Das Freiburger Social Innovation Lab begleitet Gründerinnen und Gründer von der Idee bis zur Umsetzung. Zudem unterstützen sie Wohlfahrtsorganisationen und Unternehmen beim Aufbau von Geschäftsfeldern und Projekten mit sozialem Gehalt für gesellschaftlich benachteiligte Menschen.
Text: Christine Weis | Fotos: Felicitas Mahler
Soziales Problem erkannt, Lösung gefunden, umgesetzt und nachhaltig verankert. So läuft es im besten Fall, wie dieses Beispiel zeigt: Es gibt viele alleinstehende alte Menschen, die auf Unterstützung im Alltag angewiesen sind. Und es gibt viele Menschen, die zwar helfen, aber dabei flexibel und ungebunden sein wollen. Die App Hilver bringt die Hilfsbedürftigen und Ehrenamtlichen zusammen. Es geht um einfache Hilfen wie Einkaufen, Fahrten zum Arzt oder kleine Reparaturen für die Dauer von maximal zwei Stunden. Thomas Walter, Geschäftsführer eines Unternehmens für Sicherheitstechnik aus Ötigheim bei Rastatt hat die App erfunden. Lizenz und Aufwandgebühr zahlt die Kommune, bei der sich die Freiwilligen mit Führungszeugnis registrieren müssen. Hilver gibt es seit zwei Jahren. Fünfzehn Kommunen bieten die Plattform ihren Bürgerinnen und Bürgern an, darunter Gaggenau, Heidelberg, Baden-Baden und Ötigheim.
An der Umsetzung der Helfer-App war das Freiburger Social Innovation Lab (SIL) beteiligt. Denn Thomas Walter brauchte Unterstützung und nahm gemeinsam mit dem Landkreis Rastatt als Partner an mehreren Programmen des SIL teil. Dabei ging es um Zielgruppenanalyse, Finanzierung durch Fördergelder und um die Weiterentwicklung des Produkts.
Das SIL mit aktuell zwölf Mitarbeitenden hat seinen Sitz in Freiburgs Kreativpark Lokhalle auf dem Güterbahnhofareal. Es finanziert sich hauptsächlich über öffentliche Fördermittel sowie Stiftungsgelder und ist Teil des gemeinnützigen Vereins Grünhof. Nicht zu verwechseln mit der Grünhof GmbH, zu der Coworking- und Eventlocations, das Café Pow, die Grünhof 3000 GmbH mit der Unternehmensberatung Machn sowie der Smart Green Accelerator gehören. Doch sie alle bilden ein dichtes Netzwerk und profitieren von den wertvollen Synergien, erklärt Jella Riesterer. Sie ist geschäftsführende Vorständin des Grünhof-Vereins und des SIL. Im Gespräch erläutert sie, worum es bei ihrer Arbeit geht: „Wir begleiten und beraten Gründerinnen und Gründer wie auch Unternehmen beim Aufbau eines soziales Geschäftsmodells. Wohlfahrtsorganisationen wie Caritas, Arbeiterwohlfahrt oder auch Ministerien und Kommunen helfen wir dabei, ihre Arbeit innovativer und zielgruppenspezifischer zu gestalten.“ Indirekte Zielgruppe sind immer gesellschaftlich benachteiligte Menschen, etwa mit einer Behinderung, mit Migrationshintergrund, Jugendliche aus prekären Verhältnissen, Kranke oder Pflegebedürftige.
Sozial wirtschaften in Unternehmen
Hansgrohe ist eines der Unternehmen, das vom SIL beraten wurde. Der global agierende Badhersteller aus Schiltach baut in Uganda und Kenia einen Markt für ein neues Produkt auf, das soziale und wirtschaftliche Interessen verbinden soll. Wie das Produkt konkret aussieht, wird noch nicht kommuniziert, nur so viel: Es ist eine Entwicklung, die einen würdevollen Zugang zu Hygiene und Wasser in strukturschwachen Regionen ermöglichen soll. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um eine Dusche handelt. Jessica Trejo, Social Innovation Managerin bei Hansgrohe, hat das Projekt initiiert und präsentierte es beim Käpsele Innovation Festival im Juli auf dem Freiburger ZMF-Gelände. Dabei erläuterte sie, dass die Verbesserung der Lebensqualität mit dem Ausbau eines Marktfeldes Hand in Hand ginge. „Hansgrohe verbindet das soziale Engagement mit dem, was sie gut können, nämlich Wasser anschließen“, bestätigt die SIL-Chefin Jella Riesterer und ergänzt: „Eine benachteiligte Zielgruppe in den Fokus zu nehmen, die wenig Kaufkraft hat und der bis dato wenig Aufmerksamkeit zukam, ist vorbildhaft und in dem Sinne ein mutiges und inspirierendes Beispiel.“ Denn nicht Gewinnmaximierung war der Antrieb, sondern die Daseinsfürsorge. Die steht im Businessplan, gleichwohl sich das Angebot wirtschaftlich tragen soll. „Unternehmerisches Denken mit sozialen Anliegen zu koppeln, ist die Herausforderung, bei der wir unsere Expertise einbringen“, sagt Riesterer. Nach ihrer Überzeugung sollten sich dieser Herausforderung alle Unternehmen im Zuge der stattfindenden Transformation stellen. „Aufgrund von Klimawandel, Demografie, Kriegen und einer wachsenden Ungleichheit müssen sich Werte und Handlungsweisen verändern“, sagt Riesterer, die Soziologie und Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Non-Profit-Management studierte.
„Hansgrohe verbindet dassoziale Engagement mit dem, was sie gut können, nämlich Wasser anschließen.“
Jella Riesterer
Und die EU-Richtlinie zur ESG-Berichterstattung (Environmental, Social, Governance) fordert nachhaltiges Handeln in den Bereichen Umwelt, Soziales, Unternehmensführung. „Der politische Druck macht die Unternehmen kreativ und fördert den sozialen Spirit“, sagt Riesterer. Doch weder Politik noch einzelne Akteure könnten die komplexen Veränderungsprozesse und gesellschaftlichen Probleme in den Griff bekommen, dafür brauche es eine sektorenübergreifende Mission.
Start-ups mit sozialen Ideen
Ganz ohne Druck, einfach aus eigenem Antrieb bewerben sich jährlich rund vierzig Teams oder Einzelpersonen um einen der acht bis zwölf Plätze des Sozialstarterprogramms. Wer es geschafft hat, durchläuft ein kostenloses, sechsmonatiges, professionelles Coaching in sozialunternehmerischen und gemeinwohlorientierten Kompetenzen mit Zielgruppenorientierung, Projektmanagement, Social Entrepreneurship und Geschäftsmodellentwicklung. Zudem wird ein Prototyp erstellt, der später zu einer Dienstleistung oder einem Produkt weiterentwickelt werden kann. Ziel ist ein Geschäftsmodell, das Jobs generiert und Bestand hat. Die Quote kann sich sehen lassen, von den rund 200 Sozialstartern waren etwa 80 Prozent nach vier Jahren noch aktiv.
„Bei uns muss man erst die Arbeit machen, um dann Gelder zu generieren. Anders als beim klassischen Start-up, wo man erst Geld für die Umsetzung der Idee sammelt und dann loslegt“, erklärt Corinna Kämpfe. Die 33-jährige Sportwissenschaftlerin leitet das Programm. Auffallend viele Projekte haben mit Sport zu tun, wie Bike Bridge. Der Verein bietet kostenfreie Fahrradkurse für Frauen mit Migrations- und Fluchterfahrungen an. Das Fahrrad ist dabei ein Vehikel gegen soziale Ausgrenzung und Isolation. Die anfängliche Zielgruppe wurde erweitert. So gibt es das Rikscha-Projekt, bei dem Menschen in Altersheimen zu Fahrradausflügen abgeholt werden. „Sport bringt Menschen leicht zusammen und ist ein guter Motivator“, sagt Kämpfe.
„Bei uns muss man erst dieArbeit machen, um dann Gelder zu generieren. Anders als beim klassischen Startup, wo man erst Geld für die Umsetzung der Idee sammelt und dann loslegt.„
Corinna Kämpfe
Die Gründungsideen sind sehr breit gefächert. Sie reichen im diesjährigen Programm von Workshops gegen Einsamkeit über ein digitales Lerncoaching für Auszubildende in Pflegeberufen bis zu einer App, die Bewerbungsunterlagen für Menschen mit Migrationshintergrund übersetzt. „Wir bleiben mit den meisten der Gründerinnen und Gründern auch nach dem Programm weiterhin in Kontakt und schaffen so ein immer größer werdendes Netzwerk“, sagt Corinna Kämpfe.
Sie nennt zwei weitere Projekte, die sowohl das Spektrum der benachteiligten Zielgruppen und der Engagierten zeigen soll. Die Evangelische Altenhilfe in St. Georgen im Schwarzwald etablierte die „Auszeit“ – ein Urlaubskonzept für Pflegende. Niklas Schäfer und Holger Bauer aus Freiburg erfanden einen wetterbeständigen, geschützten Tisch, um das Wickeln im öffentlichen Raum familienfreundlicher zu gestalten. Mittlerweile sei das Wickelboard deutschlandweit gefragt. Ähnlich wie die App Hilver und all die anderen sozialen Start-ups kann diese Lösung dazu beitragen, die Welt sozialer zu machen.