Zwischen der vierten und der fünften Ausgabe der Bechtle Microsoft World in Offenburg liegt der Start von Copilot. Das KI-Assistenzsystem von Microsoft hat das Potenzial, die Arbeitswelt zu verändern und stand im Mittelpunkt des IT-Branchentreffs.
Text: Kathrin Ermert
Das Upgrade hat sich gelohnt – allein schon für die Klimaanlage. Denn die Bechtle Microsoft World (BMSW) findet am ersten Hochsommertag des Jahres statt. Und nach Pulled Pork und Pommes mittags im sonnigen Innenhof fühlt sich die Luft drinnen angenehm kühl an. Udo Stiefvater und Alexander Hübner stehen beim Kaffeemobil vor der Ausstellungshalle und haben gute Laune. „Wir sehen rundum glückliche Gesichter. Alle sind zufrieden.“ Und das sind natürlich auch die Geschäftsführer der Bechtle-Standorte Freiburg sowie Offenburg, die dieses Event organisiert haben. Ihr Kalkül ist aufgegangen. Es war richtig, von der Oberrheinhalle, wo die BMSW die vergangenen vier Mal stattfand, in die deutlich größere Edeka-Halle der Messe Offenburg zu ziehen. Sie konnten denzusätzlichen Platz füllen.
1500 Menschen hätten sich für das IT-Treffen angemeldet, schätzungsweise 1200 seien gekommen, berichten Stiefvater und Hübner. Das sind einige Hundert mehr als vor einem Jahr. Obwohl die BMSW regional von den Bechtle-Standorten Freiburg, Offenburg, Karlsruhe und Bodensee veranstaltet und vermarktet wird, reisen die Gäste mittlerweile aus allen Teilen Deutschlands und aus Österreich an. „Das Event wird zunehmend überregional“, sagt Hübner.
Ein Grund für das große Interesse sind sicherlich die Themen, besonders Copilot. Der KI-Assistent von Microsoft ist erst seit März dieses Jahres verfügbar und aktuell eine der größten Neuerungen in der IT-Welt. „Copilot ist ein Highlight dieser Veranstaltung“, sagt Oliver Hambrecht, der als Bereichsvorstand der Bechtle-Zentrale in Neckarsulm für die Region Südwestdeutschland zuständig ist. Er sieht die künstliche Intelligenz als Möglichkeit, die anstehenden Veränderungen zu meistern. Um selbst zu lernen, damit umzugehen, hat Bechtle ein Drittel seiner rund 15.000 Arbeitsplätze mit Copilot ausgestattet. Der IT-Dienstleister betreibt mehr als 100 Systemhäuser in Deutschland sowie Europa und ist einer der zehn größten Microsoft-Partner weltweit. 1,75 Milliarden Euro setzte Bechtle jährlich mit Microsoft-Programmen um, 8,7 Milliarden Euro waren es 2023 insgesamt.
„Bechtle ist für uns ein relevanter Partner, der die Plattform in Kundenbedürfnisse übersetzt“, sagt denn auch Oliver Gürtler, Mitglied der Geschäftsleitung von Microsoft Deutschland, auf der Hauptbühne der BMSW. Der Softwaregigant schätzt den IT-Dienstleister, um die Akzeptanz neuer Technologien wie Copilot sicherzustellen. Denn Bechtle arbeitet an der Basis und betreut vor allem die IT von mittelständischen Unternehmen, Verwaltungen und anderen Organisationen. Um die Dimension der Veränderung, die Copilot einläutet, zu veranschaulichen, zeigt Gürtler ein Video. Darin unterhalten sich zwei künstliche Intelligenzen via Smartphone. Eine nimmt im Callcenter des Handyversands die Beschwerde der anderen entgegen, die der menschliche Nutzer mit wenigen Worten dazu aufgefordert hat.
„Natürlich haben wir noch keine Erfahrung mit KI. Das ist bei neuen Technologien immer so.“
Oliver Gürtler, Mitglied der Geschäftsleitung von Microsoft Deutschland
Gürtler betont die Geschwindigkeit, in der sich die KI weiterentwickelt: Das Smartphone habe 16 Jahre gebraucht, bis es 100 Millionen Nutzer hatte, bei ChatGPT dauerte dies nur zwei Monate. Der Microsoft-Geschäftsleiter mahnt die Gäste in Offenburg daher, schnell mit KI anzufangen und nicht zu riskieren, dass der Zug an einem vorbeirauscht. Die fehlende Erfahrung, die knapp die Hälfte der für eine Bitkom-Studie Befragten als Grund fürs Zögern angab, lässt er nicht gelten: „Natürlich haben wir noch keine Erfahrung, das ist bei neuen Technologien immer so.“
Auch Raphael Gielgen sieht Geschwindigkeit als die größte Veränderung. „Noch nie ist Zukunft so schnell Gegenwart geworden“, sagt der Trendscout von Vitra, der für den Büromöbelhersteller durch die Welt reist, um zu verstehen, wie sich die Arbeitswelt verändert. Da sieht er, dass Roboter die Fabriken verlassen. Dass Extended Realities wie VR-Brillen die Menschen in Fabriken und anderswo befähigen, Dinge zu tun, die sie nicht gelernt haben. Oder dass sich Abteilungen auflösen, weil Co-Creation neue Perspektiven eröffnet und offene Büros das effektive soziale Lernen fördern. „KI kann viele Probleme, die uns bestimmen, lösen“, glaubt Gielgen. Der 54-Jährige weiß aber, dass wir dafür „am Ende unseres Erwerbslebens nochmal so viel lernen müssen wie nie zuvor“.
„Noch nie ist Zukunft so schnell Gegenwart geworden.“
Raphael Gielgen, Trendscout Vitra
Die digitale Transformation lässt keine Branchen und Unternehmensbereiche aus. Entsprechend breit ist das Spektrum derer, die zur Bechtle Microsoft World gekommen sind. Robby Schreiber beispielsweise arbeitet für die Schulstiftung der Erzdiözese Freiburg und kümmert sich um die digitale Infrastruktur der 32 Schulen im Bistum mit insgesamt mehr als 12.000 Kindern und Jugendlichen sowie rund 1000 Lehrkräften. Er nimmt zum ersten Mal an der BMSW teil. Auch für Eric Martin-Catherin ist es die Premiere. Der IT-Manager der europäischen Automotive Cells Company (ACC) hat gerade im Darknet-Scan prüfen lassen, ob sein Unternehmen auf dem Radar von Internet-Kriminellen ist. Das Ergebnis bekommt er im Lauf des Tages. „Wir haben Wettbewerber, die genau schauen, was wir tun“, erklärt Martin-Catherin sein Interesse an dieser Information. Die ACC Deutschland GmbH ist erst drei Jahre alt, aber ziemlich bekannt, weil sie in Kaiserslautern ein riesiges Werk für E-Auto-Batteriezellen plant und weil ihre Shareholder bekannte Konzerne sind: Stellantis, Mercedes und Total Energy. „Wir sind wie Airbus für EV-Batteriezellen“, erklärt Martin-Catherin.
Etwa jedes dritte Unternehmen entdeckt der Darknet-Scan, berichtet Merlin Stottmeister. Der 27-Jährige hat das Tool als Masterarbeit entwickelt, damit 2022 den zweiten Platz beim Best Student Award des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gewonnen und es mit zu seinem Arbeitgeber Bechtle Solingen gebracht. Bei der BMSW bietet er den Scan zum dritten Mal an und bekommt viel Zulauf, weil Datensicherheit für viele ein wichtiges Thema ist. Damit beschäftigen sich auch einige Stände und Vorträge auf den vier Bühnen in den Ecken der Ausstellungshalle, wo Bechtle-Partnerfirmen ihre Kompetenzen präsentieren. Es herrscht typisch geschäftiges Messetreiben, obwohl sich die Veranstalter Mühe gegebene haben, mit Olivenbäumen so etwas wie Urlaubsflair zu erzeugen. Es ist Teil des Konzepts, die BMSW wie ein IT-Festival zu organisieren. „Es soll Spaß machen“, betont der Freiburger Bechtle -Chef Stiefvater. Deshalb gibt es an diesem Tag in der Messe Offenburg außer viel Information auch Foodtrucks, Flipper-Paradies und ein ruckelndes Achterbahn-Ei mit VR-Brille.