Das Freiburger Landkartenhaus ist fast ein Unikum in Deutschland. Der Spezialladen hat eine lange Tradition und seit Kurzem einen jungen Geschäftsführer. Über Reisetrends, Routenplanung und die Fähigkeit des Kartenlesens.
Text: Christine Weis • Fotos: Alex Dietrich
Eine Frau kommt aus dem Landkartenhaus. Sie setzt sich gegenüber im italienischen Eiscafé an einen sonnigen Tisch, bestellt einen Espresso, entfaltet die eben gekaufte Karte und vertieft sich in Höhenlinien und Wegenetze. „Das ist so schön“, kommentiert Paul von Malchus, Geschäftsführer vom Freiburger Landkartenhaus, zwei Tische entfernt die Szene. „Es kommt häufig vor, dass Kunden direkt ins Café wechseln, die Karte aufschlagen und damit gedanklich schon in den Urlaub oder Wochenendtrip eintauchen.“ Karten dienen der Orientierung, weisen den Weg und sind detailreiche Landschaftsbeschreibungen für jene, die die Symbole und Farben von Flüssen, Wäldern, Wasserfällen, Brücken, Burgen, Gasthäusern, Denkmälern, Städten und Wegen, Straßen und Bahnhöfen deuten können. „Landkarten lesen sollte eigentlich jeder können“, findet von Malchus. „Es ist nicht schwierig und macht auch Spaß.“ Wichtig sei es, auf den Maßstab zu achten, um Entfernungen einschätzen zu können, besonders für Wander- und Bike-Routen.
Haben Navigations-Apps den Papierkarten nicht längst den Rang abgelaufen? „Bei Stadtplänen trifft das zu, bei Straßenkarten ist es nicht so extrem, aber ja, der Trend stimmt, es werden weniger Karten genutzt“, antwortet von Malchus und ergänzt: „Freizeitkarten sind nach wie vor hoch im Kurs. Viele möchten eine Karte in der Hand haben und sich nicht allein auf digitale Tools und das Smartphone verlassen.“ Zudem kommen sie auch für die Planung und auch als eine Art Reisetagebuch zum Einsatz.
„Wir machen Urlaub – seit 1932“ lautet der Slogan des Freiburger Landkartenhauses in der Schiffstraße, mitten in der Altstadt. Der Buchhändler Gerhard Voigt gründetet es zusammen mit seiner Frau Lilly. Der Laden befand sich zunächst in der Bertoldstraße, dann in der Ladenzeile des Colombi Hotels, ehe er 1987 seinen heutigen Standort in der Schiffstraße bezog. 1976 übernahm Rainer Voigt das Geschäft von seinen Eltern und 2007 übergab er es an seine langjährigen Mitarbeiterinnen Kathrin von Malchus, der Mutter von Paul von Malchus, und Bianka Möllendorf.
„Freizeitkarten sind nach wie vor hoch im Kurs. Viele möchten eine Karte in der Hand haben und sich nicht allein auf digitale Tools und das Smartphone verlassen.“
Paul von Malchus
Seit Anfang des Jahres leitet Paul von Malchus den Betrieb. Der 33-Jährige hat seine Ausbildung zum Buchhändler im Landkartenhaus gemacht und ist schon seit elf Jahren dabei. Er hat weder Geografie studiert, noch lag ein Atlas in seiner Wiege, doch den Leuchtglobus Columbus Royal liebte er schon als Kind. Nach dem technischen Fachabitur trieb ihn das Fernweh nach Neuseeland, wo er auf Farmen in der Kiwi-, Birnen- und Maisernte arbeitete. „Das war mehr Work als Travel, nach acht Monaten hatte ich genug und wollte einen festen, richtigen Job.“ Heute beschäftigt er sieben Mitarbeitende, darunter drei Azubis, und arbeitet immer noch viel. Jetzt, Mitte Juni, hat er das erste Mal dieses Jahr eine Woche Urlaub, fährt aber nicht weg: „Ich bin ein Zuhause-Urlauber. Das heißt nicht, dass ich nicht gerne verreise, aber wenn, dann gebe ich Geld für gutes länderspezifisches Essen und schöne Unterkünfte aus, und das kann ich mir nicht so oft leisten.“ Zuletzt war der überzeugte Zugfahrer in Schweden. Häufig zieht es ihn nach Italien, in die Regionen Umbrien und Apulien sowie in Städte wie Rom und Neapel. „Man kann aber auch bei uns in der Region prima Urlaub machen und wandern.“ Ohnehin ist er jeden Tag in den Kundenberatungsgesprächen gedanklich in vielen Ländern unterwegs. „Die persönliche Beratung ist unser großes Plus“, so von Malchus.
„Der stationäre Handel und die reisefreudige Freiburger Stammkundschaft sind unser Herzstück.“
Paul von Malchus
Im Trend: Julische Alpen und Japan
Man sollte jedoch schon ungefähr wissen, wohin es gehen soll, denn das Landkartenhaus ist kein Reisebüro. „Wir kennen uns sehr gut aus und wissen im Zweifelsfall, wo wir nachschauen können, aber ein Hotel buchen wir nicht“, scherzt der Kartenspezialist. Es gebe hin und wieder Wünsche, die man nicht bedienen könne, weil zu der Region kein Material vorliegt. Wer etwa eine Radkarte für Tadschikistan oder Tschad braucht, den müsse man enttäuschen. Bei China und den USA kann es mit Karten auch schwierig werden, weil sie nicht flächendeckend topografisch erfasst sind. „Nur in der Schweiz und Frankreich gibt es kaum weiße Flecken“, erklärt von Malchus. Gefragt nach beliebten Reiseländern, nennt er Frankreich mit den Regionen Bretagne und Provence an vorderster Stelle.
Im Kommen sind die französischen Alpen und die Julischen Alpen in Slowenien. Italien und Kroatien gehören zu den Dauerbrennern, und seit Corona ist das Wohnmobil das Fortbewegungsmittel der Wahl. Ebenfalls angesagt sind Fernwanderungen, und der derzeitige Trendsetter ist Japan. Von Malchus erklärt sich das mit dem schwachen Yen. Die japanische Landeswährung hat in den letzten zwei Jahren rund 25 Prozent an Wert verloren. Dadurch sei eine Japanreise erschwinglicher geworden. In den Inselstaat im Pazifik möchte er selbst einmal reisen und Kultur, Küche, Mentalität und Lebensweise der Menschen dort kennenlernen. Die Verlage hätten anfangs den Japantrend verpasst, es gab kaum Reiseliteratur auf dem Markt, mittlerweile habe sich das geändert und das Angebot entspreche der Nachfrage. „Ich denke, der Trend hängt auch mit den populären Comics Manga, Anime und Spielen wie Pokémon zusammen.“ Von Malchus freut sich über solche Booms und die erstarkte Reiselust nach Corona. Seine Branche hatte es während der Pandemie besonders schwer. Zwischen 2019 und 2023 gab es laut Media Control im Segment Reisebuch ein Minus von 18 Prozent.
Peloponnes-Wanderkarte.
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal des Landkartenhauses ist das große Sortiment. In dem rund 70 Quadratmeter großen Laden und dem kleinen Lager hinter dem Verkaufsbereich befinden sich rund 11.000 Artikel, 80 Prozent davon sind Karten vom Ruhr-Radweg bis zur Peloponnes-Wanderkarte. Der Raum ist maximal ausgenutzt: Die Regale reichen bis unter die Decke, von der Kalender und Weltkarten hängen. In den Regalwänden stehen Atlanten, Reise-, Wander-, Kletter- und Campingführer, Bildbände, magnetische Puzzles für Weltenbummler oder Regionalkrimis. Seltene, historische Karten oder sehr hochwertige Reliefkarten werden auf Nachfrage aus den Schubladen gezogen.
Fast die Hälfte seines Umsatzes generiert das Landkartenhaus mittlerweile im eigenen Onlineshop. Die Bestellungen, Anfragen und Beratungswünsche kommen aus dem ganzen Bundesgebiet, verschickt wird von Freiburg aus. „Der stationäre Handel und die reisefreudige Freiburger Stammkundschaft sind unser Herzstück“, sagt der Buchhändler. Die Gruppe der Onlinekäufer ist im Schnitt etwas jünger. In den Laden kommt vorwiegend die kaufkräftige Generation 50plus. Dazu zählt auch die Frau, die ihren Espresso gerade ausgetrunken und die Karte zurück in die Tasche gesteckt hat.
1 Kommentar
Toll, dass es dieses analoge Angebot gibt! Das beruhigt irgendwie und der Artikel animiert mich, demnächst mal in dieses Geschäft zu gehen.