Jahrhundertelang nutzten Menschen für Häuser, Kirchen und andere Bauten Rohstoffe aus der Region. Dann verdrängte billigerer Beton die heimischen Steine. Die Firma Nuvolin baut heute gleichwohl noch Buntsandstein ab. Er wird hauptsächlich in der Denkmalpflege etwa fürs Freiburger Münster verwendet. Ein Besuch im Steinbruch.
Text: Kathrin Ermert • Fotos: Alex Dietrich
Uwe Zäh hat einen Einkaufszettel dabei. Eine lange Liste voller unterschiedlicher Maße und Materialeigenschaften. Mit dem Ausdruck in der Hand und Gummistiefeln an den Füßen stapft er hinter Thomas Nuvolin her. Der Seniorchef des gleichnamigen Betriebs zeigt dem Meister der Freiburger Münsterhütte, welche Steine er künftig im Angebot hat. Noch sind sie Teil eines Bergs im östlichen Teil des Bleichtals zwischen Kenzingen und Herbolzheim. Dreizehn Meter ragt die rote Wand des Steinbruchs Goldbrunnen in die Höhe. Ein Teil leuchtet besonders glatt und sauber. Hier hat Nuvolins Team erst vor wenigen Wochen eine Scheibe abgeschnitten. Eine diamantbesetzte Seilsäge hat sich, angetrieben von einem Schwungrad, durch den Berg gearbeitet.
Die Säge benötigt viel Wasser, deshalb haben sich große Pfützen gebildet, und die Füße der Herren versinken im roten Matsch, während ihr Blick die Wand hochwandert. „Wir brauchen die Filetstücke, und die legt Nuvolin uns zurück“, erklärt Uwe Zäh. Er arbeitet mit seinem 17-köpfigen Steinmetzteam fortlaufend an Giebeln, Bögen, Pfeilern und anderen Ersatzteilen fürs Freiburger Münster samt den originalgetreuen Dekoren wie Rosetten, Blättern oder Figuren. Dafür braucht es besondere Steine. „Das Münster ist so ein hochwertiger Bau, da kann man keine Kompromisse machen“, sagt Zäh. Das verstehen die Nuvolins, weil sie wie er Steinmetze, Bildhauer und Restauratoren sind.
„Wir sind einen Monat im Jahr geballt hier, dann lassen wir den Steinbruch wieder in Ruhe.“
Enrico Nuvolin
Thomas Nuvolin leitet gemeinsam mit seinem Cousin Axel und seinem Sohn Enrico die Steinmetzwerkstatt, die sein Großvater Aurelio Nuvolin 1948 in Lahr gegründet hat. Dessen Vater war als Gastarbeiter aus Norditalien in Granitbrüche im Odenwald gekommen. Seit 1988 gehört der Steinbruch im Bleichtal zum Familienunternehmen, seither betreiben die Nuvolins auch den Standort Kenzingen. Und derzeit planen sie, den deutlich größeren Sandsteinbruch in Lahr-Kuhbach zu erweitern. Den nutzte früher die Firma Göhring, die Nuvolin Ende 2020 übernommen hat.
Bergbau und Naturschutz
Hüttenmeister Zäh hat sich für seinen Besuch im Bleichtal fachliche Verstärkung mitgebracht: Wolfgang Werner kennt die Steinbrüche der Region und das Material des Münsters wohl wie kaum ein Zweiter. Der promovierte Geologe hat viele Jahre im Landesamt für Geologie gearbeitet, engagiert sich seit Langem in der baulichen Denkmalpflege und lässt es sich auch im Ruhestand nicht nehmen, seine Expertise einzubringen. Er kann Vorträge über Körnung, Quarzanteil oder Alter des Sandsteins halten und weiß, welcher Stein sich für welchen Zweck eignet, sodass die Münstersteinmetze möglichst auf keine Luftlöcher oder weiche Toneinschlüsse stoßen. Was die Nuvolins ihnen zeigen, gefällt Werner und Zäh. Der Buntsandstein im Goldbrunnen zeichnet sich durch einen hohen Quarzanteil und große Poren aus, das macht ihn witterungsbeständig.
Das Münster braucht indes nicht viel davon, und überhaupt fördert der Steinbruch Goldbrunnen keine großen Mengen – darf er auch nicht, denn er liegt in einem Naturschutzgebiet. Das kürzlich entnommene Stück wiegt rund 150 Tonnen, misst etwa 50 Kubikmeter und entspricht damit der jährlichen Höchstmenge, die die Firma Nuvolin abbauen darf. Zum Vergleich: Für den gesamten Bau des Freiburger Münsters benötigte man im Laufe der Jahrhunderte schätzungsweise 40.000 Kubikmeter Sandstein. Der kam vorwiegend aus rund 20 verschiedenen Steinbrüchen der Region. Im Bleichtal gab es früher etwa ein halbes Dutzend samt Schmieden. Hunderte Männer fuhren dort täglich zur Arbeit.
Jahrzehntelang lagen die Steinbrüche brach, ehe die Familie Nuvolin 1988 begann, im kleinen Maßstab wieder Sandstein abzubauen. Zuvor hatte sie Biotope verlegt und den Baumbestand ausgedünnt, damit Nistvögel umsiedeln konnten. Wegen des Naturschutzes gibt es im Steinbruch weder Strom- noch Wasserleitungen. Nuvolin arbeitet mit Aggregaten und sammelt Regenwasser in Gruben. „Wir sind einen Monat im Jahr geballt hier, dann lassen wir den Steinbruch wieder in Ruhe“, erklärt Juniorchef Enrico Nuvolin. So klappt der Kompromiss zwischen Natur und Bergbau. Das Landratsamt ist sehr zufrieden, weil sich sogar neue Tiere im Steinbruch Goldbrunnen ansiedeln. Deshalb durfte die Firma Nuvolin ihr Abbaurecht gerade wieder um zehn Jahre verlängern.
Denkmalpflege, Grabmäler und Handel
Enrico Nuvolin kennt nur wenige andere Steinmetzbetriebe, die selbst Steinbrüche betreiben. Den überwiegenden Teil des Materials nutzen sie für den eigenen Bedarf. Den Rest verkaufen die Nuvolins an Kollegen zwischen Karlsruhe und Basel. Die Freiburger Münsterbauhütte zählt von Anfang an zu den Kunden, wobei die Menge schwankt. Seit Kurzem bestellt sie wieder mehr. Umgekehrt kauft auch die Firma Nuvolin selbst Material ein – beispielsweise Sandstein aus dem Elsass, wo ein fast identischer wie der Bleichtäler in deutlich größerem Maße auch unter Tage gefördert wird, dazu kommt vor allem Granit von überall auf der Welt. Daraus werden die meisten Grabmäler gemacht. Das ist, wie bei fast allen Steinmetzbetrieben, auch bei der Firma Nuvolin mit ihren insgesamt 15 Mitarbeitenden ein Standbein.
Das andere: Sie saniert und restauriert Treppen, Türen oder Mauern, Böden und Figuren in historischen Gebäuden. Diese Arbeit ist handwerklich und künstlerisch zugleich, wie eine große Sammlung von Statuen in der Werkstatt zeigt. Heute legen die Auftraggeber wieder mehr Wert auf Originalmaterialien und -handwerk, nachdem in den 1970er-Jahren sogar Christus- und Marienfiguren aus Beton gegossen wurden. Grabmäler und Denkmalpflege tragen jeweils etwa 40 Prozent zum Umsatz von Nuvolin bei, der Handel mit Steinen die restlichen 20 Prozent. „Unser Vorteil ist, dass wir Blöcke schneiden können“, sagt Thomas Nuvolin. „Das machen wir auch für Kollegen.“ Je nach Wunsch in kleine oder große Platten und Würfel. Die dafür nötigen Maschinen stehen in Kenzingen.
Dort wartet auch schon ein großer Würfel des frisch geschnittenen Sandsteins auf die Weiterverarbeitung. Ein Teil des gut zehn Tonnen schweren Stücks soll am Freiburger Münster verbaut werden. Wenn er Zeit hat, bringt Enrico Nuvolin die Steine selbst in die Münsterbauhütte nach Freiburg. Dann kann Hüttenmeister Uwe Zäh einige Posten von seiner Einkaufsliste streichen.