Eine bringt Kindern das Schwimmen bei, andere werben für die Demokratie: Über engagierte Seniorinnen und die Bedeutung des Ehrenamts im Allgemeinen.
Von Kathrin Ermert
Autoaffine Menschen sagen, sie hätten Benzin im Blut. Bei Ulrike Gensitz muss es Chlor sein. Die 73-Jährige verbringt sehr viel Zeit im Becken des Bürgerbads in Merzhausen. In den zurückliegenden 30 Jahren hat sie bestimmt tausenden Kindern das Schwimmen beigebracht. Sie hat nicht mitgezählt. Gensitz leitet die Schwimmabteilung des VfR Merzhausen und gibt Kurse. Bis vor Kurzem stand sie wochentags jeden Nachmittag von drei bis sieben im Becken. Das bedeutet: Vier Stunden lang durchs Wasser laufen, meist mit einer Hand unterm Bauch des Kindes, das Schwimmen lernt.
Trotz des Neoprenanzugs, den sie bei den Kursen trägt, muss Ulrike Gensitz viel cremen und ölen, damit Haut und Haare nicht austrocknen. Doch sie scheut das viele Chlorwasser keineswegs. Im Gegenteil: Zusätzlich zu den Kursen geht sie mindestens einmal die Woche ins Bürgerbad. Mit Kappe und Brille krault sie dann ihre Bahnen. Die gebürtige Freiburgerin war nie Leistungs-, aber immer schon begeisterte Schwimmerin. Sie selbst lernte es noch im Marienbad, das in den 1970er-Jahren geschlossen wurde und schon lange ein Theater ist. Und natürlich schickte sie ihre vier Kinder in den Schwimmkurs. Mit dem Jüngsten kam sie zum VfR – und blieb. Erst als Kursteilnehmerin, dann als Übungsleiterin, schließlich als Leiterin der Schwimmabteilung. Warum tut sie das? „Mir wäre sonst langweilig. Ich brauche eine Beschäftigung. Und es macht mir Spaß.“
„Mir wäre sonst langweilig. Ich brauche eine Beschäftigung. Und es macht mir Spaß.“
Ulrike Gensitz, Schwimmtrainerin
Seit einem Jahr gibt Ulrike Gensitz nur noch an drei Tagen jeweils vier Kurse. Sie frotzelt, dass ihre Tochter und ihr Sohn sie rausdrängen, ist aber zugleich froh, dass die auch Interesse fürs Schwimmen haben. Die Kursanmeldungen haben zwei ihrer Kinder übernommen. An manchen Tagen kommen bis zu 80 Mails an. Das Angebot des VfR ist äußerst beliebt, das Einzugsgebiet wächst stetig. Manche Familien kommen sogar aus Titisee nach Merzhausen. Vor allem seit es neuerdings auch Inklusionskurse gibt, in denen Kinder mit Beeinträchtigung Schwimmen lernen können.
Jahrelang war bei Gensitz daheim die Zentrale der Schwimmabteilung, und das Telefon klingelte auch abends und am Wochenende ständig. Würde sie sich mehr Anerkennung dafür wünschen? „Um Gottes Willen, ich will keinen Verdienstorden“, ruft Ulrike Gensitz. Vor allem von den Kindern bekomme sie viel Respekt und von fast allen Eltern. Bei den meisten spüre sie eine „unheimliche Dankbarkeit“. Zum Geldverdienen tauge der Job indes nicht. Die Schwimmlehrerinnen und -lehrer in Merzhausen bekommen eine Übungsleiterpauschale und freien Eintritt ins Schwimmbad. Die Abteilungsleiterin leistet dagegen nicht nur die Verwaltung, sondern auch einen Großteil der Arbeit im Becken ehrenamtlich.
Zentrale Säule der Gesellschaft
So wie Ulrike Gensitz weitgehend unbezahlt dafür sorgt, dass Kinder sich über Wasser halten können und möglichst nicht ertrinken, tragen Millionen andere Menschen in der Bundesrepublik dazu bei, das Land am Laufen zu halten. Etwa 40 Prozent der Bevölkerung, fast 29 Millionen, arbeiteten im Jahr 2019 ehrenamtlich. Aktuellere Zahlen gibt es nicht. Der sechste Deutsche Freiwilligensurvey des Bundesfamilienministeriums, der das Engagement im Jahr 2024 abbilden soll, erscheint erst 2025. Zuletzt lag das freiwillige Engagement in Deutschland auf einem stabil hohen Niveau. 2019 arbeiteten ähnlich viele Menschen ehrenamtlich wie im Jahr 2014. Die meisten (60 Prozent) wendeten bis zu zwei Stunden pro Woche dafür auf. Je höher der Bildungsabschluss, desto größer der Anteil der ehrenamtlich Tätigen. Die Zahlen von Frauen und Männern lagen 2019 erstmals fast auf gleichem Niveau, nachdem früher mehr Männer in Ehrenämtern tätig waren.
Das Ehrenamt ist eine zentrale Säule der Gesellschaft. Vereine und viele andere Institutionen könnten ohne unentgeltliches Engagement nicht bestehen. Dabei ist eine ehrenamtliche Tätigkeit quasi überall möglich: Angefangen von Berufs- und Wirtschaftsverbänden wie Ärzte-, Anwalts, Handwerks- oder Industrie- und Handelskammern über Sportvereine, Umweltorganisationen, Kultureinrichtungen, Kirchen und die freiwillige Feuerwehr bis zu Krankenhäusern oder Seniorenheimen. Allein beim Deutschen Roten Kreuz haben sich 2022 über 442.000 Ehrenamtliche eingesetzt, mehr als doppelt so viele wie hauptamtliche Mitarbeitende (194.000). Sie arbeiten etwa für Geflüchtete, beim Sanitäts- und Rettungsdienst oder in der Zivil- und Katastrophenhilfe. Beim Hochwasser Anfang Juni zeigte sich der beeindruckend hohe Anteil ehrenamtlich tätiger Menschen von DRK, Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und anderen Organisationen.
Allerdings scheint es seit Corona eine Delle zu geben. Zahlen dazu gibt es noch nicht, der jüngste Freiwilligensurvey wurde ja vor Beginn der Pandemie in Deutschland erhoben. Doch in Gesprächen hört man, dass das Engagement abnimmt, vor allem bei den Jüngeren. Das stellt der badische Landesverband des DRK fest, und das berichten beispielsweise auch Vertreterinnen des Vereins Stadtpiraten Freiburg, der sich für Kinder aus geflüchteten Familien einsetzt, sowie der Freiburger Bahnhofsmission, die Wohnungslose, Süchtige und andere Menschen in akuten oder existenziellen Notlagen unterstützt. Sie alle merken: Seit Corona engagierten sich zum Beispiel weniger Studierende ehrenamtlich.
Omas gegen Rechts
Dagegen haben die „Omas gegen Rechts“ weiter Zulauf. 199 Mitglieder zählt die 2018 gegründete Freiburger Gruppe, eine von rund hundert bundesweit. Vor dem Hintergrund des veränderten politischen Klimas engagiert sich die Bewegung, die 2017 in Österreich entstanden ist und kürzlich den Aachener Friedenspreis erhalten hat, für demokratische Werte, Vielfalt, Toleranz, ein respektvolles Miteinander und den verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt. Die Omas beteiligen sich an Demonstrationen gegen rechtspopulistische Strömungen, Ausgrenzungen oder Stigmatisierungen und veranstalten eigene Aktionen.
„Wir haben gerade viel zu tun“
Annette Schledermann, Omas gegen Rechts
Nach dem Bekanntwerden rechtsextremer Verschwörungstreffen und vor den Kommunal- und Europawahlen waren sie besonders aktiv. „Wir haben gerade viel zu tun“, sagt Annette Schledermann angesichts der hohen Umfragewerte populistischer Parteien. Die 76-Jährige hat zwei Enkelkinder, das ist aber keine Voraussetzung fürs Mitmachen bei den Omas. Von April bis Juni gab es regelmäßige Wahlaktionen. Schledermann und ihre Mitstreiterinnen zeigten viel Präsenz in der Stadt und intensivierten ihre regelmäßigen Formate wie Schulbesuche oder die „Oma-Sorgenbank“, die jeden Mittwoch in Weingarten steht. Darauf darf Platz nehmen, wer Kummer oder sonst ein Anliegen hat. Die Omas hören aktiv zu und wirken an Lösungen mit. Wie das geht, wie man auf Verschwörungstheorien, populistische oder rechtslastige Äußerungen reagiert, haben sie sich jüngst von der Landeszentrale für politische Bildung beibringen lassen. Der Verein, der vom Bundesprogramm „Demokratie Leben“ gefördert wird, hat die Schulung gezahlt. Die einzelnen Omas investieren zwar ihre Zeit, aber nicht ihr Geld.