Schweden wiegt so viel wie ein Kleinwagen. Schweden umfasst 3000 Schellackplatten. Alles, was in Schweden jemals von dem Vorläufer der Venylplatte produziert wurde, hat Andreas Schmauder gesammelt. Unter anderem.
Von Stephan Elsemann
Schellackplatten sind schwer und wer sich mit ihnen beschäftigt, häuft schnell Material an. Doch Andreas Schmauder sammelt nicht nur, er handelt auch mit Schellackplatten.
Rund 250.000 Exemplare, ganz genau weiß er es natürlich nicht, stehen zum Verkauf in unzähligen Regalen in seinem Haus im ehemaligen Hotel Friedrichshof südlich von Freiburg, dort, wo die Straße sich gabelt und es links hoch auf den Schauinsland und rechts nach Horben weitergeht. Schmauder ist vermutlich der größte Händler für Schellackplatten in ganz Europa.
Zusammengenommen wiegen 250.000 Schellackplatten mehr als 60 Tonnen. Schmauder musste die Federung seines VW-Busses verstärken lassen, damit er die Ladefläche für den Transport von Teilen seiner Schätze nutzen kann. Wenn Andreas Schmauder eines nicht fürchtet, sind es Einbrecher. Denn die Diebe müssten, so freut er sich insgeheim, mit einem 40-Tonner vorbeikommen und viele kräftige Packer mitbringen, um alles mitzunehmen oder aber wochenlang suchen, um zwischen vielen anderen die wenigen wirklich wertvollen Scheiben zu finden.
Ab und zu sinnt Andreas Schmauder darüber nach, wieviele Platten er wohl noch in seinem Leben verkaufen wird. 55 Jahre ist er jetzt alt und eigentlich will er sich beim Ankauf zurückhalten, doch wenn ihm dann wieder mal eine schöne Sammlung angeboten wird, die einige Preziosen enthält, fällt es ihm schwer, nein zu sagen. Dass es nicht zu sehr aus dem Ruder läuft dank der Akquise, dabei hilft ihm seine Frau Maria Kurz. Was Andreas Schmauder ganz nebenbei unternimmt, ist nichts weniger als die hochverdienstvolle Pflege eines vergangenen, und dabei höchst lebendigen Kulturguts.
Denn mit der Schellackplatte verbinden sich viele technische und auch einige musikhistorische Besonderheiten. Es fängt an damit, dass die Geschichte der Schallplatte nicht mit Schellack, sondern mit Zelluloid begann, im CD-Format. Die ersten Schallplatten mit dem Durchmesser 12,5 Zentimeter wurden ab 1888 in Mannheim hergestellt. Sie stammen somit aus Baden, auf diese Feststellung legt der gebürtige Baden-Badener Schmauder großen Wert.
Von diesen allerersten Schallplatten gibt es nur noch einige Hundert, schätzt Schmauder, er selbst besitzt fünf davon. Um 1895 begann dann die Zeit des Schellacks, genauer die Experimentierphase, in der aus Schellack, einem Schildläusesekret, viel Kohlestaub und einigen anderen Ingredienzen das Material für die Platten gemischt wurde. Einzigartig ist das Aufnahmeverfahren in dieser ersten Phase der Schellackzeit. Bis in die Mitte der 1920er Jahre wurde rein mechanisch aufgezeichnet. Direkt und ohne Umwandlung in elektrische Signale wurden die Schallwellen mittels eines Trichters aufgefangen und die Wachsmatritze geritzt.
Beim Abspielen der daraus hergestellten Platten auf dem Grammophon war der Weg dann umgekehrt, ebenfalls rein mechanisch, ohne Strom. Jede dieser dreiminütigen Aufzeichnungen der frühen Schellackzeit ist somit eine Live-Aufnahme. Korrekturen oder Überarbeitungen waren nicht möglich. Das musste im Jahre 1902 der berühmte Sänger Enrico Caruso bei seiner ersten Aufnahme erleben. Nicht vertraut mit den Bedingungen der brandneuen Technik setzte er zu früh mit dem Singen ein, was akkurat mit aufgezeichnet wurde und exakt so auf den Platten auch in den Handel kam. Diese Caruso-Platte mit dem verstolperten Einsatz ist heute eine gesuchte Rarität.
Einzigartig sind Platten aus dieser Zeit, denn auch einige Komponisten des 19. Jahrunderts wie Edvard Grieg und Camille Saint-Saëns haben sich noch mit der Einspielung ihrer eigenen Werke auf Schellack verewigen können. Der Einstieg in den Kosmos der Schellackplatte ist relativ leicht. Vorausetzung ist allerdings, dass man sich für die Musik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ob Jazz, Schlager oder Klassik begeistern kann.
Schon für rund 150 Euro bekommt man ein brauchbares Koffergrammophon und viele der beliebten Platten aus den 20er und 30er Jahren sind für wenige Euro zu haben. Das Abspielen mit dem Grammophon hat allerdings seine Tücken. Alle drei Minuten, nach jedem Musikstück muss gekurbelt werden, um das Federwerk des Motors wieder zu spannen. Nach jedem Stück muss auch die Nadel gewechselt werden. Denn auf einem Grammophon arbeitet sich die weiche Stahlnadel mit satten 300 Gramm Gewicht durch die Rille und nur dadurch, dass sich das weiche Metall der Nadel dabei schnell abnutzt, bleibt die Schellackplatte vor größeren Schäden bewahrt.
Mangels Strom und elektrischer Verstärkung gibt es auch keine Lautstärkeregelung. Ob‘s laut oder leise wird, bestimmt man mit der Wahl der Abspielnadel. Die Nadeln werden „pianissimo“ bis zu „Starkton extra laut“ gehandelt. Lange, dünne Nadeln spielen leiser, kurze dicke lauter. Mitunter sehr laut. Mit einer Starktonnadel im Grammophon kann man draußen beim Picknick seine Lieben beeindrucken und würde zu Hause in der Wohnung sofort die gesamte Nachbarschaft auf den Plan rufen.
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