Zwei Kapitäninnen im Interview: SC-Rekordspielerin Hasret Kayikçi aus der Frauen-Bundesliga und Victoria Ezebinyuo von der U-20 sprechen über die Professionalisierung im Frauenfußball, über Gehälter, Verletzungspech und das Glück im Dreisamstadion.
Interview: Julia Donáth-Kneer • Fotos: Santiago Fanego
Gerade haben die SC-Frauen erfahren, dass ihr Trainingslager in Österreich abgesagt werden musste, weil das langjährige Teamhotel vor der Insolvenz steht und kurzfristig kein Ersatz aufgetan werden konnte. Kapitänin Hasret Kayikçi und das Team bleiben also hier. „Ist natürlich etwas anderes, als wenn wir jetzt rund um die Uhr gemeinsam im Trainingslager wären“, meint Kayikci, als wir uns Mitte Juli im Dreisamstadion zum Gespräch treffen. „Aber schaut euch um“, sagt sie nicht ohne Stolz und deutet auf die Ränge, das Feld, die Lichter und Tribünen. „Wir haben hier optimale Bedingungen. Wir machen einfach das Beste draus.“
Hasret Kayikçi kennt diese Bedingungen wie kaum eine Zweite: Sie spielt seit ihrem 16. Lebensjahr in der Bundesliga, wechselte als 19-Jährige von Duisburg zum Sport-Club. „Hier bin ich erwachsen geworden“, sagt die 32-Jährige, die trotz wiederholter schwerer Knieverletzungen in dieser Saison Juliane Maier als SC-Rekordspielerin ablöste. Man könnte sagen: Mit ihr ist auch die Frauenabteilung des SC Freiburg erwachsen geworden.
Im Herbst 2021 sind die Bundesliga-Frauen ins Dreisamstadion umgezogen. Noch spielen und trainieren die Mädchen und das U-20-Team, deren Kapitänin Victoria Ezebinyuo ebenfalls am Gespräch teilnimmt, überwiegend im Schönbergstadion. Aber das soll sich ändern. Perspektivisch soll die gesamte Frauen- und Mädchenabteilung ins Dreisamstadion ziehen, heißt es von Seiten des Sport-Clubs.
Schon jetzt absolviert Victoria Ezebinyuo mit ihrer Truppe die Sommervorbereitung auf dem Trainingsplatz an der Schwarzwaldstraße. Es sei ein Unterschied wie „Tag und Nacht“, sagt die 22-Jährige, die seit ihrem 14. Lebensjahr für den SC spielt und zu den erlaubten älteren Spielerinnen der U-20 gehört. Auch sportlich professionalisiert sich das Team immer mehr. Gerade sind sie Meisterinnen der Regionalliga Süd geworden und damit wieder in die zweite Frauen-Bundesliga aufgestiegen.
Die U-20 ist Meister geworden, die erste Mannschaft Neunte in der Bundesliga. Wie war das?
Hasret Kayikçi: Es war eine sehr durchwachsene Saison, mit der wir nicht zufrieden sind. Ich persönlich will jedes Spiel gewinnen. Bei uns ist es ähnlich wie bei den Männern: Unser Primärziel ist es im ersten Schritt, jede Saison nicht abzusteigen. Und wir wissen natürlich, dass es für uns schwer ist, an die Top-Teams der Bundesliga ranzukommen, weil die auch ganz andere finanzielle Möglichkeiten haben. Unser Weg ist es, junge Spielerinnen aufzubauen und in die Bundesliga zu holen, und das ist uns in den letzten Jahren gut gelungen.
Jahrelang prägten Turbine Potsdam und 1. FFC Frankfurt die Liga. Seit 2013 teilen sich VfL Wolfsburg und FC Bayern München die ersten beiden Plätze. Beides sind Vereine, in denen es auch eine starke Männerabteilung gibt. Das ist kein Zufall. Die SGS Essen war in der Saison 2023/24 der letzte verbliebene reine Frauen-Verein. Die restlichen wurden von den Lizenzvereinen aus der Männer-Bundesliga entweder verdrängt oder geschluckt. 2024 ist FFC Turbine Potsdam wieder in die Frauen-Bundesliga aufgestiegen.
Wie erlebt ihr die Professionalisierung im Frauenfußball?
Kayikçi: Wir sind auf einem guten Weg. Auch, weil viele Clubs ihre Frauenabteilungen deutlich besser unterstützen und anders wahrnehmen als früher. Es passiert viel, auch in der zweiten Bundesliga. Ich bin sehr gespannt, was da möglich ist. Natürlich ist alles eine Frage des Geldes, was Infrastruktur, Stadien, Ausstattung, Möglichkeiten angeht. Machen wir uns nichts vor: Wir wissen, dass wir im Frauenfußball nicht so viel einnehmen, wie wir ausgeben. Es ist ja nicht so wie bei den Männern, wo jedes Wochenende 35.000 Menschen zusehen und die Spiele Millionen in den Medien verfolgen. Aber auch unser Zuschauerschnitt bei den Heimspielen ist deutlich nach oben gegangen. Mittlerweile kommen durchschnittlich 3500 Zuschauer ins Dreisamstadion, vor einigen Jahren haben wir noch vor wenigen hundert gespielt.
„Der Aufwand ist extrem, deshalb muss es der Frauenfußball hinbekommen, jede Spielerin so zu bezahlen, dass sie keinen Zweitjob mehr braucht.“
Hasret Kayikçi
Victoria, profitiert ihr in der Zweiten Liga auch davon, wenn es beim ersten Team immer professioneller zugeht?
Victoria Ezebinyuo: Ja definitiv. Zum Beispiel, dass wir jetzt hier am Dreisamstadion unsere Vorbereitung machen können, ist enorm. Allein das Gefühl, in das Stadion zu kommen und zu wissen: Hier sind die Frauen, das ist toll.
Wie ist es für euch im Dreisamstadion?
Kayikçi: Ich habe früher auf der Südtribüne immer die Bundesliga der Männer geschaut. Jetzt selbst hier zu spielen, fühlt sich super an. Ich freue mich sehr über das Dreisamstadion und komme immer mit guter Laune her. Wir haben schon sehr viel erreicht, deshalb freuen wir uns auch so, wenn wir die gesamte Frauen- und Mädchenabteilung hierherholen können, damit alle diese Infrastruktur nutzen können – und wir gemeinsam den nächsten Schritt machen.
Die Infrastruktur ist professionell, die Gehälter mittlerweile auch? Oder müssen die Spielerinnen noch zusätzlich arbeiten?
Kayikçi: Es gibt in der gesamten Frauen-Bundesliga nicht viele Spielerinnen, die wirklich von ihrem Gehalt über die Karriere hinaus leben können. Das gilt auch bei uns. Einige haben Jobs, andere studieren. Wir sind in einer Übergangsphase. Wir sind als Verein nach dem Umzug auf einem guten Weg, aber noch nicht da, wo wir aus meiner Sicht sein sollten. Dabei rede ich von ganz normalen Gehältern: Es geht darum, dass ich die Miete bezahlen und mir etwas zu essen kaufen kann, ohne jeden Cent umdrehen zu müssen. Ein Punkt bei den Frauen ist aber auch: Nach dem Karriereende hat keine ausgesorgt, es ist also wichtig, ein zweites berufliches Standbein zu haben.
Ezebinyuo: Bei uns haben seit dieser Saison alle Spielerinnen einen Vertrag, aber auch alle noch eine zweite Aufgabe: Job, Studium, Schule. Das kann schon eine Challenge sein, wenn man von Termin zu Termin hetzt. Dafür hat nicht jeder Verständnis.
Die Bundesliga-Frauen trainieren sieben bis acht Mal die Woche – an zwei Tagen doppelt. Die U-20 fünf- bis sechsmal. Dazu kommen Heimspiele und Auswärtsfahrten.
Die Anstoßzeiten der Frauen-Bundesliga verteilen sich über vier Tage – auch montags. Das ist der Termin, der bei den Männern wieder abgeschafft wurde, weil er – vor allem bei den Fans – so unbeliebt war. Wie geht das, wenn viele noch arbeiten müssen?
Kayikçi: Das ist genau die Herausforderung, von der wir sprechen. Gerade für uns, mit dem Standort Freiburg, ist jedes Auswärtsspiel weit weg. Wenn wir montags oder am Sonntagabend zum Beispiel in Bremen spielen, gehen zwei Arbeitstage drauf. Es wird sehr viel Flexibilität verlangt. Der Aufwand ist extrem, deshalb muss es der Frauenfußball hinbekommen, jede Spielerin so zu bezahlen, dass sie keinen Zweitjob mehr braucht.
Das ist ja auch eine Anerkennung der Leistung. Ist man auf dem Platz besser, wenn man sich als Profi fühlt?
Kayikçi: Das macht viel aus, wenn du befreit trainieren und spielen kannst. Wenn du nicht mehr ständig vom Job zum Training und umgekehrt hetzen musst.
Ezebinyuo: Es ist aber auch besser für den Körper, wenn die Bedingungen stimmen. Ich merke einen großen Unterschied auf den professionellen Feldern im und am Dreisamstadion, dort wo der Platz eben ist. Da kannst du auch den Ball viel besser passen und musst nicht ständig von Kunst- auf Echtrasen wechseln.
Kayikçi: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Auch, was Verletzungen angeht. Ich kenne viele Frauen aus meiner Generation, die so wie ich schwere Knieverletzungen hatten. Da kann man sagen: Das ist Pech. Man kann aber auch genauer hinschauen: schlechte Plätze, anderes Training, keine Physios und so weiter. Seit wir professionell arbeiten, gibt es viel weniger Verletzungen.
„Ich habe früher auf der Südtribüne immer die Bundesliga der Männer geschaut. Jetzt selbst im Dreisamstadion zu spielen, fühlt sich super an.“
Hasret Kayikçi
Wie ist das Verhältnis zwischen den SC-Profis der Männer und den SC-Frauen?
Kayikçi: Für mich ist der SC Freiburg ein Verein, wir gehören alle dazu. Wir machen mittlerweile verstärkt Marketingprojekte mit den Männern gemeinsam, zum Beispiel die Trikotpräsentation dieses Jahr. Natürlich sind die Männer wirtschaftlich in ganz anderen Bereichen unterwegs, aber es ist das Ziel unserer Abteilung, dass wir uns irgendwann selbst tragen können. Noch sind wir auf die Gelder aus dem Männerbereich angewiesen, um unsere Abteilung zu finanzieren. Daran sieht man aber auch: Der Verein steht immer hinter uns und hat auch nie aufgehört, uns zu fördern.
Seit der Saison 2016/2017 ist Badenova Haupt- und Trikotsponsor der Frauen- und Mädchenmannschaften des SC Freiburg. Bei den Männern ist es seit der Saison 2023/2024 Jobrad.
Bei Olympia ist die deutsche Frauennationalmannschaft dabei. Machen solche Großevents einen Unterschied auch in den heimischen Stadien?
Kayikçi: Das merken wir extrem. Die Weltmeisterschaft in Deutschland 2011 war wie ein Türöffner, der die Menschen in die Stadien geholt hat. Viele hatten vorher überhaupt keine Berührungspunkte mit Frauenfußball. Einmal musst du die Leute ins Stadion holen – egal wie – dann merken die schon, wie gut das ist und kommen wieder. Wir haben auch supercoole Fans in Freiburg, das macht viel Spaß. Unsere vergangene Saison war wirklich durchwachsen, aber ich habe kein einziges kritisches Wort gehört. Ich hatte schon fast ein schlechtes Gewissen, weil wir nur zwei Heimspiele gewonnen haben. Ich will unbedingt etwas Schönes feiern mit den Fans. Das ist auch der Grund, warum ich noch weitermache. Ich möchte mit einer erfolgreichen Saison abschließen.
Mit der WM 2011 erreichte der Frauenfußball eine neue Dimension. Noch nie war das öffentliche Interesse an dem Sport so groß: Bis zu 19 Millionen Fernsehzuschauer sorgten für Traumquoten bei den Spielen der DFB-Auswahl. Die Stadien waren ausverkauft.
Ist danach eine Trainerinnenkarriere beim SC Freiburg denkbar?
Kayikçi: Ich liebe Fußball, ich habe mein ganzes Leben gespielt. Aber als Trainerin sehe ich mich nicht. Ich glaube, mein Platz ist in der Geschäftsstelle, dort, wo ich mithelfen kann, den sehr guten Weg der SC-Frauen Schritt für Schritt weiterzugehen.