Die Zimmer Group ist auf Expansionskurs. Jüngst wurden gleich drei neue Produktionsstätten in China, Indien und am Hauptsitz in Rheinau eröffnet. Der Hersteller von Automatisierungstechnik will weiterwachsen und neue internationale Märkte erschließen.
Text: Christine Weis
„Ich gehe davon aus, dass jeder von Ihnen ein Produkt von Zimmer bei sich zu Hause hat“, mit diesem Satz begrüßt Thomas Seeger Anfang Juli die Medienleute beim Rundgang durch die neue Werkhalle im Gewerbegebiet Glockenloch in Rheinau. Dabei meint er Schubladen in Küchenschränken, die sich sanft und leise von selbst schließen. Dieser automatische Einzug mit Dämpfungstechnik nennt sich Soft Close und ist eine der bekanntesten Erfindungen aus dem Hause Zimmer.
5000 Quadratmeter groß ist die gerade fertig gestellte Werkhalle, in der die jüngste Ausgründung Zimmer Systems GmbH komplexe Automatisierungslösungen konstruiert. Das Portfolio reicht von Systemkomponenten, Roboterautomation mit End-of-Arm-Tools und Greifern, Transportsystemen, Zellen und einbaufertigen Modulen bis zu kompletten Anlagen. Zu Beginn der Führung stellt Thomas Seeger, Geschäftsführer der Zimmer-Tochter, eine der neuesten Innovationen vor: Raptor ist ein Holzverarbeitungsroboter. Zur eher spielerischen Veranschaulichung der Funktionsweise dient ein Dinosaurierskelett, zusammengesetzt aus vielen unterschiedlichen Holzteilen, hergestellt von Raptor.
Die Maschine kann sämtliche Arbeitsschritte im Bereich Holzverarbeitung wie Nesting, Sägen, Fräsen, Bohren und Vormontieren ausführen. Fertighaushersteller seien potenzielle Abnehmer für den „Problemlöser“, wie Seeger ihn bezeichnet. Es können auch andere Werkstoffe damit verarbeitet werden, daher habe man weitere Branchen wie die Luftfahrtindustrie im Auge. Erste Interessenten für den Raptor gebe es bereits, bis Mitte nächsten Jahres sei die Marktreife erreicht. „Mit dieser Maschine führen wir unsere Mitarbeiter in die Digitalisierung der Zukunft und zeigen, was im Komponentenbereich alles möglich ist“, sagt Achim Gauss, Geschäftsführer der Zimmer Group.
Zimo heißt die flexible Roboterzelle, die für Be- und Entladung von Werkzeugmaschinen oder Sortieranwendungen eingesetzt werden kann. Miles ist die Produktbezeichnung für die mobilen autonomen Roboter, die sich selbstständig in einem definierten Bereich bewegen und Güter wie Paletten, Behälter oder Kleinteile transportieren. Die Runde schließt mit der Besichtigung von Greifsystemen für Reifen, Räder, Felgen, Säcken sowie jene für die Batteriefertigung in der Elektroautoindustrie. Bis 2027 will Thomas Seeger mit Zimmer Systems einen Umsatz von 50 bis 60 Millionen Euro generieren, so das Ziel des 49-jährigen Elektronikers und Ingenieurinformatikers, der seit zwei Jahren im Unternehmen ist. Aktuell liege der Umsatz bei rund 10 Millionen Euro.
Die weltweit stark steigende Nachfrage in nahezu allen Produktbereichen erfordert für die kommenden Jahre eine umfassende und globale Expansionsstrategie, um die enormen Potenziale in Europa, Asien und Amerika schnellstmöglich weiter zu erschließen.”
achim Gauss, Geschäftsführer Technik und Vertrieb.
Die Erweiterung der Kapazitäten in Rheinau sei ein wichtiger Meilenstein in der kontinuierlichen Wachstumsstrategie der Gruppe. Zu dieser gehören auch die jüngst eröffneten Produktionsstätten Jintan Changzhou (China) und Pune (Indien). Diese Maßnahme ermögliche es, neue internationale Märkte zu erschließen und die Kunden vor Ort schnell und effektiv zu bedienen. „Die weltweit stark steigende Nachfrage in nahezu allen Produktbereichen erfordert für die kommenden Jahre eine umfassende und globale Expansionsstrategie, um die enormen Potenziale in Europa, Asien und Amerika schnellstmöglich weiter zu erschließen“, erklärt Achim Gauss, Geschäftsführer Technik und Vertrieb. Perspektivisch sei sein Ziel, in den drei Kontinenten jeweils gleich viele Marktanteile zu erreichen.
Am Anfang waren die Tüftler
Das Unternehmen wächst von Beginn an. Angefangen hat alles vor mehr als 40 Jahren in einem zur Garage umgebauten Kuhstall. Günther Zimmer beschreibt auf der Firmenwebseite, wie er Ende der Siebzigerjahre einen verfallenen Bauernhof kaufte und eigentlich Landwirt werden wollte. Um das Darlehen für den Hof abzuzahlen, startete er einen kleinen Betrieb für Metallverarbeitung und richtete dafür im Kuhstall eine Werkstatt ein. Er fertigte zunächst für umliegende Kunden Dreh- und Frästeile, Spezialpaletten und Regale aus Edelstahlrohr, eine Stuhlbeinpresse sowie automatische Bohreinheiten für diverse Möbelwerke. Gemeinsam mit seinem Vater Herbert und seinem Bruder Martin tüftelten sie an einem standardisierten Greifer, der Fertigungsprozesse in der Industrie erleichtern und sich vielseitig einsetzen lassen sollte. Diese Idee sorgte für den Durchbruch. Zeitgleich mit der Entwicklung und Umsetzung der ersten Greifer stieg sein Bruder Martin als Miteigentümer in das Geschäft ein.
Heute beschäftigt Zimmer rund 1300 Mitarbeitende. Weltweit gibt es 17 Vertriebsstandorte und 110 Handelspartner. Am Hauptsitz in Rheinau arbeiten aktuell 1050 Menschen, darunter 70 Auszubildende. Für sie wird gerade ein neues Ausbildungszentrum eingerichtet, das mit Beginn des nächsten Lehrjahres im September bezugsfertig ist. Die Zimmer Group verzeichnete 2023 einen Umsatz von 177 Millionen Euro. Für 2030 liegt die Prognose bei einem Umsatzplus von 69 Prozent. Mit Jonas Zimmer ist die nächste Generation längst am Start. Und er ist nicht der einzige, insgesamt sind zehn Familienangehörige im Unternehmen tätig.
Produktentwicklungen in der Automatisierungs- und Handhabungstechnik sorgten für stetes Wachstum. Im Laufe der Jahre entstand ein Portfolio mit aktuell 13.100 Standardprodukten. Die Stoßdämpfer für Führungsschienen in Küchenschubladen entstanden Ende der Neunzigerjahre. Heute zählt Zimmer mit den Dämpfungssystemen und ihren Soft-Close-Produkten nach eigenen Angaben zu den Weltmarktführern in dem Bereich Dämpfungstechnik und beliefert nahezu alle großen Beschlags- und Möbelhersteller. 90 Millionen Dämpfer werden jährlich ausgeliefert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sehr viele eine Zimmer-Entwicklung zu Hause in der Schublade haben.