Was ist ein Startup und was kann es? Für die Wirtschaft gibt es gute Gründe, sich bei den Ideen von Startups und zeitgemäßen Geschäftsfeldern zu bedienen.
Von Rudi Raschke
Sind wir eigentlich ein „Startup“? Nicht, dass wir bei netzwerk südbaden ständig die wie-betrifft-uns-das-Frage stellen würden, aber selten hat bei uns ein Titel so sehr die Frage nach dem eigenen Selbstverständnis aufgeworfen.
Kurze Dienstwege, Spaß am Tüfteln, vernetztes Teamwork in sich ständig neu ergebenden Hierachien, noch nicht zu lange am Markt, unübersehbar im Wachstum begriffen – und irgendwie auch gut im Brechen von Regeln: es gibt wohl nicht viele abo- und anzeigenfinanzierte, altmodische Printmagazine, die in den vergangenen 12 Monaten von durchschnittlich 60 auf 100 Seiten pro Monat angewachsen sind.
Gut, andererseits ist digital vieles bei uns im Kinderschuh-Modus. Aber die Wachstumsmöglichkeiten gehören ja bei Startups auch dazu.
Zu erleben ist in der Region, wie die Startup-Kultur selbst traditionsreiche Unternehmen in Südbaden bereichert:
Bei Endress+Hauser in Maulburg trafen wir beispielsweise wunderschön ausgestattete Räumlichkeiten an, die in diesem Spirit gestaltet sind: Rückzugsecken für schnelle Meetings, ein recht fließender Übergang zwischen Werkstattplätzen und Orten zum Vernetzen und Relaxen, ein kleines Auditorium mit Townhall-Charakter. Nur dass all diese Annehmlichkeiten nicht einem schicken Digital-Team zuteil werden – sondern den Azubis. Startup-Kultur zur Mitarbeiterbindung: auch das ist ein Weg, den traditionsreiche Industrie-Unternehmen heute gehen. Ohne dafür alles, was ihre Produkte traditionell auszeichnet, auf den Kopf zu stellen.
Große Unternehmen aus den USA machen das vor: Dinosaurier wie Levi’s, General Electric oder die Supermarktkette Target haben sich externe Innovation aus der Szene ins Haus geholt, um wieder schneller handlungsfähig zu sein und den Bedarf für neue Produkte ohne Betriebsblindheit erkennen zu können.
Im deutschen Mittelstand dürfte die Startup-Welt vor allem die Führungskultur aufmischen. Die gute Konjunktur tut hierfür ein übriges: Wer glaubt noch einem Chef, der unnahbar nach Schema F führt, sich auf devote Oberunterabteilungsleiter stützt, und auf die günstigste aller Belohnungen verzichtet, nämlich die Wertschätzung seines Personals. Startup bedeutet auch: Jeder-ist-ersetzbar-Phrasen und die Vorstellung, dass sich alle die Finger danach lecken müssten, für einen besonders unsympathischen Chef arbeiten zu dürfen, ist endgültig out. Ja, warum sollte der weltweit wirbelnde Veränderungstornado auch ausgerechnet um das Büro von Geschäftsführern und Vorständen einen Bogen machen? Die Rahmenbedingungen für gute Mitarbeiterleistung sind auf den Kopf gestellt worden. Kooperation und Vernetzung sollte Teil des Führungsstils sein.
Hier in der Region gibt es bereits lebenszeit-orientierte Arbeitszeitsmodelle, in denen eigenverantwortlich das Stundenbudget verhandelt wird (bei Trumpf-Hüttinger in Freiburg). Oder eigenständige Startup-Betriebe innerhalb des Betriebs (bei der Haufe Group). Das ist mehr als eine Alibi-Anpassung an agiles Arbeiten und die Generation Y. Es ist das Unumgängliche, wenn Querdenkertum und Hinterfragen wirklich vom Personal erwartet werden. An die Stelle von autoritären Weisungssystemen sind Vertrauen und Inspiration, aber auch die schnelle, unbürokratische Umsetzung getreten.
In diesem Sinne sind Startups hier weit mehr als nur digitale Experimente, die möglichst schnell mit Millionengewinn weiterveräußert werden sollen. Im Raum Freiburg scheint man vielmehr eine recht vitale Rückbindung an das hiesige Lebensgefühl zu haben: Man denke an das unglaublich schnell wachsende Portal „JobRad“, eine Gründung, die mit dem Zweirad-Pendant zum Dienstwagen Erfolge feiert.
Am Beispiel des Zentrums „Grünhof“ zeigen wir, wie nachhaltige Startups hier ihre Saat ausbringen und damit auch eine soziale Ernte einfahren können. Wie solche Gründungen die Verhältnisse von unten nach oben zum Tanzen bringen können, belegt die baldige Zusammenarbeit mit der Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe (FWTM). Dabei geht es um den Kreativpark der alten Lokhalle. Die arg hierarchische FWTM-Organisation, der manchmal etwas Bundesbahnhaftes anhängt, kam nicht umhin, sich an der Gründerbasis um die notwendige Authentizität und das Knowhow für das Großprojekt zu bemühen.
Mit Kristian Raue porträtieren wir einen Unternehmer, der das Garagengründen der Software-Szene verinnerlicht hat. Nicht in dem Sinn, dass er die heimische Autoaufbewahrung als Büro nutzt. Aber tatsächlich entwickelt er in einem Homeoffice gerade sein viertes Unternehmen. Was er über die Ratschläge von Banken, die Wachstums-phasen, die beschleunigten Möglichkeiten der Digitalisierung weiß, gibt er in dieser Ausgabe weiter.
Und nicht zuletzt lässt uns neben weiteren Startup-Erfahrungen der Chefscout des Möbelherstellers vitra, Raphael Gielgen, an seiner rasanten Reise durch die Welt der Arbeit teilhaben. Sein Credo: Es braucht in der Unternehmenswelt beide Ebenen – das Bewährte zu behalten und das Experimentelle zu wagen.
Der Mut, die Geschwindigkeit und die Führungskultur von Startups sind also durchaus auch für mittelständische Firmen ein Thema, das uns noch eine Weile beschäftigen wird. Auch in diesem Magazin, das ein wenig in diesem Geist entsteht.