Der Freiburger Koch zeigt im Interview mit Netzwerk Südbaden eine bislang nahezu unbekannte Seite und erzählt, wie er trotz vieler Steine, die ihm das Leben vor die Füße warf, so erfolgreich werden konnte.
Text: Julia Donáth-Kneer • Fotos: Santiago Fanego
Ben Kindler kommt rein, als sei das genauso inszeniert. Er trägt eine große Kiste mit frischem Gemüse, hat ein Kochbuch unter den Arm geklemmt und führt seinen jüngsten Sohn an der Hand. Wir stehen in der Ben Kindler Kochschule, dem Signature-Unternehmen, das er seit 14 Jahren mit aktuell 15 Mitarbeitenden betreibt. Kaum angekommen, wirbelt er herum, kocht Espresso, versorgt seine Kinder – seine zwei jüngsten haben kitabeziehungsweise Schulfrei – packt das Gemüse aus, verräumt den Karton mit den Kochbüchern. Sein viertes ist gerade erschienen, heute kamen einige Exemplare per Post.
So unbeschwert ist der Koch nicht immer. Ben Kindler, Lausbubenlächeln und Erstklässlerfrisur, hat vor Kurzem eine neue Seite von sich gezeigt. Auf der Freiburger Talkveranstaltung TEDx ließ er tief hinter seine Fassade blicken, erzählte öffentlich von einer furchtbaren Kindheit voller Schläge, Erniedrigungen und Strafen. „Ich hatte als Kind wahnsinnig Angst vor meinem Vater“, sagte Ben auf der Bühne. „Er war gewalttätig, aggressiv, ein Narzisst. Nie wusste man, wann er das nächste Mal ausrastet.“ Der Vater, ein Musiker, wollte aus Ben einen Cellisten machen. Für jeden falschen Ton beim Cellounterricht hagelte es Schläge. So ging es fast acht Jahre lang. „Ich war hilflos, allein, ich hatte permanent Angst.“ Dann kam der Moment, als er zurückschlug. „Mein Befreiungsschlag“, sagt er dazu. „Das hat mein Leben verändert.“
Warum spricht er auf einmal so offen über seine traumatische Kindheit? Ben Kindler überlegt kurz, kocht noch einen Espresso. „Aus etwas Schlechtem etwas Gutes zu machen, das ist mein Antrieb. Es gibt noch eine andere Seite und es ist okay, die auch zu zeigen. Das kann vielleicht andere inspirieren, die auch Mist erleben“, erzählt er dann. „Ich hatte eine Scheißkindheit und habe mich dennoch nicht unterkriegen lassen. Ich bin Koch geworden und war von Anfang an erfolgreich, auch wenn es verdammt hart war.“ Er schmiss das Gymnasium nach der zehnten Klasse, bewarb sich heimlich in einem Freiburger Sternerestaurant als Lehrling. „Zu Hause war der Teufel los, ich hätte studieren sollen“, erinnert er sich. Doch er schloss die Ausbildung als Jahrgangsbester ab und reiste danach durch die Küchen der Welt: Bali, Dubai, Thailand. Mit 25 Jahren war er Küchenchef in einem der besten Restaurants der Schweiz. Stress pur: 80 Wochenstunden, mehr Druck, noch mehr Arbeit, mehr Alkohol, mehr Drogen. „So was kennt man aus Filmen, bei mir war es Realität. Ich war permanent im Rausch, außer Montag, da war Ruhetag“, sagt er. Immer, wenn der Rausch vorbei war, habe er sich hilflos und allein gefühlt – wie damals als Kind. „Ich habe gespürt, dass da noch etwas anderes sein muss. Ich wollte erfolgreich UND glücklich sein.“ Also krempelte er sein Leben um, eröffnete die Kochschule, begann Kochbücher zu schreiben, bekam Kinder.
„So was kennt man aus Filmen, bei mir war es Realität. Ich war permanent im Rausch, außer Montag, da war Ruhetag“
Heute hat er eine Scheidung hinter sich und lebt in einer Patchworkbeziehung mit insgesamt fünf Kindern. Im Frühjahr hat er seinen Laden „Küchengeschichten“ in der Freiburger Schusterstraße geschlossen. Nicht, weil er nicht rentabel gewesen sei, sondern, weil er kein Einzelhändler sein will. „Du brauchst viel Zeit und gutes Personal, das sich um das Geschäft kümmert. Das erfordert viel mehr Unternehmersein, als Koch und Autor zu sein – wie in der Kochschule. Und das mache ich einfach viel lieber“, findet er. Ein anderer Punkt: „Mit dem Laden waren wir an Öffnungszeiten gebunden, da geht die ganze Flexibilität flöten.“ Jetzt kann er sich wieder austoben, vor allem, was das kreative Arbeiten angeht. „Wenn ich die ganze Zeit nur unternehmerische Dinge managen muss, dann fehlt mir die Zeit für meine Leidenschaft: einkaufen, ausprobieren, Rezepte schreiben.“
Ende August war Ben Kindler mit einer Gruppe auf Gourmetreise in Thailand. Die dortige Kochschule befindet sich auf der Dachterrasse seines Lieblingshotels in Bangkok. Die nächste Reise ist für Ende Februar/Anfang März geplant.