essbar.
Markus Sackmann
In Freiburg besteht die Gruppe seit 2013. „Wir wachsen stark“, sagt Markus Sackmann. Die Mitgliederzahl liege aktuell bei rund 3000, davon seien etwa 750 aktiv. Auch die Kooperationsbetriebe, die Lebensmittel abgeben, nehmen stetig zu. Im internen Ranking liegt Freiburg mit rund zwei Millionen Kilo „geretteter Lebensmittel“ nach Köln, Berlin und München auf Platz Vier.
Die Mengen werden erfasst, denn sie machen das Ausmaß deutlich. Was sich viel anhört, ist im Vergleich zu den jährlich 11 Millionen Tonnen weggeworfener Lebensmittel in Deutschland dennoch gering. Jeder Verbraucher schmeißt etwa 78 Kilo Essen in den Müll. Global betrachtet sieht es nicht besser aus, nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) landet rund ein Drittel der weltweit erzeugten Nahrungsmittel im Abfall. Im Rahmen UN-Agenda 2030 sollen die weltweite Lebensmittelverschwendung und die Verluste entlang der Produktions- und Lieferketten bis 2030 deutlich reduziert werden. Auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat 2019 eine nationale Strategie zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung vorgelegt.
Das Bündnis Lebensmittelrettung, zu dem neben Foodsharing unter anderem die Deutsche Umwelthilfe, Too Good To Go und der WWF gehören, kritisiert, dass die in der Strategie formulierten Zielvereinbarungen zwischen Landwirtschaftsministerium und Lebensmittelhändlern erstens nur freiwillig und zweitens zu kurz greifen würden. „Es muss auf der Gesetzesebene noch viel passieren. In den Ortsgruppen erarbeiten wir in Zusammenarbeit mit den Kommunen Strategien, um lokal der Lebensmittelverschwendung zu begegnen, dazu zählt etwa die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit.“