Es gibt nicht viele badische Künstler von internationalem Rang, aber den Fotograf Jan von Holleben sollte man unbedingt dazu zählen.
TEXT: PASCAL CAMES
Deichkind irren. Arbeit nervt doch nicht. Auch in Zeiten von Work-Life-Balance, Homeoffice und der Frage, ob Überstunden okay sind, finden sich immer noch Menschen, die gerne schaffen. Der Fotograf Jan von Holleben (Jahrgang 1977) zum Beispiel. Wie soll man sich sonst seine Produktivität erklären? Sein Lieblingsspruch stammt von Mark Twain: „Die Arbeit, die ich getan habe, habe ich getan, weil sie ein Spiel war. Wäre es Arbeit gewesen, hätte ich es nicht tun sollen.“ Von Holleben betreibt aber kein Reframing von Arbeit. Er ist was er ist: Ein Spieler. Vielleicht ist er deshalb so erfolgreich?
Der Fotograf hat schon weltweit ausgestellt, bekam zig Fotografenpreise, darunter einen der wichtigen Preise der Zunft – 2006 den Lead Award –, zu seinen Kunden gehören Zeit, Stern und Spiegel, aber auch Firmen wie Audi. In den Nullerjahren rief ihn sein Agent beim Frühstück an. „Morgen stellen sie dir einen Audi vor die Tür, fotografier‘ ihn wie du willst“, lautete die Nachricht. „Auch wenn sie das Foto nicht nehmen, bekomme ich mein Honorar“, wunderte sich der Fotograf. Natürlich war das an einem Baggersee fotografierte Bild im Audi Geschäftsbericht zu sehen.
Mittlerweile hat Jan von Holleben mehr als 20 Bücher gemacht. Zudem ist er Herausgeber von Fotokinderbüchern (eine weitere Leidenschaft), und er produziert Projekte mit renommierten Fotografen. Er reist viel, das inspiriert ihn. Kürzlich war er im kolumbianischen Medellín – „aus Abenteuerlust“. Südamerika war schnell abgehakt. Die Karibik fand von Holleben „zu heiß, zu schwül“. Eine Woche später sah man ihn schon wieder in der Pariser Ausstellung „REGARDE!“ in der Maison Doisneau. Dort waren natürlich auch seine aktuellen Bücher „SugarWOW“ und „Die Blaubeermaschine“ zu sehen. Der Mann, der ein bisschen aussieht wie Tim von Tim und Struppi und sich im Newsletter Admiral nennt („Weil ich der Anführer meiner Truppe bin“) kommt herum. Und die Spielfreude ist ihm ins Gesicht geschrieben.
Mit Kindern Fotografie spielen
Scheidungskind, aufgewachsen bei Freiburg im Idyll einer großen lustigen WG. Wenn Jan von Holleben von seiner Kindheit erzählt, leuchten seine Augen. Es muss wundervoll gewesen sein: Das Haus voller Kinder, draußen wurde gegärtnert und die Hausaufgabenzeit flexibel gehandhabt. Die Mutter war Pädagogin und der Vater Kameramann beim SWR. Die Logik, wie der Vater so der Sohn, greift zu kurz. „Ich sage immer, dass ich beruflich der ideale Sohn geworden bin, weil ich von meiner Mutter das Pädagogisch-Therapeutische übernommen habe und von meinem Vater das Visuelle. Das Kreative kommt aus beiden Familien.“
Jan von Holleben studierte an der PH Freiburg Behindertenpädagogik auf Lehramt. War er da schon Fotograf? „Nein, ich habe nur wahnsinnig viel fotografiert und ausprobiert. In meiner Jugend hatte mich Schwarz-Weiß fasziniert.“ Die Geschichte der Fotografie interessierte ihn und die studierte er schließlich am Surrey Institute of Art and Design in England. Spannend fand er, dass damals die Fotografie als Kunstform entdeckt wurde. Und noch etwas reizte ihn: Fotografie und Kindheit waren gleich alt. Vor etwa 150 Jahren wurden Fotografie und Kindheit fast gleichzeitig erfunden. Davor galten Kinder als kleine Erwachsene und Kinderarbeit war normal. Man denke nur an die Bergwerke, wo aus Platzgründen kleine Menschen gebraucht wurden. „London war das Beste, was mir passieren konnte“, sagt er.
„ Wenn die Kinder kommen, erkläre ich ihnen alles. Die sollen verstehen, was wir gerade machen.“
Jan von Holleben
In London spürte von Holleben zum ersten Mal die Macht der Fotografie. Für ein Projekt fotografierte er 150 Hälse. Das klappte, einfach weil die Kamera Autorität verlieh. Doch nicht London brachte ihm den Durchbruch, sondern ein kleines Projekt, das er in Sasbach am Kaiserstuhl begann. „Da habe ich einfach so zum Spaß mit den Kindern meiner Heimat Fotografie gespielt. Was kann man machen und wie weit kann ich den Kindern die Autorität in der Fotografie überlassen? So ist Dreams of Flying entstanden.“ Die Serie zeigt Kinder, die auf Hunden reiten, Radrennen fahren, ins Weltall fliegen oder sich wie Supermänner einen Felsen zuwerfen. Der Witz dabei ist, dass die Kinder mit einer einfachen Taschenkamera aus der Vogelperspektive fotografiert wurden. Die Kinder liegen auf dem Boden, die Verkleidung ist minimal, aber effektiv.
Das offensichtliche Geheimnis der Bilder wird leicht übersehen. Es ist nicht nur die Idee aus schwarzer Folie mit Gesundheits- und anderen Bällen eine Art Weltraum zu gestalten oder um einen herumliegenden Stein eine Story zu erzählen, sondern, dass die Kinder Spaß haben. Hier gibt es keine Statisten zu sehen. Jan von Holleben berichtet, dass er für diese Serie keine Assistenten hatte. Es waren die Kinder, die ihm nicht nur die Modelle waren, sondern ihm auch halfen, das Projekt zu verwirklichen. „Ich bin eher der Pädagoge. Es macht mir unheimlich viel Spaß, mit Kindern solche Themen zu bearbeiten. Ich sehe mich als Lehrer. Wenn die Kinder kommen, erkläre ich alles. Die sollen verstehen, was wir machen. Gerade auch bei schwierigen Themen für „Zeit Wissen“ oder „Geo“. Das ist ein großer Unterschied zur klassischen Kinderfotografie, wo Kinder nur als Statisten genutzt werden“, erklärt er. „Wir haben immer Spaß und großen Respekt füreinander.“
Erfolg dank Internet
Die Bilder waren und sind es immer noch – trotz oder gerade wegen ihrer Einfachheit – State of the Art. Wie großartige Folksongs, reduziert, aber klar und mit Melodie, hatten sie immense Wirkung. Das macht ihm niemand nach. Aber wer kriegt es mit? Frühe Meisterwerke werden nicht selten spät (wieder-) entdeckt. In von Hollebens Fall bekam eine Art-Direktorin die Fotos zu Gesicht, und dank ihr und dem damals noch jungen Internet mit seinen kreativen Blogs machten sie ihren Schöpfer weltbekannt. Fast zehn Jahre später fotografierte er „Konrad Wimmel ist da!“ Für das Wimmelbuch arbeitete er mit 250 Kindern zusammen. Auch hier wieder typisch von Holleben mit Spaß an der Freude, mit Lust an der Charade, aber jetzt mit einem richtigen Team. Typisch für den Fotografen ist sein spielerischer Umgang mit den Materialien. Bettdecken werden zu Wolken, Schwimmflossen zu Flügeln, Einkaufswagen zu Fluggeräten und braune Hosen zu Bäumen. Aber nur, wenn man viele davon hat.
“Ich bin ein großer Fan von der ersten Idee. Aber ich kann euch auch noch eine zweite oder dritte basteln.“
Jan von Holleben
Seitdem hat Jan von Holleben wirklich viele Bücher gemacht und viele Aufträge angenommen. Dass ihm die Kreativität ausgehen könnte, ist nicht zu befürchten. „Ich bin ein großer Fan von der ersten Idee. Aber ich kann euch auch noch eine zweite oder dritte basteln“, sagt er. Mit Little Steidl hat er einen starken Verlag an seiner Seite. Inzwischen lebt von Holleben mit seiner Familie in Paris, wo er sich immer noch ein bisschen wie ein Tourist fühlt. Ab und zu kommt er doch wieder nach Berlin. Wenn er nicht dort ist, dann vielleicht in Bühl oder Sasbach oder in Norwegen, wo der Junge aus der Blaubeermaschine lebt.
Wenn er sich etwas wünschen dürfte, dann wäre es eine Kampagne für einen Süßigkeitenhersteller. Farbe, Fantasie und Fröhlichkeit eines Admirals von Holleben könnte der deutsche Alltag gut gebrauchen.