Am 15. Juli finden in St. Georgen erstmals die „Dual-Sessions“ statt. Ein spannendes Projekt rund um eine fast vergessene Industrie der Region – die Welt der Schallplatte.
Von Stephan Elsemann
Die Dual Sessions in Sankt Georgen im Schwarzwald dürften eine schöne Sache werden, ein Symposion zu Ehren der Schallplatte, die historische, technische, künstlerische und wirtschaftliche Aspekte zusammen bringt. Und viel Musik zu Gehör bringt. Was wäre ein besserer Ort für diese Feier als St. Georgen?
Gleich zwei berühmte Hersteller von Plattenspielern hatten dort ihren Sitz, Dual und Perpetuum Ebner. Vor allem Dual-Plattenspieler waren in den 60er und 70er Jahren quasi omnipräsent in deutschen Wohnzimmern, denn Dual produzierte sowohl Hochwertiges wie auch Massenware, anders als Thorens, die fast nur teure Plattenspieler herstellten. Mit Feldherrenblick hielt Herbert von Karajan die Lufthoheit über den Plattentellern in den Wohnzimmern. Aus den Boxen donnerte häufig eine Beethoven-Symphonie und mit seinem Taktstock gab der Maestro der Sehnsucht nach Autorität in der sittenlosen Nach-68er-Zeit etwas Halt.
Plattenspieler aus den 70er Jahren gehen nicht kaputt. Wer heute einen Dual-Plattenspieler aus dieser Zeit sein eigen nennt, sollte ihn behalten, denn seit einigen Jahren erlebt Analog-Audio eine Renaissance. Die Schallplatte, als Album, mit einer im besten Falle vom Musiker festgelegten Abfolge von Musikstücken, ist ein Gegenmodell zum Überangebot an Musik per Streaming oder der Verbreitung oder dem Tausch von gesichtslosen und nicht an einen materiellen Träger gebundenen Files und deren freier Kombination in Playlists. Bei Schallplatten mit ihren großen Covern ist das Album-Konzept konsequenter umgesetzt als bei der CD.
Und so kommt es, dass Presswerke wieder viel zu tun haben und es sind nicht nur nostalgische Sonderausgaben von Rockklassikern, die neu als schwarze Scheiben zu kaufen sind. Auch vor der aktuellen Renaissance war die Schallplatte niemals verschwunden. Im Gegenteil, Hiphop und Techno, die wichtigsten Innovationen der Pop-Musik der letzten vierzig Jahre wären ohne Plattenspieler und Vinyl undenkbar gewesen.
Bei den Dual-Sessions St. Georgen werden diese Aspekte in Vorträgen und Gesprächen am Vormittag beleuchtet werden. Hifi-Experten wie Norbert Kotschenreuther und Wolfgang Epting erzählen von der Geschichte des Musikhörens und seiner Technik. Am Nachmittag wird der Blick in Gegenwart und Zukunft des analogen Musikhörens gerichtet. Vorträge wechseln mit Performances ab.
Bei der Plenumsdiskussion wird unter anderem der bekannte Popliterat und Musikeer Thomas Meinicke mit am Tisch sitzen. Der britische Musiker Graham Dunning wird „Mechanical Techno“ performen. Mit manipulierten Schallplatten und Turntables erzeugt er in Kombination mit synthetischen Klangerzeugern mechanisch-konkret und elektronisch-abstrakt einen Sound, der an die Beats der urbanen Clubmusik erinnert.
Alexandre Bellenger aus Paris nutzt seine Turntables zu Improvisationen. Durch schnelles Cutten zwischen parallel laufenden Schallplatten und mit händischen Manipulationen wird seine Performance zum Spiel mit den vermeintlichen Begrenzungen vorgefertigten Materials. Plattenspieler und Schallplatte nähern sich dabei herkömmlichen Instrumenten an und werden gleichzeitig zum Mittel neuartiger Klanggestaltung. Die Organisatoren haben Erstaunliches geleistet, um künstlerische und fachliche Kompetenz in St. Georgen zu versammeln. Organisiert hat diesen vielversprechenden Tag eine Gruppe aus Künstlern und DJs aus der Region, darunter auch Sascha Brosamer, der selbst auch zum Abendprogramm beiträgt.
Das Programm – Dual Sessions
Am 15. Juli 2017 | Eintritt frei!
Hauptstraße 9
78112 St. Georgen
10:15 [ TRACK1]
Die Geschichte von Dual
und Perpetuum Ebner (PE)
Vortrag:
Norbert Kotschenreuther, Passau
Von der Langspielplatte zu Stereo: Record History
St. Georgen und die Phonoindustrie
Plenumsdiskussion:
Plattenspieler-Historie
Mit Wolfgang Epting (PE), Norbert Kotschenreuther und Andreas Schmauder (Phonopassion) u.a.
Vortrag:
Dominik Irtenkauf, Münster
Vinyltechniken – Plattenspieler als Schreibmaschine verstehen
14:00 [TRACK 2]
Retro und Zeitgeist:
Vinylkult und Turntablism heute
Vortrag:
Philipp Rhensius, Berlin
„In the 90s they danced like robots. Now they dance like humans trying
to be robots“
Hauntology und die Flucht in die
Vergangenheit
Performance:
Alexandre Bellenger, Paris
Werkvortrag:
Alexandre Bellenger
Performance:
„Turntablism“
Thomas Wilke, Ludwigsburg
Vortrag:
„DJ-Shows und Turntablism zwischen Kunst und alltäglicher Medienpraxis im Hip Hop“Thomas Wilke, Ludwigsburg
Vortrag:
„Rhythmic patterns from Turntables
and Records“, Karin Weissenbrunner, City University, London (Englisch)
Performance:
„Mechanical Techno“
Graham Dunning, London
Vortrag:
„Records, Art and Music“
Paul Nataraj, Manchester (Englisch)
Plenumsdiskussion
Mit Thomas Meinecke, Thomas Wilke u.a.
19:00 [TRACK 3 ]
Zeitgenössische Musik und andere Welten
Smaely P
Forest and Fields
Sascha Brosamer
Turntable Trasher, Paris
INRA
Dialectic Drone Dub, Berlin
Alexandre Bellenger
Paris
Schnitt
Live Vinyl Cutting Loops, Augsburg
Graham Dunning
Mechanical Techno, London
Thomas Meinecke
DJ-Set, Berg bei Eurasburg
Urte
DJ-Set, Freiburg
Dual Sessions
Deutsches Phonomuseum