Zeitenwende, Klimaveränderung, Digitalisierung: So viel Wandel war selten. Der Veränderungsdruck erfasst Unternehmen aller Branchen. Er gefährdet die einen und bietet anderen eine Chance – sogar im Handel.
Von Kathrin Ermert
Dass Wandel keine neue Notwendigkeit ist, zeigen die zahlreichen Zitate dazu. „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt wie es ist, dann ist es nötig, dass sich alles verändert“, schrieb beispielsweise der italienische Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa in den 1950er-Jahren in seinem Roman „Der Leopard“, der in Italien Ende des 19. Jahrhunderts spielt. Einer Zeit des Umbruchs – politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich. Damals war es die industrielle Revolution, heute sind es digitale, ökologische und kulturelle Transformationen, die Veränderungen erzwingen, um Bewährtes zu erhalten.
Wandel ist nicht neu, seine aktuelle Dimension fordert uns aber heraus. Um die Jahrtausendwende dachten wir schon, dass die Geschwindigkeit hoch ist. Dafür stand das Akronym VUCA, das sich aus den englischen Begriffen volatility (Unbeständigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit) zusammensetzt. Wie unbeständig, unsicher und komplex die Herausforderungen sein können, zeigten uns dann die zurückliegenden Jahre mit der Krisenkaskade aus Pandemie, Kriegen, gestörten Lieferketten und fortschreitender Klimaerwärmung. Kaum dass VUCA gelebte Realität war, entstand ein neuer Begriff: BANI. Er steht für brittle (brüchig), anxious (verunsichert), non-linear und incomprehensible (unverständlich). VUCA, BANI, Transformation, Disruption, Changemanagement: Mit diesem Vokabular hantieren vor allem Unternehmensberatungen und Coaches – mitunter gefühlt inflationär.
Die beste Software nutzt nichts, wenn die Mitarbeitenden sie nicht anwenden
„Ich mache das Change-Theater nicht mit“, sagt Antje Vogt. Dabei steht der Wandel auf ihrer Visitenkarte. Die 52-Jährige arbeitet seit September als Change Consultant für Bechtle Freiburg. Der IT-Dienstleister hat diese Position neu geschaffen, weil den Kunden die beste Software nichts nützt, wenn die Mitarbeitenden sie nicht anwenden. Vogt ist ursprünglich Industriekauffrau, hat aber schon während der Ausbildung gemerkt, dass sie ein gutes Händchen hat, Veränderungsprozesse zu begleiten. „Ich verstehe, wie Techniker und Anwender denken und kann sie zusammenbringen.“ Deshalb hat sie sich zur Organisationsentwicklerin weitergebildet.
„Für Veränderungen gibt es kein Rezept“, sagt Vogt, und einfach gehe es auch nicht „Das ist wie beim Sport: Ich kann unterstützen und motivieren, schwitzen muss man selbst. Und den Muskelkater aushalten.“ Allerdings könnten Unternehmen verhindern, dass Mitarbeitende frustriert sind, indem die Kommunikation zwischen Geschäftsführung und Belegschaft funktioniert. „Nichts ist schlimmer als negativer Flurfunk, wenn die Mitarbeiter das Gefühl haben, dass an ihnen vorbei agiert wird“, betont Vogt.
„Transformation darf kein Selbstzweck sein. Man muss immer wieder fragen: Hat sie einen Mehrwert?“
Antje Vogt, Bechtle Freiburg
Ihr Credo: „Transformation darf kein Selbstzweck sein. Man muss immer wieder fragen: Hat sie einen Mehrwert?“ Neuerungen sollten Sinn stiften, also Probleme lösen. Der Organisationsentwicklerin geht es darum, die Dinge planbar zu machen: „Ich helfe dabei, die Leute abzuholen.“ Wer seit 30 Jahren im Unternehmen arbeite, könne sich nicht vorstellen, dass es seine Arbeit vielleicht bald nicht mehr gibt. „Man muss die Mitarbeiter einbinden und bei ihnen Verständnis für die Veränderung schaffen“, betont Vogt. Sie weiß, dass die meisten keine Zeit haben, sich mit Veränderungen wie neuer Software zu beschäftigen. Und dass es lange dauert, bis Menschen Gewohnheiten ändern und das auch nur, wenn sie es wollen. Deshalb sagt Vogt den Mitarbeitenden nicht, was eine neue Software kann. Sondern sie fragt: Wie arbeitet ihr, was würdet ihr gern ändern? Wichtig sei „das Commitment“: Dass ein Team gemeinsam beschließt, ein Programm anzuwenden.
Eine Tochter für Transformationsprozesse
Veränderungen von innen heraus begleiten: Das ist auch die Idee der Change Companions. Diese rund 50 Frauen und Männer arbeiten als Führungskräfte in allen Abteilungen des Energieversorgers Badenova. Sie haben in einem anderthalbjährigen internen und externen Training viel über agile Methoden gelernt und einen Werkzeugkasten zur Prozessbegleitung an die Hand bekommen. Damit können sie Veränderungen in ihren Teams begleiten. Die Change Companions kommen regelmäßig zusammen und unterstützen sich abteilungsübergreifend gegenseitig als Sparringspartner oder Supervisorinnen. „Viele Themen, für die wir früher angefragt wurden, können die Einheiten nun allein stemmen“, berichtet Anne Hegemann. Die 43-Jährige arbeitet seit gut vier Jahren als Leiterin „Talentmanagement HR Transformation“ in der Personalabteilung von Badenova. Dort hat sie das Projekt Change Companions mit angestoßen und weiterentwickelt. Eigentlich ging es um den Transformationsbedarf aus dem regulären Geschäft – „Corona und Krieg kamen dann noch obendrauf“, sagt Hegemann.
„Für Veränderungen, die dauerhaft da sind, wollten wir eine resiliente Struktur schaffen“, erklärt Charlotte Nowak (49). Die Betriebswirtin, Psychologin und Künstlerin war als Coach selbstständig, ehe sie vor knapp drei Jahren zu Badenova kam. „Wir wollten keine externen Beraterinnen und Berater, die das Unternehmen belöffeln, sondern dezentral Kompetenzen im Unternehmen schaffen und verankern“, betont Hegemann. Dank seiner Change Companions könne der Energieversorger flexibel auf Veränderungen reagieren.
„Widerstand gegenüber Veränderungen ist eine Einladung, genauer hinzuschauen.“
Charlotte Nowak, Freibaden Transformatin Consulting
Weil das Konzept so gut funktioniert, soll es nun auch anderen zugutekommen. Anfang Februar hat Badenova dafür die Tochtergesellschaft Freibaden Transformation Consulting GmbH ausgegründet, deren Geschäftsführerinnen Nowak und Hegemann sind. Noch sitzen die beiden im bisherigen Büro am Firmensitz in der Freiburger Tullastraße, sind aber auf der Suche nach separaten Räumen für ihr Intrapreneurship. Es gibt bereits erste externe Aufträge. Der Bezug zum Freibad im Firmennamen ist kein Zufall. „Es steht für ein Gefühl von Leichtigkeit, mit dem wir an Veränderungen rangehen wollen, für Sprungbretter, mit denen vieles möglich ist. Und dafür, dass man auch mal ins kalte Wasser springen muss“, erklärt Hegemann. Aber was sagen sie denjenigen, die nicht springen wollen, die Veränderungen mit Widerstand begegnen? „Das ist eine Einladung, genauer hinzuschauen“, antwortet Nowak. Dort gebe es meist unerfüllte Bedürfnisse oder wichtige Einwände, die beachtet und gelöst werden wollen.
Wie der Einzelhandel Wandel meistern kann
Manchmal sind die Veränderungen einer Branche zu groß für ein einzelnes Unternehmen. Den Eindruck gewinnt man momentan im Einzelhandel, wo Große gleichermaßen straucheln wie Kleine. Leere Läden in belebten Innenstädten zeugen davon. Die Insolvenzen der letzten Kaufhauskette Galeria sind schon zur Routine geworden. Kleine, inhabergeführte Geschäfte verschwinden oft still. Sie geben auf, bevor sie Pleite gehen. Zwei aktuelle Beispiele aus der Region: Das Kaufhaus Stork in Grafenhausen schließt Anfang Juni nach 146 Jahren. „Ohne Zukunftsaussichten macht eine Weiterführung keinen Sinn“, sagten die Schwestern Johanna und Dorothea Stork der Badischen Zeitung. Auch Barbara Dilger schließt ihren kleinen Naturkosmetikladen Belladonna in der Freiburger Altstadt Ende April aus finanziellen Gründen.
Es sind die Nachwehen der Pandemie. „Auch wenn viele es sicher leid sind zu hören: Wir leiden immer noch unter den durch die Coronamaßnahmen herbeigeführten Verhaltensänderungen“, sagt Jennifer Ribler, die beim Handelsverband Südbaden den Bereich Kommunikation und Mitgliederservice leitet. Zudem führten Kriege und Inflation zu einer schlechten Verbraucherstimmung, „Einkaufen macht keinen Spaß mehr und wird eher als lästige Pflicht gesehen“, klagt Ribler. Der Dachverband geht von 5000 Schließungen in diesem Jahr im Handel aus. Regionalisierte Zahlen gibt es nicht. Man habe bereits ein paar Kündigungen wegen Geschäftsaufgabe erhalten, so Ribler. Die meisten aufgrund vom Alter – mitunter auch, weil keine Nachfolge gefunden wurde.
„Wir wollten einen Ort zum Verweilen und Wohlfühlen schaffen.“
Kaltrina Shala, Conceptstore Kamé
Wie der stationäre Einzelhandel den Wandel meistern kann, zeigen Kaltrina Shala und Merita Smaili. Die Schwestern, 34 und 37 Jahre alt, haben vor zwei Jahren ihren Conceptstore Kamé in Müllheim gestartet. Die Eröffnung fand noch mit Masken und Skepsis statt. Rückblickend war der Zeitpunkt aber perfekt. „Die Leute haben darauf gewartet, wieder echt statt online einkaufen zu können – mit Törtchen und Kaffee.“ Die Gastronomie ist der Magnet, der Handel das Hauptgeschäft. Kaufen kann man alles, was man im Laden sieht – neben Schmuck, Klamotten und Wohnaccessoires auch Stühle, Tische, Lampen und Regale. Die Gründerinnen haben ihr Konzept gut geplant. Beide haben eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau gemacht, lange in renommierten Freiburger Geschäften gearbeitet – Shala bei Sport Bohny, Smaili beim Modehaus Kaiser – und wussten deshalb: Es braucht Emotionen und Erlebnisse, um Kunden in den Laden zu locken. Und dass ein Conceptstore gerade in kleinen Städten gut funktioniert, weil die Menschen dort froh sind, nicht für jedes Geschenk nach Basel oder Freiburg fahren zu müssen. „Wir wollten einen Ort zum Verweilen und Wohlfühlen schaffen“, erzählt Shala. Das ist geglückt. Die Zahlen lagen schon im ersten Jahr über dem Businessplan.