Was bleibt? Mit elf Jahren ist die Ära Barbara Mundels am Freiburger Stadttheater die längste, die je ein Intendant oder eine Intendantin an diesem Haus seit 1911 hatte. Was war das Besondere?
Von Rudi Raschke
Es war ein Programm mit einer nie da gewesenen Fragmentierung der Sparten und Ideen. Eine Öffnung des Hauses in viele Richtungen. Eine, die vor allem die richtige Erkenntnis ausbreitete, dass im Publikum der „was-wird-heute-gegeben?“-Bildungsbürger so nicht mehr vorbeischaut. Aber ging von den arg selbstbewussten Slogans am Gebäude („Heart of the City“, „In welcher Zukunft wollen wir leben?“) tatsächlich jener „gemeinsame Energieschub“ aus, den Barbara Mundel sich bei ihrem Antritt gewünscht hatte?
Wer die elf Jahre nicht durch die Sektglas-Perspektive des Premierenparty-Journalismus betrachtet, sondern mit dem Blick des theaterbegeisterten Bürgers, der ab und an dort ein Ticket löst, kann sagen: Ging so.
Das Gefühl, etwas Besonderem beizuwohnen, etwas, was genau hier funktioniert UND eine starke künstlerische Position darstellt, gab es recht selten in der Ära Mundel. Berauschendes Theater, wie es zuletzt im benachbarten Basel mit der Inszenierung von Simon Stones „Drei Schwestern“ von Anton Tschechow zu erleben war, eigentlich gar nicht. Man musste sich das Mundel-Theater per mitgeliefertem Theorie-Überbau schön reden. Für Schöntrinken und -feiern war es oft zu blutleer.
Auf ihre eigenen Defizite angesprochen, antwortete die Intendantin jüngst in einer Tageszeitungs-Bilanz, die auch im Theater-Hausmagazin stehen hätte können: Sie habe die technischen Abteilungen zu sehr vernachlässigt. Echte Defizite wollten auch die Verfasser nicht erkennen. Sie beließen es bei der Wiedergabe von „total toll“- und „ziemlich toll“-Einschätzungen der scheidenden Chefin.
Dabei gäbe es durchaus Versäumnisse zu benennen, auf Verwaltungsebene die planlosen Vorgänge rund um die Nutzung der „Passage 46“ im Bauch des Hauses; die Reduktion auf eine 50-Prozent-Stelle für den Verwaltungsdirektor inmitten des Bühnenumbaus; der bis heute ungeklärte Vorgang um die Abgaben für Gastspiel-Einsätze am Haus.
Die wesentlichen Probleme dürften aber in der Selbstwahrnehmung des Hauses liegen, die vor allem am Ende offen zu Tage trat. Wer der sympathisch-offenen Barbara Mundel in den Jahren ihrer Intendanz einmal begegnet war, musste sich wundern, mit welcher Selbstverliebtheit das Haus zum Schluss der letzten Spielzeit noch einmal auf die Stadtgesellschaft losging. Es muss offenbar ein tiefes Gefühl des Unverstanden-Seins rumort haben:
Eine Ausstellung im Freiburger „Museum für Neue Kunst“ widmete sich der abseitigen Frage, was das Tanztheater „vererben“ kann, an wen auch immer. Und stellte als Antwort ein „Best-of“ der Theater-Produktionsrequisiten aus, darunter Salzhalden und Reistütchen.
In einem opulenten Arbeitsbuch von „Theater der Zeit“ wurde noch einmal gezeigt, dass die „Recherchen zum Stadttheater der Zukunft“ (Untertitel) in Freiburg verhandelt werden. Ein Theaterstück mit dem wenig demütigen Titel „Die Weltveränderer“ brachte die Mundel-Ära auf die eigene Bühne (das Stück musste wegen fehlenden Zuspruchs dann mehrfach abgesagt werden). Und am Ende kündigten die „Dietenbach-Festspiele“ dann noch ein „Stadtraumprojekt der Zukunft“ an, das in seiner realen Programmatik (Yoga, Seniorengymnastik, Kochen, Zeitungmachen, Liedersingen) eher eine Ferienfreizeit für Erwachsene darstellte.
Wann genau hat Barbara Mundel das eigentliche Theatermachen als Nebengeschäft entdeckt und als Mix aus Amateur-Nackttanz und Essenszubereitung auf der Bühne neu erfunden? Vermutlich begann mit dem Anpflanzen von Gemüse vorm Haus als „Urban Gardening“ die Neubestimmung der Bühnenwelt. Es war eher ein großes Missverständnis, dass die Trends von den Dächern im dicht besiedelten New York auch im ländlichen Südbaden Wurzeln schlagen müssen.
Vielleicht waren es auch die zahllosen Ausflüge in den Westen der Stadt, wo sich das Theater mal im „Orbit“, mal in „Haslach – deine Heimat“ verortete. Man hatte tatsächlich den Eindruck, dass es quasi-außerirdische Bespaßung sein muss, die da in einem der ärmeren Stadtteile landete. Manches war recht banal, vieles war Selbstzweck. Eher von den Interessen im Mutterschiff an der Bertoldstraße geleitet, als von jenen der Bespielten.
Einiges, und da war die Intendantin bewusst oder unbewusst der Kunst des Scheiterns in der heutigen Start-up-Gesellschaft ganz nahe, war ein als Beta-Version auf die Zuschauer losgelassenes Kon-strukt, also unfertig. Mehr Workshop geht kaum. Anderes, und das ist leider auch eine Quintessenz der überraschend leidenschafts-, aber auch humorlosen Mundel-Jahre, präsentierte sich wie die Parodie eines Stadttheater-Spielplans anstelle eines tatsächlichen Programms. Ein luzider Geist wie der US-Autor David Sedaris oder ein Netflix-Serienschreiber hätten es sich nicht besser ausdenken können.
„Die Freiburger Tage der Selbstkritik“ war jedenfalls keine Veranstaltung, die das Freiburger Theater in den vergangenen elf Jahren auf dem Spielplan hatte. Vielfach hatte man das Gefühl, dass das Haus sich in übermotivierten Tagungen und Sitzkreisen verlor. Die einst nahe liegende Allianz mit der Universität gegenüber schien gekappt, bisweilen konnte man im Stadttheater die gleichen Referenten wie auf der anderen Seite der Straße erleben, nur halt gegen Eintritt.
Die erfolgreiche Zuschauerstatistik wies in manchem Jahr die gleiche Besucherzahl aus wie in den glorreichen 70er Jahren unter Intendant Manfred Beilharz. Allerdings um den Preis, dass das, was damals 250 Veranstaltungen zustande brachten, zuletzt 750 Termine benötigte. Im klein-klein verschwammen Musiktheater-Großprojekte wie die komplette Inszenierung von Wagners „Ring des Nibelungen“ oder auch die Inszenierungen des gefragten Calixto Bieito.
Stattdessen standen bei Barbara Mundel vielfach Laien im Mittelpunkt. Wenn es ein Bild gibt, das als Blaupause für die ganzen Jahre haften bleibt, dann ist es vielleicht das „Türmer“-Projekt der Choreografin Joanne Leighton: Die „Choreografie“ vollführten Bürgerinnen und Bürger der Stadt Freiburg, die einen Sonnenaufgang oder -untergang auf dem Dach des Theaters für sich reserviert hatten, per online-Buchung. Ein Jahr dauerte das Projekt mit einer eigenen Aussichtskonstruktion auf dem Theaterdach an.
Geboten wurde ein Ereignis, bei dem das Theater Laien in ein Schaufenster stellte, dessen Idee sich vor allem der Lebenswert-Ressourcen der Stadt bediente. Die gewonnene Achtsamkeits-Stunde, eine Stadtansicht ohne Mobiltelefon oder Fotoapparat, war kein Massenvergnügen, sondern einem elitären Kreis von 730 Menschen vorbehalten. Gratis, aber nicht ohne einen Beitrag zum Theorie-Bohei in Form von Veröffentlichung der gesammelten Gästebuch-Gedanken. Es waren meistens die gleichen.
Theaterfernes wie ein Sonnenaufgang mit dem Theater als Absenderadresse: Es war bei weitem nicht das einzige Mal, dass auf diesem Weg „Leben und Kunst verschränkt“ (Mundel) wurden. Die Intendantin hat Wege gefunden, dass viele gesellschaftliche Fragen im Theater stattfinden konnten – auch wenn das intellektuelle Niveau häufig Mittelmaß war.
Die Plakat-Behauptung, hier werde irgend-wie unsere Zukunft erforscht, wollte man am Ende nicht mehr lesen. Das Spektakel fand zu oft nur im Dramaturgen-Kopf statt. Hinterfragt wurde so ziemlich alles, nur nicht die eigenen Ideen. Wenn es einen Allgemeinplatz gibt, der den Stadttheater-Geist der vergangenen elf Jahre zusammenfasst, dann hat er eher nichts mit Zukunfts-Bescheidwissen zu tun: Er stammt aus einem gemeinsamen Interview von Mundel und ihrer Tanz-Kuratorin. Ein Satz, der tatsächlich todernst gemeint war. „Der Tanz kann nicht alles vertanzen.“ Versucht wurde es.