Die Ausstellung „Transform! Design und die Zukunft der Energie« im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zeigt, wie die Energiewende gestaltetet wird: vom Solarauto über eine windkraftbetriebene Straßenlaterne bis zur begrünten Bohrinsel mit Gewächshäusern.
Text: Christine Weis • Fotos: Santiago Fanego
„Das Nachdenken über Alternativen zu den fossilen Energieträgern hat schon in der Vergangenheit vor allem in Krisen neue Impulse erhalten“, sagt Jochen Eisenbrand, Chefkurator des Vitra Design Museums. Aktuell sind es zwei drängende Krisen: die durch den Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöste Energiekrise und der Klimawandel. Weil man die Gegenwart besser versteht, wenn man die Vergangenheit kennt, skizziert Eisenbrand die wechselvolle Geschichte der Verbindung zwischen dem Nachdenken über alternative Energieträger und technischen Innovationsschüben, bei denen Design eine Rolle spielte.
Im Zuge der flächendeckenden Elektrifizierung vor 100 Jahren stieg der Energiebedarf und damit die Sorge um die Kohlevorräte. 1924 fand daher in London die erste World Power Conference statt. Fachleute aus 40 Nationen erörterten Energiefragen. Neben Öl und Kohle als wichtige Ressourcen diskutierten sie auch über Wasserkraft, die sogenannte „weiße Kohle“. Der deutsche Architekt Hermann Sörgel entwickelte daraufhin seine Vision von Atlantropa. Er plante einen riesigen Staudamm an der Meerenge bei Gibraltar mit einem Wasserkraftwerk, das Europa und Nordafrika mit Strom versorgen sollte.
Auf der nächsten Weltkraftkonferenz 1930 in Berlin beklagte man den Mangel an Windkraftanlagen, weil klar war, dass Kohle, Öl und Wasser nicht uneingeschränkt zur Verfügung stehen werden. Der Ingenieur Hermann Honnef reagierte darauf mit dem Entwurf eines Netzwerks von Windkraftwerken, das ganz Deutschland Energie liefern könnte. Mit seinem Lahrer Unternehmen Honnef-Werke hatte er sich bereits auf hohe Bauten wie Türme und Kräne spezialisiert. Die Planung von Windkrafttürmen lag daher nahe, Honnef gilt als Pionier auf diesem Gebiet.
Solar vs. Öl und Atom
Unter dem Eindruck von Rohstoffknappheit während des Zweiten Weltkriegs konstruierte die ungarische Biophysikerin Mária Telkes ab den 1940er-Jahren Solarhäuser, bei denen die Sonnenwärme zum Heizen genutzt wurde. Die erste Solarzelle realisierte 1953 die Firma Bell aus New Jersey. Da der Wirkungsgrad noch sehr gering war, gab es damals keinen nennenswerten Einsatz der neuen Technologie. Die Sonnenenergie setzte sich auch deshalb nicht durch, weil sich die Atomenergie gefördert durch die von US-Präsident Eisenhower 1953 initiierte „Atoms for peace“ Kampagne rasch ausbreitete und Erdöl günstig war.
Das änderte sich ab den 1970er-Jahren. Mit der Ölkrise und der Antiatomkraftbewegung rückten die Erneuerbaren in den Fokus. Die Ausstellung zeigt internationale Plakate und Protestschilder, Handzettel und Flugblätter, die diese Entwicklung dokumentieren – von der Werbung für erneuerbare Energien, dem Aufruf zum Energiesparen bis zum zivilen Widerstand gegen Solarkraftwerke und Windparks globaler Unternehmen. Das Logo der Antiatomkraftbewegung mit der lachenden Sonne und dem Slogan „Atomkraft? Nein Danke“ war in Südbaden allgegenwärtig. Klebte die Sonne doch seit dem Widerstand gegen das Atomkraftwerk in Wyhl auf vielen Autos und Fahrrädern, Taschen und Türen. Die Bauplatzbesetzung 1975 in der Kaiserstuhlgemeinde gilt als Start bundesdeutscher Protestaktionen gegen die Atomenergie. im gleichen Jahr entwarf die dänische Aktivistin Anne Lund den Anti-Atomkraft-Aufkleber, den es in mehr als vierzig Sprachen gibt.
„Design kann neue Wege aufzeigen, wie und wo erneuerbare Energien in den Alltag integriert werden können.“
Jochen Eisenbrand, Chefkurator Vitra Design Museum
Energieautarke Produkte
„Die Umstellung auf erneuerbare Energien beeinflusst unser Leben und verändert die Landschaft“, sagt Jochen Eisenbrand. Windräder und PV-Anlagen an Fassaden, auf Dächern oder Freiflächen sind am augenscheinlichsten. Doch die Transformation ist allumfassend. „Design kann neue Wege aufzeigen, wie und wo erneuerbare Energien in den Alltag integriert werden können“, so der Kurator. Die Ausstellung präsentiert 50 wegweisende Beispiele der Produktentwicklung, Architektur sowie der Landschafts- und Städteplanung. Das Design dient dabei als ein wichtiger Faktor für die Akzeptanz von erneuerbaren Energien.
Jeder Mensch verbraucht täglich Energie. Wie viel allein die morgendliche Tasse Kaffee benötigt, kann man im ersten Bereich der Schau am eigenen Körper erfahren. Auf drei Fahrrädern treten die Besucherinnen und Besucher in die Pedale, um mit ihrer Muskelkraft Strom zu erzeugen. Ein Bildschirm zeigt an, sobald die Energie zum Kaffeekochen oder für eine Google-Recherche ausreicht.
„Man kann in dieser Ausstellung die Zukunft sehen.“
Marjan van Aubel
Im zweiten Ausstellungsbereich werden Produkte und Experimente präsentiert, die ohne Stromnetz funktionieren. In Pauline van Dongens Solar Shirt hat die Modedesignerin Photovoltaik-Zellen eingearbeitet; so lässt sich mit dem Hemd das Smartphone aufladen. Ein weiteres Exponat ist die Hängeleuchte Sunne der niederländischen Designerin Marjan von Aubel. Sie fängt das Sonnenlicht ein und speichert die Energie in einer Batterie. Das Besondere sind die atmosphärischen Lichteinstellungen, die die Stimmungen von Sonnenaufgang, Sonnenschein und Sonnenuntergang wiedergeben.
Auch das Designerpaar Charles und Ray Eames arbeitete bereits 1957 mit Sonnenenergie. Ihre Solar-Do-Nothing-Machine besteht aus Stangen, an denen sich bunte Aluminiumscheiben und -kristalle bewegen, angetrieben von zwölf Photovoltaikzellen. Die Sonnenmaschine ist seit Jahrzehnten verschollen, das schöne Farben- und Formenspiel aber in einer Videoinstallation zu sehen.
Gebäude und Gefährte
Der dritte Teil der Schau thematisiert unter dem Titel Transformers innovative Ansätze aus Architektur und Mobilität. Das Plusenergie-Quartier P18 in Bad Cannstatt des renommierten Architekten Werner Sobek und des Bauunternehmens Aktivhaus ist wegen der Kombination aus Wärmepumpen, Photovoltaik und kontrollierter Wohnraumbelüftung heizungstechnisch autark.
Ein weiteres Modell zeigt die Copenhagen International School. Das Gebäude im Stadtgebiet Nordhafen sieht passend zur Umgebung wie ein Frachtschiff aus. Die Fassade besteht aus 12.000 Solarmodulen und je nach Lichteinfall leuchten die Paneele von meergrün bis dunkelblau. Die Wirkung ist magisch. An diesem Beispiel wird besonders deutlich, welche Intention die Schau verfolgt. Neben der Funktionalität neuer Energieträger geht es um Schönheit.
Das australische Solarauto Covestro ist ebenfalls ein Hingucker. Der schnittige Sonnenwagen wiegt nur 164 Kilo, rund um das Fahrzeug sind Photovoltaikzellen angeordnet, im Inneren befindet sich eine Lithium-Ionen-Batterie. Mit einem durchschnittlichen Tempo von 90 Stundenkilometern hat das Auto eine Reichweite von 500 Kilometern. Nicht ganz so schnell und weit fährt das E-Cargobike des Berliner Start-ups Ono. Das Gefährt mit Frachtcontainer nutzt eine Kombination aus Elektromotor und Muskelkraft. Handwerker ebenso wie Kurier- und Paketdienste setzen es auf ihrer letzten Meile zum Endverbraucher in Innenstädten ein.
Visionen
Der vierte Bereich der Ausstellung wirft einen Blick in die Zukunft, wo aus stillgelegten Erdölbohrinseln eine Recyclinganlage für Meeresplastik oder eine bewohnte grüne Oase mit Gewächshäusern und Windrädern werden kann. Der Energiebunker Hamburg ist ein Beispiel für eine Umnutzung. Der Schutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg ist heute ein regeneratives Kraftwerk mit Wärmespeicher. Wie ein emissionsfreies Europa im Jahr 2050 aussehen könnte, zeigt eine Roadmap des niederländischen Think Tanks OMA. Eneropa nennt sich die Vision, in der jede europäische Region ihre geografisch bedingten Energievorteile nutzt und die so gewonnene Energie in einen Verbund einspeist. Die Mittelmeerländer heißen in dieser Utopie Solaria, Großbritannien Tidal States aufgrund von Gezeitenkraftwerken, Geothermalia liegt im Zentrum, die wasserkraftnutzenden Gebiete heißen Hydropia und ziehen sich von West nach Ost.
Was der Wasserkraftpionier Hermann Sörgel wohl dazu gesagt hätte? Zeitgleich mit der Presseveranstaltung zur Eröffnung der Ausstellung traf sich am 21. März die Atom-Allianz in Brüssel. Mehr als 30 Regierungen kündigten an, den Ausbau der Atomenergie bis 2050 zu verdreifachen, darunter Frankreich, Ungarn, Schweden, die Niederlande, China und die USA. Geschichte kann sich wiederholen – Krise auch.
Die Ausstellung „Transform! Design und die Zukunft der Energie“ im Vitra Design Museum läuft bis zum 1. September. Der gleichnamige lesenswerte und schön gestaltete Band mit 195 Seiten, kostet 55 Euro und ist im Buchhandel erhältlich.