Die Zeit der großen Aufreger ist vorbei. Doch nach wie vor lassen gestandene Bauherren samt Architekten vor dem Freiburger Gestaltungsbeirat ihre Pläne für Bauvorhaben auseinandernehmen, um dann mit Hausaufgaben entlassen zu werden. Warum sie dies tun und im besten Fall alle Seiten davon profitieren.
Text: Susanne Maerz
Die Bezeichnung „Legebatterien“ für die Wohnheimpläne des Studierendenwerks in der Händelstraße schlug vor zehn Jahre hohe Wellen. Es war ein Kommentar aus der ersten Sitzung des Freiburger Gestaltungsbeirats und ist vielen noch in Erinnerung, wenn auch nicht gerade in positiver. Dagegen sind viele Bewohnerinnen und Bewohner im Freiburger Stadtteil Wiehre dem mit externen Fachleuten besetzten Gremium noch heute dankbar. Trug der Gestaltungsbeirat 2017 doch öffentlichkeitswirksam mit dazu bei, dass die Genossenschaft Familienheim Freiburg die Wohnanlage in der Quäkerstraße nicht zugunsten von Neubauten abreißen, sondern sanieren ließ.
Wie blickt man bei Familienheim heute, sieben Jahre, auf die Ereignisse? „Um ehrlich zu sein: Die Familienheim Freiburg hatte im Zuge des geplanten Neubaus in der Quäkerstraße in der Wiehre im Jahr 2017 wenig erfreuliche Erfahrungen mit dem Gestaltungsbeirat“, sagt Vorstandsvorsitzende Anja Dziolloß. Weitere Berührungspunkte mit dem Gremium habe es seitdem aber nicht gegeben. Die Projekte lagen seitdem außerhalb Freiburgs und kamen nicht vor den Beirat. Sie betont: „Unabhängig davon ist uns seit jeher eine qualitätsvolle und mieterfreundliche Architektur ein großes Anliegen.“
Und was wollen Gestaltungsbeiräte? Die mit Fachleuten besetzten Gremien sollen sowohl die Interessen der Bauleute berücksichtigen als auch die der Öffentlichkeit, wie es von der Architektenkammer Baden-Württemberg heißt. Bundesweit gibt es in etwa 130 Städten Gestaltungsbeiräte (GBR) – in der Region auch in Offenburg. Dazu kommen mobile Gestaltungsbeiräte für den ländlichen Raum, die Kommunen bei Bedarf dazuholen können.
„Ziel der Stadt ist es, mithilfe des Gestaltungsbeirats die architektonische Qualität in Freiburg zu verbessern und Bürgerinnen und Bürger für den ästhetischen, baukulturellen, gesellschaftspolitischen Wert guter Planung zu sensibilisieren“, sagt Holger Ratzel, Leiter des Baurechtsamts der Stadt Freiburg. Für die, die bauen wollen, biete er zudem „eine Chance, ihr Projekt öffentlich vorzustellen und Werbung für ihr Bauvorhaben zu machen“. Die Sitzungen im Rathaus im Stühlinger sind öffentlich, meist gut besucht, und Medien berichten darüber.
Beispiel ehemaliger Obi: Verzögerung von einem dreiviertel Jahr
Heute sind die Mitglieder des Expertengremiums andere als in der Anfangszeit, der Ton, in dem sie die Neubaupläne kommentieren ist freundlich, aber gleichzeitig hart in der Sache. Denn nach wie vor werden die Bauherrinnen und -herren sowie ihre Architektinnen und Architekten mit vielen Hausaufgaben quasi zum Nachbessern zurück in ihre Büros geschickt. Zum Beispiel Hans-Peter Unmüßig, Geschäftsführer der Unmüssig Bauträgergesellschaft Baden in Freiburg.
Er wartet regelmäßig mit Mitarbeitenden vor dem Sitzungsraum, um aktuelle Bauvorhaben zu präsentieren. Zum Beispiel vergangenen Spätsommer, als er zum dritten Mal das Projekt für Wohnen und Gewerbe präsentierte, das sein Unternehmen anstelle des leerstehenden ehemaligen Obi-Baumarkts in Freiburg St-Georgen errichten will, den das Regierungspräsidium derzeit als Notunterkunft für Geflüchtete nutzt. Den Wohnungsbau – auf ein gewerblich genutztes Erdgeschoss sollen fünf Wohngeschosse kommen – habe er auf Wunsch der Stadt hinzugenommen, berichtet Unmüßig. Dreimal habe er kommen und die immer wieder geänderten Pläne präsentieren müssen, bevor sich nun der Gemeinderat damit befasst. Dadurch habe er ein dreiviertel Jahr verloren, ärgert sich der Investor. Das Projekt einmal im Gestaltungsberat zu präsentieren, genügt seiner Meinung nach. „Die Idee, die dem Gestaltungsbeirat zugrunde liegt, ist positiv“, sagt Unmüßig. Aber er sei eben auch „eine administrative Hürde mehr“, die man nehmen müsse, bis ein Bauprojekt umgesetzt werden könne, „eine Schippe auf die Bürokratie drauf“. Schließlich sei auch sein Büro an guter Architektur interessiert.
Je nachdem, was ein Bauherr vorhat, kann es ihm allerdings auch helfen, sein Projekt zuerst dem Gestaltungsbeirat zu präsentieren. Holger Ratzel betont: „Wenn es um Erweiterungen bestehender Gebäude oder Nachverdichtungen innerhalb von bebauten Arealen geht und die Bauherren zwar Baurecht auf einem Grundstück haben, für das geplante Vorhaben aber der Spielraum nach Paragraf 34 des Baugesetzbuches zu Gunsten des Vorhabens voll ausgeschöpft werden soll, hilft es, wenn es eine positive Empfehlung des Gestaltungsbeirats gibt.“ Der Paragraf 34 des Baugesetzbuches regelt die „Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile“. Ab und zu, so berichtet Ratzel, seien für Neuplanungen auch Befreiungen von bestehenden Bebauungsplänen notwendig. „Sind diese zu groß oder wird im anderen Fall der Spielraum des genannten Paragrafen überschritten, bedarf es einer Bebauungsplanänderung oder gar einer Neuaufstellung“, sagt Ratzel. Diese oft mehrstufigen Verfahren laufen dann im Bauausschuss beziehungsweise Gemeinderat der Stadt, nachdem das Projekt im Gestaltungsbeirat beraten wurde.
Begleiten statt beurteilen
Wie gelangt ein Vorhaben in den Gestaltungsbeirat? Die Stadt kann es empfehlen, wenn ihr Bauvorhaben vorgelegt werden, zwingen kann sie niemanden. Aber natürlich kommen Bauherren einer solchen Bitte oder Aufforderung nach. Die äußert die Stadt laut Ulrike Pelzer beispielsweise, „wenn das öffentliche Interesse da ist oder die Bürgerschaft von der Nutzung betroffen ist“. Zum Beispiel, wenn nachverdichtet werde, aber auch, wenn es um soziale oder öffentlich zugängliche Einrichtungen gehe. Vorhaben öffentlicher Bauträger wie der Stadt selbst oder beispielsweise der Kirchen oder kirchlicher Verbände werden daher öfters besprochen als die privater Bauträger. Pläne für Gewerbebauten in Industriegebieten landen in der Regel nicht vor dem Expertengremium. Außer, sie prägen das Stadtbild, weil sie direkt an den großen Zufahrtsstraßen liegen.
All dies war auch schon vor zehn Jahren so. Gleichwohl hat sich die Haltung des Beirats selbst geändert: „Ein Projekt wird nicht mehr beurteilt, sondern begleitet“, sagt Pelzer. Am Anfang hätten die externen Fachleute und auch die Stadt eher erwartet, dass die einmal geäußerte Kritik direkt umgesetzt werde. „Da gab es ein Umdenken“, sagt sie. Statt einmal würden Projekte oft mehrmals, im Idealfall zweimal, dem Gestaltungsbeirat vorgestellt und vor allem auch viel früher im Planungsprozess. Und das am besten so, dass in der ersten Sitzung die städtebaulichen und in der zweiten Sitzung die architektonischen Aspekte diskutiert würden. Prinzipiell, betont Pelzer, sei es sinnvoll, dessen Gliederung und Stellung auf dem Grundstück inklusive Zugänge und erste Ansätze im Freiraum zu betrachten und erst im zweiten Schritt die architektonische Gestaltung zu vertiefen. Dieses Vorgehen habe sich im Laufe der Zeit durchgesetzt. „Deshalb ist es um den Gestaltungsbeirat auch ruhiger geworden“, ist sie überzeugt.
Hoffen auf konstruktiven Austausch
Im innerstädtischen, bebauten Raum befinden sich die meisten Objekte und Projekte, die im Gestaltungsbeirat besprochen werden. Zum Beispiel ging es vergangenes Jahr in nicht öffentlicher Sitzung um ein Wohnheim für Menschen mit Behinderung, das der Caritasverband Freiburg-Stadt auf dem Gelände der katholischen Kirchengemeinde im Hartkirchweg in Freiburg-St. Georgen als Ersatz für ein in die Jahre gekommenes, bestehendes Gebäude in Freiburg-Herdern errichten möchte. Da habe es zwar eine kritische Auseinandersetzung gegeben. „Aber wir sind froh, dass alles gut ausging und wir unsere ursprünglichen Pläne verwirklichen können“, sagt Caritas-Sprecherin Nora Kelm.
Ende Januar präsentierte die Caritas Freiburg dem Beirat die Pläne für die Erweiterung einer Behinderteneinrichtung in der Uffhauser Straße in Freiburg-Haslach. Die Architekten stellten dabei einerseits die fertigen Pläne vor, andererseits aber auch die verschiedenen Varianten, die sie im Vorfeld erwogen und schließlich verworfen hatten. Der Gestaltungsbeirat sprach sich für einen der von Caritas abgelehnten Entwürfe aus. Ob sie der Argumentation folgen wird, und was die Anregungen zeitlich und finanziell bedeuten, zu all dem will sich die Caritas derzeit nicht äußern, wie Nora Kelm mit Verweis auf das laufende Verfahren betonte. Sie hoffe auf einen konstruktiven Austausch und erneut auf einen guten Ausgang.
Der Stadt geht es vor allem darum, dass die Bauherren – egal ob Caritas oder andere – so bauen, dass es auch in der Zukunft noch passt. „Wenn ein Bauvorhaben von der Not getrieben ist, kann es in 20 Jahren Probleme geben“, sagt Holger Ratzel. Und Ulrike Pelzer ergänzt: „Natürlich muss der jetzige Bedarf abgedeckt werden, aber die Objekte und Nutzungen müssen langfristig änderbar sein. Der Weitblick ist wichtig.“
Um besser ins Stadtbild zu passen
Zu denen, die ihre Projekte kürzlich zweimal im Gestaltungsbeirat präsentierten, gehört die Erzdiözese Freiburg. Zum einen plant sie auf dem Gelände des Kolping-Kollegs in der Wiehre einen neuen Bildungscampus und will dafür das bestehende, in die Jahre gekommene Gebäude durch einen Neubau ersetzen. Baurechtsamtsleiter Ratzel hob „das besondere Gewicht“ des Vorhabens hervor und nannte die städtebaulich exponierte Lage an der Kreuzung von Tal- und Hildastraße in der Wiehre als Grund, warum sich die Stadt eine Behandlung des Vorhabens im Gestaltungsbeirat gewünscht habe. Die Erzdiözese sei ihrer Verpflichtung als öffentliche Bauherrin nachgekommen. Zum anderen will sie auf dem Gelände des Wohnheims St. Alban in Freiburg-Littenweiler einen Studierendencampus errichten und dafür die bestehenden Gebäude zum Teil umbauen, sodass sie den heutigen Anforderungen entsprechen, sowie weitere errichten. Hier war laut Pelzer von der Stadtverwaltung die Nachverdichtung der Grund, warum der Gestaltungsbeirat Interesse an dem Projekt zeigte.
Vor dem Gremium präsentierten die Architekten mehrere Varianten – zur von der Erzdiözese favorisierten gab der Gestaltungsbeirat der Bauherrin in der ersten Sitzung einen ordentlichen Berg Hausaufgaben mit nach Hause. Ähnlich beim Kolping-Kolleg. Da ging es vor allem darum, dass der Neubau zu den bestehenden Gebäuden passen, der Eingang dafür verlegt und das Gebäude um ein fünftes Stockwerk erhöht werden sollte. Die Kritik war freundlich, aber direkt und hart in der Sache.
Wie bewertet der Bauherr das Prozedere? „Die Zusammenarbeit mit den Mitgliedern war sehr kompetent, ausführlich und wertschätzend. Wir waren für die Anregungen des GBR zu den jeweiligen Projekten sehr dankbar“, antwortet Michael Hertl, Leiter der Stabsstelle Kommunikation und Medien beim Erzbischöfliches Ordinariat, auf Anfrage. Bei einem Projekt hätte eine höhere Ausnutzung des Grundstücks erreicht werden können, bei einem anderen die Anregungen zu Kosteneinsparungen geführt. Auf die Frage nach den zeitlichen oder finanziellen Auswirkungen antwortete Hertl allgemein: „Das Erzbistum Freiburg ist durch die Zusammenarbeit mit dem GBR schneller vorangekommen und der Kostenrahmen konnte insgesamt eingehalten werden.“
Warum, so mag sich manch Laie fragen, geht es nicht auch mal ohne Kritik? Holger Ratzel betont, es gebe schon Fälle, die wohlwollend besprochen worden seien, wo den Bauleuten ein paar Empfehlungen auf den Weg gegeben wurden, die aber nicht umgesetzt worden seien. „Ich würde mir von allen Bauträgern wünschen, dass sie mit dem Ansatz herangehen, dass sie die bestmögliche Variante bauen wollen“, sagt Ratzel. Natürlich setze man sich einer möglichen Kritik aus. „Aber erfahrene Projektentwickler machen das ganz lässig und nehmen mit, was sie brauchen können und erreichen so ihr Ziel.“