Soziales und ökologisches Handeln gehört heute für jedes Unternehmen zum Pflichtprogramm. Manche Firmen sind schon bei der Kür, andere noch am Anfang einer nachhaltigen Transformation.
VON CHRISTINE WEIS
Stephanie Maertin, Chefin vom gleichnamigen Freiburger technischen Fachgroßhändler für Arbeitsschutz und Industriebedarf, hat zusammen mit netzwerk südbaden Ende November zum Nachhaltigkeits-Talk eingeladen. Die Gastgeberin hatte das Thema ausgesucht und sich Talkgäste gewünscht, von denen sie etwas lernen kann, sagte sie zu Beginn der Veranstaltung. Und sie wurde nicht enttäuscht: Mit Marlene O’Sullivan, Leiterin der Stabstelle Nachhaltigkeit bei Badenova, Stefan Niethammer, Inhaber des Konstanzer T-Shirt-Labels 3Freunde und Jürgen Pruy, Vertriebsleiter des Berufsbekleidungsherstellers Hakro aus Schrozberg im Landkreis Schwäbisch Hall, waren Nachhaltigkeitsprofis auf dem Podium. netzwerk südaden-Chefredakteurin Kathrin Ermert moderierte die Gesprächsrunde.
„Nachhaltigkeit ist kein Nice-to-have mehr für Unternehmen, sondern Pflicht“, sagte Marlene O’Sullivan. Das sei eine Revolution und eine riesige Chance für die Transformation, um Nachhaltigkeit richtig voranzutreiben. Damit nahm sie Bezug auf die ab Januar gültige Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Die EU-Richtlinie verpflichtet zunächst große, ab 2025 auch mittelgroße Unternehmen, vergleichbare und verlässliche Nachhaltigkeitsinformationen zu veröffentlichen. „Davon sind dann bundesweit zirka 15.000 Unternehmen betroffen, darunter auch viele in unserer Region wie die badenova, VAG und ASF“, erläuterte O’Sullivan, die übrigens mit dem Fahrrad zur Veranstaltung kam. Die Energiewirtschaft habe einen großen Hebel, um im Bereich Umwelt- und Klimaschutz etwas zu bewirken, beispielsweise mit Elektrifizierung und Netzausbau. Zudem fördere der Energiedienstleister jährlich mit drei Prozent seines Gewinnes Klima- und Wasserschutzprojekte in der Region. Als aktuelles Beispiel nannte O’Sullivan eine faltbaren PV-Anlage auf der Kläranlage in Oberndorf-Aistaig.
„Wir sind in einem Minitransformationsprozess“, sagte Stephanie Maertin. „Zwar nutzen wir Erd- und Luftwärme und haben eine Solartherme auf dem Dach. Doch den Mut, ausschließlich ökologische Produkte zu verkaufen, habe ich nicht, weil die Nachfrage zu gering ist.“ In den Beratungsgesprächen würden sie gezielt auf Nachhaltigkeit hinweisen. Die Kunden fänden den Aspekt wichtig, am Ende sei jedoch der Preis das entscheidende Kaufkriterium, berichtete die Unternehmerin. Diese Kluft zwischen Einstellung und Verhalten heißt im Fachjargon „Attitude-Behaviour-Gap.“ Um diesen Bruch zu kitten, brauche es noch viel Überzeugungsarbeit und einen Bewusstseinswandel, darin waren sich alle auf dem Podium einig. Statt des günstigeren Preises könnte etwa die bessere C02-Bilanz ein Verkaufsargument sein, sagte O’Sullivan.
„Nachhaltigkeit ist kein Nice-to-have mehr für Unternehmen, sondern Pflicht.“
Marlene O’Sullivan, Leiterin Stabstelle Nachhaltigkeit bei Badenova
Eine der schlechtesten C02-Bilanzen verbucht die Textilbranche. Sie verursacht schätzungsweise zehn Prozent der weltweiten Emissionen. Hinzu kommen prekäre Arbeitsbedingungen und Billiglöhne an den Produktionsstandorten in den Entwicklungs- und Schwellenländern wie China, Bangladesch oder Indien. Der Hersteller von Arbeits- und Funktionskleidung Hakro arbeitet mit Partnerbetrieben in Bangladesch zusammen. „Wir weisen diese immer wieder auf die Notwendigkeit hin, den Näherinnen und Nähern existenzsichernde Löhne zu zahlen“, sagte Jürgen Pruy. Zu große Lohnunterschiede würden in der von Textilfabriken dominierten Region zu Unruhen führen, so die ablehnende Begründung der Partnerbetriebe. Aktuell kämpfe die Gewerkschaft in Bangladesch für bessere Löhne, das begrüßte Pruy ausdrücklich. „Mit medizinischer Betreuung, Impfangeboten oder Naturalien versuchen wir einen sozialen Ausgleich zu schaffen.“
„Jedes ökologische Problem ist auch ein soziales Problem.“
Stefan Niethammer, 3Freunde
„Jedes ökologische Problem ist auch ein soziales Problem“, sagte Stefan Niethammer. Der Unternehmer hat 2012 eine eigene Näherei und Färberei in Indien gegründet und zahlt seinen 20 Beschäftigten nach eigenen Angaben existenzsichernde Löhne. Die höheren Löhne rechtfertigt er gegenüber den Nachbarbetrieben mit der Qualifizierung seiner Mitarbeitenden, die im Unterschied zu den Arbeiterinnen und Arbeitern in großen Textilnähereien mehrere Tätigkeiten beherrschten. Pruy entgegnete, dass dieses Modell bei 20 Mitarbeitenden funktionieren könne, bei 1000 Mitarbeitenden wie im Fall ihrer Zulieferer nicht realistisch wäre.
Pruy nannte weitere Faktoren zur Verbesserung der Nachhaltigkeit im Textilbereich: Kleidung sollte qualitativ hochwertig sein, lange halten und nach dem Tragen in den Faserkreislauf zurückgeführt werden. „Hält“ ist die dazu passende Werbebotschaft von Hakro, die der Vertriebler an dem Abend als Schriftzug auf seinem Sakko trug. „Wir nehmen ausgediente Textilien zurück und wiederverwerten diese unter dem Label Hello Again.“ Aktuell liege der Anteil an recycelten Fasern der Marke bei 30 Prozent, zukünftig sollen es mehr werden.
„Wir nehmen ausgediente Textilien zurück und wiederverwerten diese unter dem Label Hello Again.“
Jürgen Pruy, Vertriebsleiter Hakro
Die Podiumsrunde diskutierte auch über das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das seit Jahresanfang Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitenden und ab 2024 solche mit mehr 1000 Beschäftigten zum Einhalt von Menschenrechten entlang ihrer Lieferkette verpflichtet. Stephanie Maertin gab offen zu: „Wenn ich das Wort höre, laufe ich rückwärts zur Tür raus. Die bürokratischen Anforderungen können wir als mittelständisches Unternehmen gar nicht leisten.“ Einer der das Gesetz mitverantwortet, saß zwei Stühle weiter: Stefan Niethammer war an der Einführung des Gütesiegels Grüner Knopf beteiligt. Das 2019 vom Bundesentwicklungsministerium eingeführte Siegel darf nur von Unternehmen verwendet werden, die systematisch Verantwortung für die Lieferketten übernehmen, über die sie ihre Rohstoffe und Vorprodukte erhalten, so die Definition des Ministeriums. „Der Grüne Knopf war die Blaupause für das Lieferkettengesetz“, sagte Niethammer. Das neue Gesetz regelt in ähnlicher Weise die unternehmerische Verantwortung innerhalb der globalen Lieferketten. Hierzu zählt der Schutz vor Kinderarbeit, das Recht auf faire Löhne und der Schutz der Umwelt. Niethammer kenne die Bedenken gegenüber dem Gesetz, doch es sei notwendig und er rät augenzwinkernd, die Angst vor dem Gesetz wegzuatmen. Möglich, dass Stephanie Maertin diesem Tipp beherzigt, wenn sie das nächst Mal rückwärts wieder zur Tür raus will.