Die Natur macht es der Technik vor: Der Pavillon im Botanischen Garten in Freiburg ist von der Struktur des Kakteenholzes inspiriert und aus nachwachsenden Pflanzenfasern gefertigt. Ein Modell mit Zukunft.
Text: Christine Weis
Neben Holz werden im Bauwesen auch andere nachwachsende Rohstoffe wie Lehm, Stroh oder Hanf verwendet. Noch relativ unbekannt ist Flachs. Gewöhnlich wird aus der Pflanze Leinenstoff hergestellt. Seit zwei Jahren steht im Botanischen Garten in Freiburg ein Gartenhaus aus dem fasrigen Rohstoff, das in seiner Art einzigartig ist. Das Modell kann in verschiedenen, skalierbaren Varianten von einem Stuttgarter Unternehmen „FibR“ innerhalb weniger Monate gefertigt und aufgebaut werden.
Die Idee für diese ultraleichte Baukonstruktion aus Pflanzenfasern kam dem Leiter des Botanischen Gartens, Thomas Speck, während einer Exkursion in der Sonora-Wüste in den USA. Dort wachsen große Säulenkakteen. „An den hohlen Holzkörpern abgestorbener Exemplare konnte man die dicht verzweigte, netzartige Faserstruktur sehr gut erkennen“, berichtet der Biologieprofessor. „Als ich einen abgebrochenen Ast aufhob, war ich erstaunt, wie leicht und dennoch stabil er war.“ Ihm wurde klar: Nicht das Gewicht des Materials, sondern dessen Struktur sorgt für die Stabilität. Mit dieser Inspiration kam Speck zurück. Das Prinzip des Lernens von der Natur für technische Anwendungen, die sogenannte Bionik ist einer von Specks Forschungsschwerpunkten.
Zusammen mit seinen Kollegen Achim Menges vom Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) und Jan Knippers vom Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) der Universität Stuttgart sowie den Biologinnen und Biologen des Exzellenzclusters livMats (Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems) der Universität Freiburg entwickelte Speck daraufhin den Pavillon aus Flachs- und Sisalfasern. Er ist weltweit das erste Gebäude, dessen tragende Struktur ausschließlich aus gewickelten Flachsfasern besteht, durchmischt mit Sisalschnüren, gehärtet mit Harz und überzogen mit einer Polycarbonat-Hülle. Den computergestützten Entwurf hat ein Roboter auf einen Wickelrahmen umgesetzt, sodass der Bau ohne Abfall oder Verschnitt aus Flachsbündeln entstehen konnte. Die 15 Elemente des Pavillons sind jeweils rund fünf Meter lang und decken eine Gesamtfläche von 46 Quadratmetern ab. Er wiegt lediglich 1,5 Tonnen, entspricht den gültigen Bauvorschriften und kann 15 bis 20 Jahre genutzt werden.
Alte Nutzpflanze mit modernen Methoden verarbeitet
Das Vorbild für die Konstruktion kam von den Kakteen. Doch warum hat sich Speck für Flachs als Baustoff entschieden? „Wir wollten ein biobasiertes Material, aber kein Holz“, erklärt der Biologe. Flachs sei eine der ältesten Nutzpflanzen der Menschheit und habe zahlreiche Vorteile: Er ist anspruchslos im Anbau, robust gegenüber Schädlingen und hat eine extrem kurze Umtriebszeit. An manchen Standorten könne man ihn sogar zweimal im Jahr ernten. Zudem konkurriere er nicht mit Nahrungsmitteln, da er auf Böden und in Klimazonen wachsen kann, wo Getreide oder Kartoffeln nicht gedeihen – etwa im Schwarzwald oder in Norddeutschland.
Der Entwicklungsprozess war jedoch komplexer als es klingt und dauerte einige Jahre. Zunächst wurde die Netzstruktur der Kakteen mithilfe verschiedener Analyseverfahren genau untersucht und mechanisch nachgebaut, um sie dann auf Leichtbauelemente zu übertragen. Erst anschließend konnte die Herstellung beginnen. Mit dem Ergebnis ist Thomas Speck sehr zufrieden: „Der Pavillon hat eine gute Akustik und eine ansprechende Ästhetik“. Er wird als Meeting- und Lehrraum für Schulklassen und Studierende sowie für Veranstaltungen genutzt und auch einfach als Ort der Ruhe für Gäste des Botanischen Gartens. Speck sieht viele Einsatzmöglichkeiten für Flachspavillons, etwa in Parks, auf öffentlichen Plätzen oder in den Außenanlagen von Gasthäusern.
Kann Flachs auch für den Wohnungsbau eingesetzt werden? Erste Überlegungen gebe es bereits, etwa für Aufbauten auf Flachdächern zur Schaffung von Freizeiträumen. Kommunale Bauentwickler aus Berlin und Brandenburg haben sich schon mehrfach in Freiburg informiert – vor allem, weil sie nach Leichtbauweisen zur Aufstockung bestehender Gebäude zur Nachverdichtung suchen. Der sandige Untergrund in diesen Regionen erlaubt oft keine schweren Lasten, weshalb der leichte Flachsbau eine vielversprechende Alternative bietet, erläutert Thomas Speck. Für ihn ist das Bauwerk auch ein Statement: „Mit dem Pavillon setzen wir ein Zeichen für die Renaissance alter, nachhaltiger Nutzpflanzen und zeigen, dass Flachs ein nachwachsender Baustoff ist, der in manchen Bereichen eine Alternative zu Beton und Plastik sein kann.“
Biologe Thomas Speck ist Direktor des Botanischen Gartens in Freiburg. Er plädiert dafür, alte Pflanzenarten wie Flachs oder die kaum noch bekannte Ramie, aus der früher Kartoffelsäcke gewebt wurden, stärker zu nutzen.
Foto: Petra Völzing