Vermutlich dürften Ihr derzeit wieder mehr Menschen die Frage stellen, wie man denn mit einem Land wie Russland verlässlich Geschäfte anbahnen und abwickeln kann. Die gut überlegten Antworten von Karin van Mourik, Freiburger Unternehmerin und in gewissem Sinne auch Diplomatin, greifen auf ihre mehr als 30-jährige Erfahrung zurück: Dabei hat sie gelernt, langwierige Beziehungen zu schaffen, in denen sie Russen als „ganz treue Geschäftspartner“ kennen gelernt habe – „Russen wollen Beziehungen, nicht nur ein Geschäft“ lautet die Essenz jahrzehntelanger Beratungen, Firmengründungen und Repräsentanzen, die sie teilweise bis zu dreimal im Monat in die ehemalige Sowjetunion führen.
Angefangen hat dies während ihres Slawistik-Studiums, das die gebürtige Freiburgerin in ihrer Heimatstadt abgeschlossen hat. 1977 war das und ihre folgenden Tätigkeiten für eigene und fremde Medizinfirmen, aber auch im kulturellen Austausch, erlebten in den folgenden Jahren sämtliche politischen Wendungen, die die Nachkriegszeit im Osten bereit hielt: Die Anfänge als Dolmetscherin erlebte sie noch in den Zeiten der Diktatur, ihre erste Ehe schloss sie dort unter einem Porträt von Wladimir Lenin. Anschließend der Zusammenbruch der Warschauer-Pakt-Regimes, nachdem sie bereits 1992 ihr erstes Joint-Venture in Moskau zur Vertretung der Freiburger Medizinfirma Hellige in Russland schloss. In den Folgejahren gründete sie sechs Firmen und zwei Repräsentanzen mit bis zu 28 Angestellten.
In dieser Zeit hat sie Krankenhäuser in ganz Russland eingerichtet und Delegationen von dort durch ganz Deutschland geführt. Sie erinnert sich an „eine verrückte Zeit“, in der viele Wachleute die neu eröffneten Niederlassungen schützen mussten und es schwerer als heute war, ins Geschäft zu kommen: „Mittlerweile gibt es einen regulierten Gesundheitsmarkt, bei dem alles über Ausschreibungen läuft“, sagt van Mourik über den Vergleich mit dem heutigen Russland.
Karin van Mourik wusste, wie sich trotz der instabilen Geschäftswelt dort vertraglich wirksame Beziehungen und Gründungen aufbauen ließen. Internationale Beratungsleistungen ließen nicht lange auf sich warten, sie sammelte Erfahrungen mit der spezifischen Registrierung von Produkten in Russland. Oft blieb es nicht bei der Beratung, sondern es kam zu einem weiter gehenden Einstieg. Ihre Erkenntnis, was es für die Etablierung von Firmen im Osten Europas braucht, klingt so einfach wie aufwändig: „Zeit, Power, Budget“.
Geduld und Kraft sollte sie in der kommenden Zeit noch oft einsetzen müssen. Wenn sie ihre Erfahrungen mit dem Land beschreibt, formen ihre Hände eine Welle, die signalisiert: Ups and downs, Achterbahnfahrten. Sie kennt das in Teilen korrupte System der jungen Demokratie ebenso wie das Sanktionen unterworfene Russland der Gegenwart. Ihr kulturelles Interesse ist indes groß genug, um ihr Engagement nie in Frage zu stellen. Als Vorbild fürs unermüdliche Weiterkämpfen nennt sie Abraham Lincoln. Neben den Geschäften engagiert sie sich für den kulturellen Austausch zwischen Russland und Deutschland und für das Andenken der Dichterin Marina Zwetajewa in deren Wahlheimat Freiburg. Im September 2015 erhielt sie in Sankt Petersburg zwei wichtige Preise für ihren langjährigen Beitrag zur interkulturellen Verständigung und für ihr Engagement im Gesundheitswesen aus der Hand der dritthöchsten Politikerin im Staat, Valentina Matvienko. Rund sieben, teils hochrangige Ämter und Auszeichnungen in unterschiedlichsten Institutionen verzeichnet ihre Vita.
Heute betreibt sie neben Beratungsleistungen eine Medizinfirma für Hörimplantate in Russland, in der sechs Mitarbeiter am Hauptsitz in Moskau und in den Städten Ufa und Kasan tätig sind, letztere im mittleren Osten des Landes, nahe Kasachstan. Von ihrem kleinen repräsentativen Büro im innerstädtischen Freiburger Friedrichsbau steuert sie die Geschäfte. Für ihr Engagement mit ihrer eigenen russischen Stiftung für taube Kinder wurde ihr 2008 die Ehrendoktorwürde der Staatlichen Medizinischen Universität der Republik Baschkortostan verliehen.
Die Jahre unter Putin hätten, wenn man zur Eingangsfrage zurück kehrt, eine deutliche Stabilisierung der Wirtschaft gebracht, eine Mittelschicht habe sich etabliert, die mehr Sicherheit im privaten Wohlstand genieße. Das russische Selbstbild sei wieder gestärkt, allerdings auch zum Preis stärkerer Regulierung und eines sehr starken Staats.
Ihre jahrzehntelange Reise durch die Höhen und Tiefen der russischen Wirtschaft haben sie weder zum bedingungslosen Fan der russischen Regierung noch zur einseitigen Kritikerin des Landes gemacht. Man kann mit Karin van Mourik überaus differenziert über die Krim, die Meinungsfreiheit, die undemokratische Vergangenheit des Landes sprechen, die gegenwärtigen Sanktionen, ja sogar das russische Männerselbstverständnis gegenüber Conchita Wurst, ohne auch nur eine schwarz-weiß-Meinung präsentiert zu bekommen. Überdies lässt sie den Gesprächspartner an keiner Stelle spüren, dass sie im Zweifel die weitaus größere Expertise mitbringt.
Mit kenntnisreicher Netzwerk-Arbeit hat sich die Unternehmerin auch die Internationalisierung im VdU auf die Fahnen geschrieben, in dem sie seit zehn Jahren engagiert ist, seit 2013 im Bundesvorstand. Gleich 2007 organisierte sie eine Reise für hiesige Geschäftsfrauen nach Russland, bei Weltverbandstreffen von Unternehmerinnen wie in Florenz, Prag und demnächst in Mexiko macht sie die gleiche Erfahrung, die auch die Freiburger Meetings ihrer Ansicht nach prägen: Dort herrsche die „gleiche Offenheit, es gibt Themen, die alle betreffen und dabei geht es nicht darum, Geschäfte anzubahnen, sondern um den Austausch“, sagt van Mourik.
Was sie bei ihrem Eintritt damals „überwältigt“ habe, seien die Persönlichkeiten von Unternehmerinnen, „die wie ich im Wind stehen“ und dies voller Energie und Selbständigkeit täten. Hinzu komme ein wertvoller Austausch dank der Transparenz, mit der Frauen erzählen, auch über die Brüche ihrer Berufsbiografie.
Als sie 2014 in Freiburg die Jubiläumsveranstaltung „60 Jahre VdU“ eröffnen durfte, sprach sie in ihrer Rede noch von Frauen als den „Jokern der deutschen Wirtschaft“. Schon damals ging nahezu die Hälfte aller Firmengründungen auf weibliche Initiative zurück. Würde sie diese Metapher, bekannt aus dem Sport vom späten Einwechseln oder aus dem Kartenspiel, heute noch verwenden? Karin van Mourik sagt, dass es heute wie damals um Frauen als Erfolgsgaranten gehe, diese aber inzwischen noch weiter seien im Selbstverständnis: „Sie konzentrieren sich aufs Wesentliche, nie die bloße Rolle des Frauseins.“
Es spiele übrigens auch in Russland nur eine untergeordnete Rolle, ob man als Unternehmer oder als Unternehmerin die Gespräche mit einheimischen Firmen und Institutionen führt. Karin van Mourik kann vielfältige Anekdoten zur Mentalität des Landes erzählen, keine rankt sich um feuchtfröhliche Wodka-Vertragsabschlüsse und andere Klischees, mit denen sie als Frau konfrontiert gewesen wäre. Denn über all die Wellenbewegungen in den Russland-Begegnungen hat sich für sie bis heute eine verlässliche Konstante gelegt: „Mir ist nie jemand auch nur eine Kopeke schuldig geblieben.“
Von Rudi Raschke
Erschienen in der Ausgabe vom 06/16